Hattingen. Bildhauer Richard Serra hat in den 1970ern einige seiner bedeutendsten Werke in Hattingen erstellt. Hier ist auch ein Dokumentarfilm entstanden.

Richard Serra ist ein Weltstar; er ist einer der bedeutendsten Bildhauer, kein Zweifel. Was diesen Mann mit Hattingen verbindet: Rund 40 seiner Arbeiten werden in den 1970er-Jahren auf der Henrichshütte ge­fertigt – darunter das „Terminal“, sein wohl wichtigstes Werk, das am Bochumer Hauptbahnhof steht und heute auf 15 bis 18 Millionen Euro Wert taxiert wird.

Auch der Film „Steelmill/Stahlmühle“ ist auf der Hütte entstanden. Der Dokumentarstreifen, den Richard Serra 1979 gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Clara Weyergraf dreht, zeigt die Arbeiten an seiner Skulptur „Berlin Block for Charlie Chaplin“, er zeigt aber auch die Arbeitsbedingungen im Werk.

Glühende Stahlblöcke werden durch die Werkshalle gezogen

Aufnahme-Arbeiten von Richard Serra.
Aufnahme-Arbeiten von Richard Serra. © Archiv | WaZ

Weiße Schrift auf schwarzem Bildschirm: Die erste Hälfte von „Steelmill“ besteht aus englischen Zwischentiteln, die den deutschen Originalton im Hintergrund für die amerikanischen Zuschauer übersetzen. Wann der letzte Streik war, fragt die Interviewerin einen Arbeiter: When was the last strike? – I can’t remember, er kann sich nicht erinnern. – Was verdienen Sie im Monat? – 1400 bis 1500 Mark netto. – Glauben Sie, dass Sie bis zur Rente dieselbe Arbeit machen werden? – Bestimmt nicht. – Fühlen Sie sich bei Ihrer Arbeit frei? – Um fünf nach zwei geh’ ich hier raus, dann hab’ ich meine Freiheit wieder.

Im zweiten Teil flimmern Bilder aus der Schmiede über den Schirm. Lange Einstellungen: Glühende Stahlblöcke werden von Kränen durch die Werkshalle gezogen. Die 8000-Tonnen-Presse, in der gerade ein Stahlwürfel bei 1200 Grad Celsius wie Knetgummi geformt wird. Der Lärm ist ungeheuerlich.

Sein Lieblingsmaterial Stahl bringt Richard Serra nach Hattingen

Aufnahme der Fertigung eines Stahlblocks für ein Kunstwerk des Bildhauers Richard Serra.
Aufnahme der Fertigung eines Stahlblocks für ein Kunstwerk des Bildhauers Richard Serra. © Silke Silke von Berswordt-Wallrabe

Sein Lieblingsmaterial Stahl bringt Richard Serra nach Hattingen, am liebsten mag er rostbraunen Corten-Stahl. Er formt Quader, Würfel, Röhren, lehnt Stahlplatten aneinander. „Ihr sollt Eure Seele mit einschmieden“, sagt er den 40 Arbeitern, die am Berlin Block beteiligt sind.

Als Dankeschön schenkt er allen zum Abschluss eine handsignierte Druckgrafik – einige wissen damit nichts anzufangen und schmeißen sie weg, andere machen sie später zu Geld und bekommen bei Auktionen bis zu 3000 Euro.

Richard Serra wird am 3. November 1939 in San Francisco geboren

Richard Serra wird am 3. November 1939 in San Francisco geboren. Er studiert an der University of California englische Literatur, jobbt parallel in einem Stahlwerk. Bereits in den 1960er-Jahren macht er sich mit Blei- und Gummiarbeiten in der Minimal-Art-Szene einen Namen.

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Er kommt nach Deutschland. Ins Ruhrgebiet. Nach Hattingen. Hartmut Alteheld, damals Hütten-Betriebsleiter, beschreibt ihn als „umgänglichen Typ, ohne Allüren“. Er sei beliebt gewesen – seine Kunst? „Na ja…“ Zuletzt arbeitet Serra Ende des vergangenen Jahrtausends an seiner Skulptur O.I.C. in der Schmiede. „Im Grunde möchte ich Skulpturen machen, die für eine neue Art von Erfahrung stehen, die Möglichkeiten von Skulptur eröffnen, die es so bislang nicht gab“, sagt er selbst. Serra-Kunstwerke stehen in Berlin und Luxemburg, in New York und Paris, in Doha und Bilbao. Und auch in London.

Serra polarisiert: In Bochum gibt es eine Hassliebe zum „Terminal“

Aufbau-Arbeiten für das „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof 1979. Gefertigt wurde es in der Nachbarstadt Hattingen.
Aufbau-Arbeiten für das „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof 1979. Gefertigt wurde es in der Nachbarstadt Hattingen. © Stadt Bochum

Serra polarisiert: Denn so anerkannt er unbestritten ist, so umstritten sind seine Werke. In Bochum beispielsweise gibt es eine Hassliebe zum „Terminal“, das 1977 für die „documenta 6“ geschaffen und von der Stadt Bochum für 350.000 DM gekauft wird. Die Proteste gegen den vermeintlichen „Schrott“ sind laut, aber Serra bleibt ruhig. Kompromisse? Niemals!

Die Präsenz seiner Werke ist für viele eine Provokation. Seine Bleche und Blöcke, schlicht, aber wuchtig, verschlungen, verschroben, verwoben. Wer sich damit auseinandersetzt, ist manchmal ratlos – denn die Skulpturen stehen für sich, haben keine tiefe Bedeutung.

Holocaust-Mahnmal und Stadtmuseum Hattingen

Schlagzeilen rund ums Millennium: Ende der 1990er-Jahre gehört Richard Serra zu mehreren Künstlern, die Vorschläge für das Holocaust-Mahnmal in Berlin eingereicht haben; Anfang der 2000er-Jahre wollen Hattinger Politiker ihn für die Eröffnung des Stadtmuseums gewinnen.

Aus beiden Vorhaben wird nichts: In Berlin steigt er aus und gefährdet damit sogar das gesamte Projekt – und Hattingen kommt an den Weltstar nicht ran. Es sei nicht einfach, Kontakt mit dem in New York lebenden Künstler herzustellen, erklärt Robert Laube vom Industriemuseum Henrichshütte im Jahr 2000. „Die Hütte ist zwar Serras Atelier – doch man kommt an den Mann nicht ran, es sei denn, man hat einen konkreten Auftrag.“

Zu seinem 80. Geburtstag widmet die New York Times Serra einen zehnseitigen Artikel – ein Element darin: die Henrichshütte, seine bevorzugte Fertigungsstätte. Sie war, nein, sie ist sein Atelier.

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