Hattingen. Das Patenschiff Hattingens erzählt eine bewegte Geschichte – von der Rettung Schiffbrüchiger, Elefanten, Giraffen und viel schottischem Whisky.

Beep. Beep. Beep-be-beep. Beep. Womöglich hat es sich so angehört, wenn Hattingen Kontakt zur Hattingen aufgenommen hat – denn in den 1970er-Jahren gibt es immer wieder Funkverbindungen zwischen der Ruhrstadt und dem mächtigen, hochmodernen Frachter, der die Nordsee und die Südsee quert, der regelmäßig zwischen Europa und Amerika unterwegs ist. Ja, die MS Hattingen ist das Patenschiff der Ruhrstadt – ihren Namen verdankt sie der Hütte.

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Die Hamburger Großreederei Hapag-Lloyd hat das Motorschiff zu Ehren der Ruhrstadt auf deren Namen getauft – weil die Schiffs­bleche des Riesen mit dem charakteristischen Wulstbug zuvor auf der 2,8-Meter-Walzenstraße der Henrichshütte angefertigt wurden. Schiffsbauer ist in den 1960er-Jahren die Rheinstahl Nordseewerke GmbH – und die Henrichshütte gehört in dieser Zeit zu Rheinstahl.

Stapellauf am 18. Oktober 1967 – Hattingen steht am Tor zur Welt

Der Bug der MS Hattingen wurde auf der Henrichshütte gegossen.
Der Bug der MS Hattingen wurde auf der Henrichshütte gegossen. © Archiv | WaZ

Der Stapellauf erfolgt am 18. Oktober 1967, Bürgermeister Willy Brückner und Stadtdirektor Hans-Jürgen Augstein begleiten das Ereignis in Emden gemeinsam mit einer Delegation der Henrichshütte – Hattingen steht am Tor zur Welt.

Die MS Hattingen: 135 Meter lang, 20 Meter breit, 8400 PS und 8860 Bruttoregistertonnen – ein massiver Brocken. Heimathafen ist Hamburg, 38 Mann Besatzung gibt es, acht Passagiere sind erlaubt. Ebenso wie die neun, nahezu baugleichen Schwesterschiffe ist der Schnellfrachter für den Handel mit Westindien eingeplant – doch recht schnell fährt die MS Hattingen zu den Bahamas und in den US-Golf.

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Doch im Juli 1969 werden Kapitän Hans-Jürgen Voigt-Christiansen und sein Team zu Rettern in der Not. Und so ist es dazu gekommen: Rund 800 Seemeilen vor der US-Küste tost das Meer, Windstärke sieben sorgt für eine raue See. Plötzlich erkennt die Besatzung rote Leuchtsignale, sofort wird Gegenkurs gesteuert. Rasch nähert sich das Schiff den Lichtern – und fünf Schiffbrüchigen der britischen Segeljacht „Banba IV“.

Die Jacht wird in Schlepp genommen – doch das Tau reißt

Der Mast der „Banba“ hatte sich aus seiner Verankerung gelöst, der hölzerne Schiffsrumpf drohte auseinanderzubrechen. Wegen der extremen Wellenberge kann aber kein Rettungsboot zu Wasser gelassen werden. Die Jacht wird in Schlepp genommen – doch das Tau reißt. Was nun, was tun?

Folge 111 – Abschluss der „Gesichter und Geschichte(n)“

Mit der heutigen Geschichte über die MS Hattingen endet die WAZ-Serie „Hattingen persönlich – Gesichter und Geschichte(n)“.

In 111 Folgen hat WAZ-Redakteur Michael Brandhoff in den vergangenen zwei Jahren prominente, aber auch weniger prominente Menschen vorgestellt – Schauspielerin Marie-Luise Marjan und TV-Moderator Daniel Assmann gehörten ebenso dazu wie Hans-Dieter Pöppe, der in der Hattinger Bombennacht im Bunker geboren wurde, und Selma Abraham, die letzte jüdische Besitzerin des Bügeleisenhauses.

Die WAZ-Redaktion startet am kommenden Samstag eine neue Serie – seien Sie gespannt!

Die Seemänner hängen an der Steuerbordseite Netze aus, die sonst für die Übernahme von Ladung genutzt werden. Es gelingt, dass sich die Schiffbrüchigen in den Maschen festklammern und unverletzt auf die MS Hattingen klettern. Die Segeljacht wird aufgegeben.

Der Kontakt zwischen Hattingen und der Hattingen reißt nie ab. Zur Weihnachtszeit gibt es regelmäßige Besuche, bei denen eine Stadtdelegation Geschenke für die Besatzung mitbringt, darunter Weihnachtsbäume aus dem Hattinger Wald. 1974 reist Bürgermeister Brückner mit zwei Schülern in den Hamburger Hafen, die den Besuch beim Quiz „Seetransport einst und jetzt“ gewonnen haben.

Tierischer Transport von Europa nach Südamerika

Transportiert wird quasi alles: „Die Fracht reichte von Metall über Maschinen bis zu Chemikalien. Einmal sind wir nach Schottland gefahren, haben dort 8000 Tonnen Whisky geladen und sind damit nach New Orleans weitergefahren“, erinnert sich der langjährige Maschinist Wolfgang Heidenreich in einem WAZ-Gespräch.

Besuch im Januar 1968. Bürgermeister Willy Brückner (2.v.l.) und Stadtdirektor Hans-Jürgen Augstein (2.v.l.) auf dem Schiff.
Besuch im Januar 1968. Bürgermeister Willy Brückner (2.v.l.) und Stadtdirektor Hans-Jürgen Augstein (2.v.l.) auf dem Schiff. © Archiv | WAZ

Im August 1975 wird es tierisch: Die MS Hattingen macht auf Arche Noah und bringt Dromedare, Elefanten, Giraffen, Nashörner, Tiger, Zebras und ein Stachelschwein aus dem Zoo Gelsenkirchen nach Venezuela und auf die Insel Margarita.

Die MS Hattingen wird am 10. Oktober 1978 als „Miao Feng Shan“ an die China Ocean Shipping Co. (Volksrepublik China) verkauft und 1996 an einen unbekannten Eigner in Honduras. Am 24. November 1996 wird das Schiff in Alang/Indien verschrottet.

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