Hattingen. Die Finanz- und Personalnot in Kitas wächst. Schließungen drohen. Hattingens Wichern-Kindergarten startet eine massive Protestaktion im Land.

Laut werden, etwas bewegen. Das hatte sich der Wichern-Kindergarten in Bredenscheid mit seinen Leiterinnen Cornelia Zwilling und Gudrun Siepmann auf die Fahne geschrieben. Für sie ist es das Jahr 2023 der Aktion „Kollaps“, die weit über Hattingens Stadtgrenzen hinaus für Furore sorgt, im wahrsten Sinne des Wortes Spuren im Landtag hinterlässt - und so für die Initiatorinnen zu einem Erfolg wird. Auch 2024 heißt es weiter dranbleiben, für weit mehr als die kleine Bredenscheider Einrichtung.

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„Am 4. Januar haben wir beschlossen, dass es am 9. Februar rund geht“ erinnert sich Cornelia Zwilling. Als Chefinnen einer kleinen Kita warnen sie und Gudrun Siepmann vor dem Kindergarten-Kollaps. Personal fehlt an allen Ecken, dazu kommen steigende Kosten. Und die Finanzierung ist durch das Land nicht ausreichend gesichert. Die Folge: Kita-Gruppen müssen in den Notbetrieb gehen oder sogar schließen. Eltern müssen kurzfristig Betreuungen organisieren. Die Bildungsarbeit in der Kita bleibt auf der Strecke.

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Schnell erhalten die Bredenscheider Unterstützung: von ihrem Verband der Kindergärten im Kirchenkreis Hattingen/Witten von anderen Kitas aus der Umgebung und darüber hinaus. „Der Stein des Anstoßes hat gefehlt, wir haben ja nicht erst jetzt bemerkt, dass es Probleme gibt“, sagt auch Daniela Bech, Sprecherin der Kita-Leitungen. „In anderen Branchen wäre die Leute drei oder fünf Jahre vorher aufgestanden. Wir sind da sehr leidensfähig und jetzt ist es fast zu spät“, berichtet sie von den Rückmeldungen auf den Kita-Protest.

In Hattingen nahm der Kita-Protest seinen Anfang und gipfelte in einer Demonstration von 20.000 Menschen vor dem Landtag.
In Hattingen nahm der Kita-Protest seinen Anfang und gipfelte in einer Demonstration von 20.000 Menschen vor dem Landtag. © Daniela Bech

Der wird zum ersten Mal Anfang 2023 laut - mit einer Petition, die gut 3700 Mal unterzeichnet wird und mit einer ersten Demonstration vor dem Landtag in Düsseldorf. „Wir wurden schon am Bahnhof von einer Polizeistreife in Empfang genommen und mit unserem Banner bis zum Landtag eskortiert“, sagt Zwilling und ergänzt lachend: „Die Polizisten haben wir direkt gefragt, ob sie unsere Petition unterschreiben“.

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Extra für ihren Protest entwickeln die Initiatorinnen das „Kollaps“-Logo, das inzwischen vielfach Verwendung findet, um das Anliegen der Kitas und Träger zu transportieren. Im Matsch vor dem Landtag machen etwa 150 Vertreter der Kitas ihre Lage klar und sind dann auch Publikum bei der Sitzung des zuständigen Ausschusses, der dafür extra in einen größeren Sitzungssaal verlegt wird. „Da haben wir Spuren hinterlassen“, erinnert sich Gudrun Siepmann an den hellen Teppich im Landtag, der nach dem Besuch der Demonstranten matschbraun gefärbt ist.

Der Wichern-Kindergarten in Bredenscheid startete 2023 Proteste gegen die Not in Kitas unter dem Titel Kindergarten-Kollaps. Die Initiatorinnen Cornelia Zwilling (links), Leiterin Kita Bredenscheid, und ihre Stellvertreterin Gudrun Siepmann (nicht im Bild) erhielten schnell Unterstützung durch Dorothee Büchle (Fachberaterin des Kita-Verbundes, Mitte) und Daniela Bech (Sprecherin der Kita-Leitungen, rechts).
Der Wichern-Kindergarten in Bredenscheid startete 2023 Proteste gegen die Not in Kitas unter dem Titel Kindergarten-Kollaps. Die Initiatorinnen Cornelia Zwilling (links), Leiterin Kita Bredenscheid, und ihre Stellvertreterin Gudrun Siepmann (nicht im Bild) erhielten schnell Unterstützung durch Dorothee Büchle (Fachberaterin des Kita-Verbundes, Mitte) und Daniela Bech (Sprecherin der Kita-Leitungen, rechts). © WAZ | Sabine Weidemann

Im Sitzungssaal gibt es erst eine Rüge, weil die Protestler applaudieren. Nur husten ist erlaubt. Also wird gehustet. „Am Schluss hat der Vorsitzende seine Kollegen aufgefordert, für uns zu klatschen und es sind auch viele Landtagsabgeordnete auf uns zugekommen“, freut sich Siepmann.

Finanzierung der Kitas

Die Finanzierung der Kitas wird im Kinderbildungsgesetz (Kibiz) des Landes geregelt. Das gibt eine bestimmte Pauschale pro betreutem Kind und damit auch das entsprechende Personal vor. Kaum ein Träger kann zusätzliches Personal allein finanzieren, um Ausfälle, zum Beispiel durch Krankheit, aufzufangen.

Durch gestiegene Kosten für Löhne, aber auch die Unterhaltung der Kitas, geraten Träger mehr und mehr unter Druck. Das Land fängt diese Kostensteigerungen nicht akut auf, sondern mit anderthalb Jahren Verzögerung, weshalb Kitaträger mit Millionenbeträgen in Vorleistung gehen müssen.

„Es ist phänomenal, was das ausgelöst hat“, betont Dorothee Büchle, Fachberaterin der evangelischen Tageseinrichtungen im Kirchenkreis. Es habe nach diesem ersten Protest viel Verständnis und Gespräche gegeben. Auch Eltern wurden mit zu Gesprächen mit Politikern eingeladen. Das hatten alle Anschreiben an die Politik zuvor nicht bewirkt.

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Dieser erste Protest, der in Hattingen seinen Anfang nahm, breitet sich über das Jahr aus. Immer mehr Träger beteiligen sich. Bis am 19. Oktober gut 20.000 Menschen vor dem Landtag stehen. Mit Bussen reisen die Demonstranten aus ganz NRW an. Auch der Bredenscheider Kindergarten ist wieder dabei.

Auch die Kinder machen mit beim Protest: Bei „Radau-Aktionen“ machen sie regelmäßig in ihrer Kita Krach für eine bessere Betreuung.
Auch die Kinder machen mit beim Protest: Bei „Radau-Aktionen“ machen sie regelmäßig in ihrer Kita Krach für eine bessere Betreuung. © Daniela Bech

Im November kommt plötzlich der Anruf einer Kita-Leiterin aus Bochum. Sie wurde in den Petitionsausschuss des Landtags eingeladen für eine Unterschriftenaktion, die sie gar nicht gestartet, aber Beiträge eingereicht hat. Es ist die Petition der Hattinger, die nun weiter politisch diskutiert wird.

Für die Kitas heißt es also weiter dranbleiben. „Wir wünschen uns, dass die Finanzierung funktioniert. Dass Kindergärten sich nicht mehr tragen können und sogar Schließungen drohen, ist eine Katastrophe“, betont Cornelia Zwilling. Das Ziel ist klar: „Kinder haben ein Recht auf Bildung, das darf gar nicht in der Diskussion sein. Das muss eine Selbstverständlichkeit sein.“

Dieser Text erschien zuerst am 6. Januar 2024