Hattingen. Kenan Dogru ist auf dem muslimischen Grabfeld in Hattingen-Welper bestattet. Sein Bruder gewährt Einblicke in die muslimische Bestattungskultur.

Er ist der erste Moslem mit türkischen Wurzeln, der auf dem muslimischen Grabfeld des Friedhofes in Welper beigesetzt worden ist: Kenan Dogru, sagt sein Bruder Kamil, hätte eine Bestattung ebendort auch selbst gewollt. Am 11. Juni 2003 kam er im Alter von nur 34 Jahren ums Leben – ein Streit mit einem Bekannten eskalierte, Kenan Dogru starb wenige Stunden später im Krankenhaus an den Folgen mehrerer Schussverletzungen.

Kamil Dogru erinnert sich an diesen Moment noch ganz genau. Aber auch daran, wie klar die Entscheidung in der Familie damals gewesen sei, Kenan nicht – wie bei den meisten in Hattingen lebenden Muslimen bis heute üblich – in der Heimat der (Ursprungs)-Familie, sondern in Hattingen beerdigen zu lassen. Sein jüngerer Bruder habe ja nicht nur eine von hier stammende Lebensgefährtin gehabt, sondern mit ihr auch einen Sohn, der damals noch im Kleinkindalter war. Dazu sollte bald ein weiteres Kind geboren werden, Kenan Dogrus Freundin war zum Zeitpunkt seines Todes hochschwanger.

Seit 2002 gib es in Hattingen ein muslimisches Grabfeld

Die Möglichkeit, dass Muslime auf dem städtischen Friedhof in Welper nach ihren Ritualen beerdigt werden können, gab es im Sommer 2003 dabei gerade einmal seit rund einem Jahr. Angeregt hatte ein muslimisches Grabfeld auf jenem Friedhof zuvor – Kamil Dogru. „In den Nachbarstädten gab es diese Möglichkeit damals bereits“, sagt der heute 61-Jährige, „das hatte mich seinerzeit zu diesem Antrag im Integrationsbeirat bewogen.“

Nach Mekka ausgerichtet sein müssen muslimische Gräber. Anders als zu früheren Zeiten und auch heute in Teilen der Türkei noch üblich, sind die Grabstätten der Toten auf dem Friedhof in Welper aber nicht durch Steine am Kopf- und Fußende der Verstorbenen gekennzeichnet, sondern wie hierzulande üblich komplett in Stein eingefasst.
Nach Mekka ausgerichtet sein müssen muslimische Gräber. Anders als zu früheren Zeiten und auch heute in Teilen der Türkei noch üblich, sind die Grabstätten der Toten auf dem Friedhof in Welper aber nicht durch Steine am Kopf- und Fußende der Verstorbenen gekennzeichnet, sondern wie hierzulande üblich komplett in Stein eingefasst. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Nach Mekka ausgerichtet sein müssen muslimische Gräber dabei. Anders als zu früheren Zeiten und auch heute in Teilen der Türkei noch üblich, sind die Grabstätten der Toten auf dem Friedhof in Welper aber nicht durch Steine am Kopf- und Fußende der Verstorbenen gekennzeichnet, sondern wie hierzulande üblich komplett in Stein eingefasst.

Muslimische Bestattungen

Für muslimische Beisetzungen gibt es spezielle Bestattungsunternehmen. Die meisten Mitglieder der Türkisch-Islamischen Ditib-Gemeinde zu Hattingen haben dabei einen Vertrag mit einem in Köln ansässigen Verein abgeschlossen, der ihnen im Bedarfsfall ein solches vermittelt, sagen Kamil Dogru und Metin Kaya, Ditib-Vorstandsmitglied. „Für Familien, die die Kosten für eine solche Bestattung nicht allein tragen können, sammeln wir – egal, ob sie für ihren verstorbenen Angehörigen eine Bestattung in Hattingen oder in der Heimat wünschen“, so Kaya.

Allerdings, so glauben er und Kamil Dogru, werde das Interesse an muslimischen Beisetzungen in Hattingen in Zukunft steigen. Denn zum einen werde für manche Moslems eine Bestattung in ihrem Herkunftsland gar nicht möglich sein – etwa für Syrer oder Afghanen islamischen Glaubens. Und zum anderen sei die Generation ihrer Kinder hier noch weitaus stärker verwurzelt als die ihre.

Eine Erweiterung des muslimischen Grabfeldes auf dem Friedhof in Welper sei „bei Bedarf jederzeit möglich“, erklärt derweil Solveig Holste Leiterin des Fachbereichs Stadtbetriebe und Tiefbau, auf WAZ-Anfrage.

Auch das von Kenan Dogru, auf dem ein Grabstein steht. Darauf steht auf Arabisch „Im Namen Gottes Rahim und Rahman fange ich an“. Darunter stehen sein Name, seine Lebensdaten und dann auf Türkisch: „Ruhuna Fatiha“ – mit dieser Inschrift werden Besucher des Grabes gebeten, für die Seele des Verstorbenen die Fatiha, die erste Sure des Korans, zu rezitieren.

Am Grab liest er zunächst stets die Eröffnungssure aus dem Koran

Kamil Dogru kommt dieser Bitte bei jedem Besuch des Grabes seines jüngeren Bruders nach, stets liest er zunächst die Eröffnungssure aus dem Koran, wie die meisten Moslems kennt er die Fatiha auswendig. Danach betet er oft noch viele weitere Suren, manche liest er ab aus dem Koran.

+++ Sie möchten über Nachrichten aus Hattingen auf dem Laufenden bleiben? Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter. +++

Kamil Dogru sagt, er sei schon bei vielen muslimischen Bestattungen mit dabei gewesen, auch bei den obligatorischen Vollkörper-Reinigungen, mit denen die Toten die rituelle Reinigung erlangen. Bei seinem Bruder allerdings habe er dies nicht gekonnt. „Bei den eigenen Liebsten fällt das sehr schwer.“ Kenan Dogru sei vom damaligen Imam der Ditib Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Hattingen für die Beisetzung vorbereitet worden, sagt Kamil Dogru, in einem Waschraum auf dem Friedhof in Welper. Vielfach werden Muslime aber auch im so genannten Gasilhane neben der Ditib-Moschee gewaschen. Danach wird gemeinsam gebetet, dann wird der Verstorbene zu Grabe getragen.

In der Türkei werden Verstorbene so früh wie möglich beigesetzt

Kenan Dogrus Beisetzung fand zwei Tage nach seinem Tod statt. Mindestens 48 Stunden nämlich mussten damals nach dem Bestattungsrecht hierzulande zwischen Tod und Bestattung liegen, nach dem aktuell geltenden Bestattungsgesetz sind es mindestens 24 Stunden. Solveig Holste, Leiterin des städtischen Fachbereichs Stadtbetriebe und Tiefbau, führt dies auf noch aus dem Mittelalter herrührende Ängste zurück, jemand könne womöglich nur scheintot sein. In der Türkei dagegen werden Verstorbene so früh wie möglich beigesetzt.

Dass sich Friedhofssatzungen und Landes-Bestattungsgesetz bislang nicht komplett mit den islamischen Bestattungsbräuchen decken, wird dabei nicht selten als Erklärung dafür angeführt, dass die Möglichkeit muslimischer Bestattungen hierzulande bislang nicht besonders häufig genutzt wird. Auch nicht in Hattingen: So sind hier seit 2002 gerade einmal zehn Moslems auf dem muslimischen Grabfeld in Welper beigesetzt worden, Platz ist hier für immerhin 40 Bestattungen in „jungfräulicher Erde“, in der zuvor noch kein anderer Verstorbener beigesetzt worden ist.

Muslime müssten in Hattingen nicht zwangsweise in einem Sarg beigesetzt werden

Muslime müssten in Hattingen dabei nicht zwangsweise in einem Sarg beigesetzt, wohl aber in einem solchen zu Grabe getragen werden, sagt Solveig Holste. Aus Pietät gegenüber all denen, die von der hiesigen Friedhofskultur geprägt worden seien. Eine Beisetzung im Leichentuch werde in Hattingen dagegen geduldet, „wenn die Angehörigen den Verstorbenen persönlich beisetzen und erst am Grab aus dem Sarg nehmen“.

Kamil Dogru betont unterdessen, die bislang geringe Nachfrage nach dem muslimischen Grabfeld in Welper gebe es nicht wegen solcher Vorschriften, auch wenn eine Beisetzung im Leichentuch in der Türkei die Regel und von der Religion her auch erwünscht sei. „Der Grund, warum viele Muslime, obwohl sie teils schon seit Jahrzehnten hier leben, hier nicht auch beerdigt werden wollen, ist einfach ein zutiefst emotionaler: Nach ihrem Lebensende wollen sie, dass ihre sterblichen Überreste wieder mit der Heimaterde und nichts anderem zusammen kommen.“

>>> Alle bisher erschienenen Folgen:

Hattingen: Corona hat Frau Böhm ihren Mann genommen

Hattingen: Warum Egon Stratmann Friedhofskunst wichtig nennt