Hattingen. Er hat Hattingen vorangebracht: Hans-Jürgen Augstein hat als Stadtdirektor und im Bundestag gearbeitet – seine Art hat aber nicht jedem gefallen.

König. Helfer. Totengräber. Oder: Weitblick. Bürgerfern. Bürgernah. Ja, Hans-Jürgen Augstein polarisierte, 18 Jahre lang als Stadtdirektor und acht Jahre lang als Bundestagsabgeordneter. Was hängen bleibt: Seine Umgestaltung der Hattinger Innenstadt und seine Arbeit für eine Annäherung zwischen Ost und West – mehr als 20-mal setzte er sich erfolgreich bei Erich Honecker dafür ein, dass DDR-Bürger in die BRD ausreisen durften.

Schönstes Geschenk zum 50. kommt von Erich Honecker

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„Mein schönstes Geschenk habe ich bereits erhalten“, sagt er zu seinem 50. Geburtstag. Denn ein paar Tage zuvor antwortet ihm der SED-Generalsekretär, dass er empfohlen hätte, der Bitte Augsteins zu entsprechen und 20 DDR-Bürger ausreisen zu lassen. Bereits ein Jahr zuvor darf die junge Braut eines Hattingers umziehen – daraufhin werden Augstein Wünsche aus der gesamten Bundesrepublik zugesteckt. Etwa 20 Einzelschicksalen nimmt er sich dann an. „Die Sympathisanten der Entspannungspolitik haben sich keine Illusionen gemacht“, sagt er dazu.

Besuch auf der MS Hattingen: Stadtdirektor Augstein (2.v.l.), stv. Bürgermeister Grotthaus (Mitte) und Bürgermeister Brückner (2.v.r.). LInks ein Schiffsoffizier, rechts Kapitän Jacobs.
Besuch auf der MS Hattingen: Stadtdirektor Augstein (2.v.l.), stv. Bürgermeister Grotthaus (Mitte) und Bürgermeister Brückner (2.v.r.). LInks ein Schiffsoffizier, rechts Kapitän Jacobs. © StadtarchiV

Hans-Jürgen Augstein wird im Januar 1925 in Königsberg geboren. Mit 13 flieht er vor den Nazis aus Ostpreußen, es geht nach Visé in Belgien. Hier baut er sein Abitur, entscheidet sich 1948 für ein Studium der Rechtswissenschaften in Köln. Er wird Justiziar der Stadt Solingen. Im Jahr 1962 folgt der Ruf aus Hattingen – er wird Erster Beigeordneter und im November dann auch einstimmig zum Stadtdirektor gewählt.

Seine Entscheidungen gefallen nicht jedem

Dass seine Entscheidungen nicht jedem gefallen, liegt auf der Hand. Augsteins Lieblingskind ist die Innenstadt, er verwirklicht zum Beispiel das lang gewünschte Sportzentrum an der Schul- und Talstraße; zudem wird die B 51 ausgebaut – und endlich eine Fußgängerzone geschaffen. Nach der kommunalen Gebietsreform und der daraus gewachsenen Stadt Hattingen treibt er auch angefangene Projekte in den Stadtteilen voran – vor Ort wird das allerdings nicht immer so gesehen. Dieses Nörgeln mag aber auch daran liegen, dass Hans-Jürgen Augstein eher unnahbar wirkt, weil er nicht gerade mit offenen Armen auf seine Bürger zugeht.

Hans-Jürgen Augstein im Bundestag: Diese Aufnahme zeigt den Abgeordeneten aus Hattingen bei einer Rede im Herbst 1972.
Hans-Jürgen Augstein im Bundestag: Diese Aufnahme zeigt den Abgeordeneten aus Hattingen bei einer Rede im Herbst 1972. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Nach acht Jahren als Stadtdirektor strebt Augstein Veränderung an – und wird mit 106.000 von 170.000 Stimmen für die SPD in den Bundestag gewählt. Er geht offen mit Nachfragen zu seinem Verdienst im Bundestag um und legt am 29. Oktober 1973 Zahlen vor: „Aufwandsentschädigung 3270 DM – Unkostenpau­schale 1200 DM – Reisekostenpauschale 900 DM – Tagegeldpauschale 1000 DM; davon abgezogen werden: Versorgungsbeitrag 817,50 DM – Fraktionsbeitrag 450 DM; so dass ausgezahlt werden monatlich: 5102,50 DM.“ Sein Fazit: „Diese zur Auszahlung kommenden 5100 DM im Monat entsprechen genau dem, was der Abgeordnete auch netto hätte, wenn er Stadtdirektor in Hattingen geblieben wäre.“

Er bringt verschiedene Welten zusammen

Eine „kolossale“ 25.000-Kilometer-Reise führt ihn über Moskau und Tokio­ bis nach Peking, Augstein bringt mit anderen Abgeordneten verschiedene Welten zusammen. Die CDU vor Ort sieht ihn in diesen Jahren indes als „Totengräber“, weil er 1978 die Verringerung von 35.000 Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie gefordert habe – was das Aus für die Henrichshütte bedeuten würde. Hat er aber nicht. Er schreibt umgehend an die Belegschaft der Hütte: „Die CDU versucht, Euch ins Bockshorn zu jagen. Lasst Euch das nicht gefallen!“ Seine Zeit in Bonn bringt ihn aber näher zu den Bürgern.

Mit Engagement und Zielstrebigkeit gearbeitet

Mit 63 lässt sich Hans-Jürgen Augstein pensionieren. Er will mehr Zeit für seine Frau, seine Kinder und die sechs Enkel haben. Und in seiner Stadt ist er als Bürger natürlich weiter präsent. Er genießt beides.

Er verstirbt am 7. Oktober 2001 im Alter von 76 Jahren. 250 Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft nehmen bei der Trauerfeier auf dem Kommunalfriedhof an der Waldstraße Abschied.

Bürgermeister Dieter Liebig würdigte Augstein als Mann, der sich in herausragender Weise und mit großem persönlichen Engagement um die Stadt verdient gemacht hat: „Mit großer Zielstrebigkeit und vielen neuen Ideen brachte er die Stadt voran.“

Er wird wieder Stadtdirektor. Wieder wird die Zeit prägend. Altstadt-Erneuerung, neuer S-Bahnhof in Hattingen-Mitte, das macht ihn überraschend forsch: „Ich bin hier der König“, stellt er sich dem WAZ-Lokalchef Hans Wienholt vor. Wohlwissend­, dass er sofort seine Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt. Wer ist Augstein, fragt der Journalist: „Er ist ein Arbeitspferd, auch deshalb hat die Stadt ihm unbestritten viel zu verdanken“, sagt er darauf. „Er ist nicht nachtragend – das Visier öffnet sich wieder, wenn auch erst nach geraumer Zeit.“

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