Recklinghausen / Gladbeck. Gibt es einen Zusammenhang zwischen rechtsextremen Tendenzen und dem Beruf des Polizisten? Interview mit Polizeipräsidentin Zurhausen.

Einzelfälle oder ein strukturelles Problem? Wir haben mit Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen über Rechtsextremismus bei der Polizei gesprochen.

Anfang August wurden im Rahmen eines bei der Staatsanwaltschaft Essen geführten Strafverfahrens Arbeits- und Privaträume von Polizisten durchsucht. Die insgesamt fünf Beamten stehen im Verdacht, während ihrer Ausbildung in Chats Nazi-Symbole ausgetauscht und diskriminierende sowie menschenverachtende Inhalte verbreitet zu haben. Bei zwei Beamten bestand zudem der Anfangsverdacht, ein Video zu besitzen, das in den Bereich der Kinderpornografie falle. Drei der Beschuldigten sind Angehörige des Polizeipräsidiums Recklinghausen, die anderen beiden kommen aus Kleve und Borken. Was können Sie in diesem Fall zum aktuellen Stand der Ermittlungen sagen?

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dauern an. Und unsere Nachfragen haben ergeben, dass vor Januar auch nicht mit einer Entscheidung über die strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe zu rechnen ist. Neben der strafrechtlichen gibt es aber auch eine beamtenrechtliche Seite.

Das heißt?

Ich habe den drei Beamten das Führen der Dienstgeschäfte verboten. Dieses Verbot hat weiterhin Bestand. Die Beamten sind aufgefordert worden, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Am Ende dieses beamtenrechtlichen Verfahrens kann auch eine Entlassung stehen. Es handelt sich um Beamte in der Probezeit.

Stimmt es, dass ganz am Anfang Ermittlungen gegen einen jungen Kommissar aus Recklinghausen standen?

Gegen diesen Beamten war ein anderes Ermittlungsverfahren anhängig. Dabei handelte es sich um Vorwürfe, die in seine Ausbildungszeit fielen. Als er dann in meine Behörde gekommen ist und sich die Erkenntnisse verfestigten, haben wir ein Entlassungsverfahren eingeleitet. Er ist wegen charakterlicher Ungeeignetheit rechtskräftig entlassen worden. Im Zuge der weiteren Ermittlungen ist das Handy des Beamten sichergestellt worden. Das hat dann die weiteren Verfahren ausgelöst.

Sie wirkten nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen die drei Recklinghäuser Beamten auch persönlich betroffen…

Man muss sehen, dass sich diese Vorwürfe auch auf eine Zeit beziehen, in der die Vorfälle mit rechtsextremistischen Chatgruppen in Essen-Mülheim bekannt geworden sind. Daraufhin hat die mit der Aufklärung befasste Stabsstelle im Innenministerium einen Bericht mit Handlungsempfehlungen verfasst, die wir hier auch umsetzen. Dass es dann trotzdem möglich ist, dass junge Menschen in der Ausbildung dem Vorwurf ausgesetzt sind, solche Chats zu verbreiten oder miteinander zu teilen, das hat mich entsetzt und schockiert.

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Zumal wir uns in unserer Behörde schon seit Jahren mit unseren Werten auseinandersetzen. Und wir machen noch viel mehr in diesem Bereich, haben jetzt auch eine Arbeitsgruppe „mitMenschen“ gegründet, die sich darum kümmert, dass wir uns mit Menschen aus anderen soziokulturellen Bereichen treffen und austauschen – etwa mit Flüchtlingen oder mit Menschen aus muslimischen Kulturvereinen und der jüdischen Gemeinde -, um Vertrauen herzustellen. Vor diesem ganzen Hintergrund hätte ich solche Vorfälle einfach nicht mehr erwartet.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Berufsalltag von Polizisten und dem Entwickeln rechtsextremer Tendenzen?

Ich gehe nicht davon aus, dass Polizistinnen und Polizisten generell andere Einstellungen haben als der große Teil der Gesellschaft. Nur sind sie in der Tat besonderen Belastungssituationen ausgesetzt, die solchen Tendenzen förderlich sind. „Wer täglich dem Bösen begegnet, läuft Gefahr, den Blick für das Gute zu verlieren“. Das ist nicht von mir, sondern von Aristoteles. Aber dieses Zitat ist ganz treffend.

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Polizeibeamtinnen und -beamte machen Gewalterfahrungen, sind Beleidigungen und Respektlosigkeiten ausgesetzt, können auch immer wieder mit den gleichen Täter-Gruppierungen zu tun haben. Das macht etwas mit den Kolleginnen und Kollegen. Und da brauchen sie Unterstützung – von unserer Psychologin, unseren polizeilichen Seelsorgern oder indem sie im Dienstunterricht miteinander über diese Dinge sprechen.

Mal ganz konkret nachgefragt: Müssen Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund im Zuständigkeitsbereich Ihrer Behörde eher damit rechnen, kontrolliert zu werden, als Deutsche?

Ich kann jetzt nicht mit konkreten Zahlen dienen, aber wir haben Gesetze, aufgrund derer wir Kontrollen durchführen. Ich erwarte von meinen Kolleginnen und Kollegen, dass sie auch genau danach handeln. Dass es auch anlasslose Kontrollen geben könnte, kann ich bei so vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meiner Behörde zwar nicht ausschließen. Aber zu Ohren gekommen ist mir diesbezüglich nichts. Und in unserer Beschwerdestelle, die ich sehr wichtig finde, weil ich für eine offene Fehlerkultur stehe, gab es in diesem Jahr auch keine mit rassistischen Vorwürfen belegten Beschwerden.

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Aber das ist ein ganz sensibler Bereich, und ich kann nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die sich auch wirklich so fühlen, dass sie etwa nur aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert werden. Gleichzeitig kommt es natürlich auch vor, dass unsere Beamtinnen und Beamten in teilweise sehr beleidigender Form mit dem Vorwurf konfrontiert werden, sie würden jemanden, der beispielsweise zu schnell gefahren ist, ja nur anhalten, weil er Ausländer sei. Auch diesem Reflex sind meine Beamtinnen und Beamten ausgesetzt.

Es gibt die Ermittlungen gegen die drei Recklinghäuser Beamten, Sie haben selbst die Vorfälle in Essen-Mülheim angesprochen, Jan Böhmermann hat kürzlich die rechtsextremen Chats der Frankfurter Polizei öffentlich gemacht. Sind das Einzelfälle – oder gibt es hier ein strukturelles Problem?

Mit dieser Frage beschäftigen sich ja auch immer wieder wissenschaftliche Untersuchungen. Aktuell läuft etwa die Studie „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten – MEGAVO“ von der Deutschen Hochschule der Polizei mit dem Bundesinnenministerium. Endgültige Ergebnisse liegen erst mit Abschluss der Studie im Jahr 2024 vor. Aber ich sehe vor allem meine Behörde und da ist jeder Einzelfall zu viel. Ich erkenne, dass man sich des Themas annehmen muss, und überlege immer weiter, wie bei meinen Kolleginnen und Kollegen die demokratische Resilienz gestärkt werden kann. Ich sage aber auch, dass das Thema – alleine diese drei Fälle – mit unserer Behörde etwas macht.

Inwiefern?

Ich vertraue meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen voll und ganz. Und diese erleben es genauso als enttäuschend und frustrierend, dass das Vertrauen in ihre polizeiliche Arbeit durch solche Fälle erheblich beeinträchtigt wird. Das wollen sie nicht. Nach einer Forsa-Umfrage aus dem Frühjahr haben 77 Prozent der Befragten ein hohes Vertrauen in die Polizeiarbeit. Diesem immer wieder gerecht zu werden, ist unsere Verantwortung. Wir haben eine besondere Verantwortung. Weil uns das Gewaltmonopol obliegt, sind wir dazu verpflichtet, professionell und rechtsstaatlich zu handeln. Ich erwarte von meinen Polizeibeamtinnen und -beamten, dass sie auf der Grundlage unserer Verfassung arbeiten. Die Kolleginnen und Kollegen meiner Behörde, die Respekt und Anerkennung für ihre Arbeit verdienen, teilen meine Auffassung, dass rechtsextremes und menschenverachtendes Gedankengut bei der Polizei nichts zu suchen haben.