Hattingen. Udo Böhm aus Hattingen starb im März mit nur 72 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion. Seine Frau Gisela erzählt, wie sie damit klarkommt.

Auf dem Wohnzimmerschrank in ihrem Haus in Welper hat Gisela Böhm kürzlich ein Foto ihres Mannes aufgestellt. Es zeigt einen sympathischen Mittsiebziger mit hellen Haaren, Schnäuzer und einem freundlichem, festen Blick. Direkt neben dieser Fotografie steht eine Kerze, die Enkelkinder haben sie gestaltet für Udo Böhm, der im Januar dieses Jahres an Corona erkrankt. Viereinhalb Wochen später ist er tot.

Die Fassungslosigkeit über seinen Tod ist ihrer Stimme anzumerken

„Mein Mann war gesund, aber das Virus hat ihn mir genommen“, sagt Gisela Böhm und die Fassungslosigkeit darüber ist ihrer Stimme anzumerken. Ihr Udo sei viel mit seinem E-Bike unterwegs gewesen, in Vor-Corona-Zeiten regelmäßig ins Fitnessstudio gegangen. Zudem habe sich der 72-Jährige „stets sehr vorsichtig verhalten“ seit Beginn der Pandemie. Udo Böhm, der Vorsitzende des Fördervereins der Henrichshütte, der zudem im Vorstand des Freizeitwerks Welper aktiv war, sei „fast nirgendwo mehr hingegangen“, sagt seine Frau – und wenn, dann stets mit Maske und Abstand. Das Corona-Virus hat ihn trotzdem „erwischt“, wenige Wochen vor den ersten Impfangeboten für Über-70-Jährige hat er sich infiziert mit der englischen Variante. Wo, das weiß Gisela Böhm bis heute nicht.

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Aber an den Tag, an dem es ihrem Mann erstmals schlecht ging, erinnert sie sich noch gut: Einen Nachmittagsspaziergang durch den Ortsteil machen die Eheleute am letzten Januarsonntag. Zurück zu Hause sagt Udo Böhm: „Ich fühle mich nicht gut.“ Er legt sich ins Bett, bekommt Fieber und Schüttelfrost, Gisela Böhm gibt ihm eine fiebersenkende Tablette.

Auf über 40 Grad Celsius steigt seine Körpertemperatur

Am nächsten Morgen geht es ihm wieder besser, „Udo wollte aufstehen“. Dennoch lässt er sich vorsorglich bei seinem Hausarzt auf Corona testen. Drei Tage später hat Udo Böhm das Ergebnis. Zusammen mit seiner Frau, bei der einige Tage später ebenfalls Corona nachgewiesen wird, verbringt er die nächsten Tage zu Hause in Quarantäne. Es geht ihm nicht wirklich gut, aber schwer krank fühlt er sich auch nicht. Bis zehn Tage nach jenem Nachmittagsspaziergang das Fieber zurückkommt, auf über 40 Grad Celsius steigt seine Körpertemperatur, dazu wird die Atmung schwer.

„Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass wir das nicht schaffen“, sagt Gisela Böhm mit stockender Stimme. Zu ihrem Mann sagt sie an jenem Februartag: „Ich habe solche Angst.“

Neue Serie: Leben mit dem Tod

Der Tod gehört zum Leben, aber wie leben wir mit dem Tod? Eine neue Serie in der WAZ Hattingen geht dieser Frage auf vielfältige Art und Weise nach.

Es kommen in dieser Serie mit dem Titel „Leben mit dem Tod“ dabei ebenso Menschen zu Wort, die einen engen Angehörigen verloren haben wie die, die durch die Trauer begleiten, außerdem ein Ehepaar, das seine verstorbenen Katzen auf einem Tierfriedhof hat bestatten lassen. Ein Künstler spricht über die Bedeutung von Friedhofskunst, unsere Bestattungskultur und ihr Wandel werden thematisiert – und vieles andere mehr, das Facetten offenbart davon, wie wir in dieser Gesellschaft leben mit dem Tod.

Sie hält seine Hand, als die Ärzte die Geräte abstellen

Sie ruft den Notarzt. Und sieht ihren Mann danach noch einmal: am 5. März, Udo Böhms Todestag.

Zusammen mit dem jüngeren ihrer beiden Söhne und der Schwiegertochter, die in der Nähe wohnen und es zeitlich gerade ebenfalls noch in die Klinik schaffen, sitzt Gisela Böhm am Krankenbett ihres Mannes, dessen Zustand sich akut verschlimmert hat. Sie hält seine Hand, als die Ärzte die Geräte abstellen, die allein ihn in seinen letzten Stunden am Leben gehalten haben.

„Ich hatte das Gefühl, er hat gespürt, dass wir da sind“, sagt sie heute. Und blickt in Richtung Foto auf dem Wohnzimmertisch.

Angesichts des Unfassbaren kommen ihr wieder die Tränen

Und dann kommen ihr angesichts des Unfassbaren wieder die Tränen. „Ich kann die Menschen nicht verstehen, die sich nicht impfen lassen, die sagen, Corona sei harmlos“, sagt sie. Nicht einmal die Krankenhausärzte hätten bei ihrem Mann mit diesem Krankheitsverlauf gerechnet, via Telefon bis wenige Tage vor seinem Tod vielmehr übermittelt, sein Gesundheitszustand sei zwar ernst, aber nicht so kritisch, dass er nicht wieder gesund werden würde. „Aber dieses Virus ist unberechenbar.“

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Gisela Böhm sagt solche Sätze nicht ohne eine gewisse Bitterkeit, indes ohne anzuklagen. Und auch, wenn bei der 74-Jährigen ein halbes Jahr danach die Trauer über den Verlust ihres Mannes noch sehr frisch ist, so lässt sie sich doch nicht lähmen von dieser. Trifft sich regelmäßig mit einer Freundin zum Spazierengehen, geht einmal wöchentlich zur Wassergymnastik, will in Kürze ihren älteren Sohn und dessen Familie in Bayern besuchen – und plant dafür ihre erste allein organisierte Zugfahrt. „Früher hat Udo das immer alles organisiert.“

Ihr Mann war ein Machertyp mit einer natürlichen Autorität

Wie in diesem Moment ,so lächelt die 74-Jährige immer wieder, wenn sie erzählt von ihrem Mann, einem früheren Diplom-Ingenieur in Elektrotechnik, der zehn Jahre lang auf der Henrichshütte bis zu deren Schließung arbeitete. Ein Machertyp mit einer natürlichen Autorität, mit dem Gisela Böhm über 50 Jahre zusammen durchs Leben ging.

Anders als nach dem Tod ihrer 1972 aufgrund eines offenen Rückens nach nur drei Wochen verstorbenen Tochter wolle sie den Tod ihres Mannes verarbeiten, indem sie über diesen und die Ereignisse um ihn herum rede anstatt sie zu tabuisieren, sagt Gisela Böhm. Aber auch: „Wir hätten noch so viele schöne Jahre zusammen haben können. Udo fehlt einfach – überall.“