Hattingen. Warum besuchen wir Friedhöfe? Und wie erinnern wir uns an dort bestattete Verstorbene? Drei Beispiele, aufgezeichnet auf Friedhöfen in Hattingen.
Mit dem heutigen 1. November beginnt der so genannte „Totenmonat“. Allerheiligen, Allerseelen, Totensonntag bieten dabei eine Möglichkeit, sich an verstorbene Verwandte und Freunde zu erinnern. Doch nicht nur an diesen Tagen besuchen Menschen Friedhöfe. Drei Geschichten aus Hattingen.
Allerheiligen: Menschen aus Hattingen erzählen von ihren Toten
Gudrun Brandes steht an diesem Nachmittag am Grab ihrer Eltern auf dem evangelischen Friedhof an der Bredenscheider Straße. Die 52-Jährige hat ein Gesteck mitgebracht für Lola und Heinz Bauerhin, die 2012 beziehungsweise 1995 gestorben sind – sie infolge einer Darmverletzung, er an Krebs.
Gedenktage
Allerheiligen: Gesetzlicher Feiertag in Nordrhein-Westfalen und vier weiteren Bundesländern am 1. November. Gedenktag der katholischen Kirche für alle vom Papst heiliggesprochenen Menschen und jene, die ihren Glauben konsequent leben.
Allerseelen: Gedenktag der katholischen Kirche für alle Verstorbenen und ihre Seelen am 2. November. Kein gesetzlicher und kein „stiller“ Feiertag.
Totensonntag: „Stiller Feiertag“, an dem evangelische Christen der Verstorbenen gedenken. Termin: eine Woche vor dem 1. Adventssonntag, in diesem Jahr am 21. November.
„Ich versuche, alle zwei Wochen hier am Grab zu sein“, sagt Gudrun Brandes. Und zudem an den Geburtstagen der Eltern, zu denen sie „ein sehr inniges Verhältnis“ hatte. „Meine Mutter war sehr liebevoll.“ Lola, von Beruf Hausfrau, sei stets für ihre insgesamt sechs Kinder, später auch für ihre Enkel da gewesen, erzählt Gudrun Brandes. „Sie hat alles für uns gemacht.“ Gleiches gelte für ihren Vater, „der auf der Hütte gearbeitet hat bis Mitte der 1980er-Jahre“. Dann sei der 1929 Geborene in Frührente gegangen.
Grab der Eltern mit Engeln dekoriert
Gudrun Brandes hat das Grab ihrer Eltern mit allerlei weißen Engeln dekoriert, und auch ihre Tochter Annika hat einen kleinen Engel dorthin gestellt vor neun Jahren, als Lola Bauerhin 82-jährig starb. „Alles Liebe“ steht noch immer gut lesbar auf dem Sockel der Figur. Für Gudrun Brandes sind die Engel auf dem Grab dabei ein Symbol dafür, dass ihr Tod nicht auch ihr Ende ist. „Ich glaube, dass es danach noch ein Leben gibt – irgendwo.“
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Die 52-Jährige, die an diesem Nachmittag allein zum Friedhof gegangen ist, wo sie sich Lola und Heinz Bauerhin näher fühlt, als wenn sie daheim deren Fotos anschaut, sagt, sie wolle ihren Eltern gleich noch erzählen, dass ihre inzwischen 23-jährige Tochter kürzlich den Führerschein bestanden hat. „Ich spreche jedes Mal mit ihnen, wenn ich am Grab stehe. Und ich glaube, sie hören mich.“
Besuch des jüngeren Bruders
Er ist mal wieder aus London zurück in seiner Heimatstadt Hattingen, besucht gerade mit seinen Eltern und einem seiner drei Kinder das Grab des jüngeren Bruders Andre. „Wir beide haben uns Zeit seines Lebens total gut verstanden“ sagt Dirk Hannemann (55) „obwohl ich schon mit 18 Jahren ins Ausland gegangen bin.“ Sehr sportlich und gutaussehend sei sein Bruder gewesen, der sein Geld als selbstständiger Fliesenleger mit eigenem Geschäft in Hattingen verdient habe. Bis er an Krebs erkrankte und nach dreijähriger Leidenszeit am 5. Oktober 2016 – viel zu früh – mit nur 44 Jahren an den Folgen der Krankheit verstarb.
Dirk Hannemann hat seinen Bruder am Abend vor dessen Tod noch im Krankenhaus besucht, auch gefragt: Hey, wie geht’s? „Daraufhin hat Andre den Daumen in die Höhe gereckt und gelächelt.“
Erinnerung an toten Bruder
Seine Familie hatte Dirk Hannemann dabei zu Hause in London gelassen, erst wenige Monate zuvor waren seine Zwillingssöhne Rye und Andre Jonas geboren worden, letzterer benannt nach Dirk Hannemanns Bruder. „Andre wusste das – und war einverstanden.“ Sehen wollte sein Bruder die Zwillinge damals indes nicht mehr, sagt Dirk Hannemann.
Heute nimmt der 55-Jährige sie und die inzwischen achtjährige Tochter Romy indes regelmäßig mit nach Hattingen; und zu Andres Grab nahe des der Bauerhins. „Es ist mir wichtig, das meine Kinder wissen, wer Andre war und wo er heute ist. Wenn wir zum Friedhof gehen, sage ich stets: ,Wir besuchen jetzt Onkel Andre.’ Und am Grab sage ich ihnen: ,Hier schläft er.’“
Den Toten nicht gekannt
Karsten, wie es ganz schlicht und ohne weiteren Zusatz auf dem Grabstein auf dem katholischen Friedhof an der Bismarckstraße steht, war ein Nikolauskind, geboren an einem 6. Dezember. In welchem Jahr, das wissen Maria (74) und Donato (76) allerdings nicht; und auch nicht, wie alt Karsten geworden ist. Das Hattinger Ehepaar kannte den Verstorbenen, dessen Grab es inzwischen pflegt, zu seinen Lebzeiten nicht einmal. Karsten war vielmehr der Mann einer früheren Nachbarin des Ehepaares und späteren Freundin von Maria: Uschi. „Sie ist erst nach dem Tod ihres Mannes von Moers nach Hattingen gezogen“, sagt das Ehepaar. Und dass es Karsten nur von Fotos her kannte. Ein früherer Finanzbeamter, der braune Augen hatte, schwarze Haare und Maria „an meinen Vater erinnerte“.
Als ihre Nachbarin Uschi „vor sechs oder sieben Jahren von Hattingen nach Dinslaken zu ihrer Tochter zog, hätten sie und ihr Mann die Pflege von Karstens Grab übernommen, sagt Maria. „Wir tun das, so lange wir können.“
Frau liebte die Blumen
Ein- bis zweimal in der Woche besuchen sie die letzte Ruhestätte des verstorbenen Unbekannten, entfernen Laub und Unkraut und sagen Karsten „Hallo“. Und jedes Jahr zum Nikolaustag legen sie einen Strauß Rosen aufs Grab. Zur Erinnerung an Karstens Frau Uschi, „die diese Blumen so liebt. Und irgendwann“, so sagt Maria, „hier neben Karsten wie er in einer Urne bestattet werden möchte“.
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