Hattingen. „Ich fühle mich wieder stimmig und lebendig“, sagt Judith über die Therapie mit den Ruhr-Eseln aus Hattingen. Sie erklärt, wie die Tiere helfen.
„Hier stellst Du das eigene körperliche Befinden zurück, bist abgelenkt von allen Schmerzen. Du musst total im Hier und Jetzt sein.“ Claudia (Name geändert) wandert an diesem Tag durch das ländliche Hattingen – ihre besonderen Begleiter: die Ruhr-Esel. Sie helfen ihr und den anderen in der Gruppe, mit dem eigenen Leben wieder zurechtzukommen – als tierische Therapeuten bei psychischen Erkrankungen.
Die Klienten der Kontakt- und Beratungsstelle der Caritas Ruhr-Mitte in Hattingen, die dieses besondere Therapieangebot wahrnehmen, leiden unter Angststörungen, Depressionen, Sozialphobien und mehr. Sie haben viel erlebt. Und das hat sie geprägt. Hat sie misstrauisch gemacht. „Mein Vertrauen wurde viel ausgenutzt“, erklärt Judith. Deshalb hat sie Probleme mit sich und anderen. Die Esel aber, „die verstellen sich nicht. Da gibt es keine Heuchelei“, sagt die 49-Jährige.
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Die Esel Elli, Lotte, Isabella und Mathilda haben ihren eigenen Kopf. Sie entscheiden, wo sie hingehen – und auch, wohin nicht. Sie entscheiden, ob sie auf die Menschen zugehen. Für keine der Aktionen der tiergestützten Therapie, die Sabrina Alexander mit ihren Ruhr-Eseln anbietet, werden die Tiere festgebunden. Der Besitzerin ist wichtig, dass die Tiere jederzeit selbst entscheiden und auch weggehen können.
Claudia, die von ihrer Kindheit auf dem Bauernhof Erfahrungen mit Ponys hat, merkt schnell, dass die Esel einen eigenen Kopf haben. „Wenn ein Auto kommt, dann sehen es nicht unbedingt ein, jetzt von der Straße zu gehen. Sie zu überzeugen, ist schwierig“, erklärt die 56-Jährige.
Beratungsstelle und Ruhr-Esel
Die Kontakt- und Beratungsstelle der Caritas Ruhr-Mitte in Hattingen bietet Menschen mit psychischen Belastungen Hilfe in jeder Lebenslage. Der erste Kontakt kommt meist über die offene Sprechstunde zustande, die an der Bahnhofstraße 23 in Hattingen angeboten wird. Hier wird jeder Hilfesuchende kostenlos und ohne Vorbedingungen beraten, auf Wunsch auch anonym, 02324 5699030.
Auch Angehörige, die Fragen zur Krankheit und zum Umgang mit den Betroffenen haben, können sich an die Kontakt- und Beratungsstelle wenden. Mehr zur Kontakt- und Beratungsstelle aufwww.caritas-en.de
Bei den Ruhr-Eseln gibt es auch Wanderungen ohne Therapiehintergrund, Esel-Erlebnisstunden und zum Beispiel Esel-Yoga. Mehr über die Ruhr-Esel erfahren Sie unter 0177 7155620, per E-Mail an post@ruhresel.de oder auf www.ruhresel.de
Aber genau das ist die Herausforderung. Aushalten. Auch, wenn mal nicht alles funktioniert wie gedacht. „Ich bin eigentlich ein Kontrollfreak“, sagt Judith. Hier muss sie Kontrolle abgeben. „Ich vertraue ihr“, sagt sie über ihre tierische Begleiterin. Und noch mehr: „Die Stunden mit den Eseln sind „Balsam für die Seele. Da fühle ich mich wieder stimmig und lebendig.“
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Das haben einige hier verlernt – auf sich selbst zu hören. „Ich habe mir immer mehr aufgeladen, bis mein Körper gesagt hat: ,Nein’“, erinnert sich Claudia. Doch hier und jetzt ist keine Zeit für Hektik. Das Tempo geben die Esel vor. Und die sind so unterschiedlich wie die Menschen am anderen Ende der Zügel.
Mathilde ist der „Springinsfeld“. Isabella ein bisschen pubertär, lacht Sabrina Alexander. Deshalb bleiben die beiden bei diesem Ausflug zu Hause. Elli und Lotte sind unterwegs umgänglicher. Aber während letztere Schwierigkeiten mit autistischen Kindern hat, geht Elli extra zu ihnen. Und Isabella und Mathilde fühlen sich auch in einer Traube von Kindern wohl.
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Die eselgestützte Therapie bietet Sabrina Alexander in Hattingen für Erwachsene ebenso wie für Kinder an. Förderschüler oder Kinder mit Bindungsproblemen gehören ebenso zu ihren Klienten, wie Erwachsene mit geistigen Behinderungen oder psychischen Problemen – wie bei der Gruppe der Caritas.
Die einzigen Bedingungen für eine Teilnahme an den Eselstunden: Es muss eine Affinität zu den Tieren geben, „die Chemie muss stimmen“. Und es braucht die Bereitschaft, mitzumachen – und nach Hattingen zu kommen. Denn die Esel bleiben in ihrer gewohnten Umgebung. Bei körperlichen Einschränkungen der Klienten wird es aufgrund des Geländes deshalb schwierig. „Das geht leider nicht“, sagt Sabrina Alexander.
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Und noch eine Einschränkung gibt es: Die Therapie wird nicht von den Krankenkassen bezahlt. Verstehen kann das in der Wandergruppe niemand, denn dass die Esel helfen, ist bei allen unbestritten. Fakt ist aber, dass die 75 Euro pro Einheit normalerweise selbst bezahlt werden müssen. Dann sind Eseltreffen ein Mal pro Woche, alle 14 Tage oder auch ein Mal im Monat möglich – ganz nach Bedarf, aber in der Regel über einen längeren Zeitraum.
Das Angebot der Kontakt- und Beratungsstelle der Caritas konnte über Fördergelder des Kreises ermöglicht werden. Ein Glücksfall für Claudia, Judith und die anderen.