Das Gladbecker Glaswerk will klimaneutral produzieren. Eine Arbeitsgruppe Wasserstoffproduzenten und Netzbetreibern will Grundlagen dafür legen.
Pilkington hat es eilig, das Gladbecker Glaswerk soll das erste sein, in dem Glas klimaneutral erzeugt wird. Hier in Gladbeck wird unter anderem das Glas erzeugt, das im Wittener Pilkington-Werk weiter verarbeitet wird. Der Plan, klimaneutral zu werden, ist ein ehrgeiziges Vorhaben, denn die Produktion von Glas ist sehr energieintensiv. Das Gladbecker Werk benötigt etwa soviel Erdgas wie eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern.
Kein Wunder also, dass „wir unsere Dekarbonisierungsreise schon vor einigen Jahren begonnen haben“, erläutert Dirk Franke, bei Pilkington verantwortlich für strategische Projekte. 20 Prozent des Energiebedarfs sollen in Zukunft aus grünem Strom kommen, 80 Prozent aus Wasserstoff, so die Strategie.
Um Wasserstoff nach Gladbeck zu bringen, braucht es viele Partner
Doch diese Reise - um im Bild zu bleiben - ist nicht allein von Pilkington abhängig. Es braucht viele Partner, die diese Strategie mit vorantreiben. Zunächst braucht es den Produzenten des Wasserstoffs. Dann muss der grüne Wasserstoff nach Gladbeck transportiert werden, da kommen die Netzbetreiber ins Spiel.
Schon mehrfach hat sich deshalb eine Gruppe getroffen, in der all diese Unternehmen zusammenkommen. Neben Pilkington ist es RWE Generation, die in Lingen Wasserstoff produzieren will, dazu Vertreter von Open Grid Europe (OGE), das Unternehmen betreibt die großen Netze. Die Ele-Verteilnetz GmbH (EVNG) als lokaler Netzbetreiber sitzt ebenfalls am Tisch.
Denn die Ziele bei Pilkington sind ehrgeizig, das macht Franke deutlich. Das hängt aber auch mit der Besonderheit der Glasproduktion zusammen. Das Werk läuft 24 Stunden am Tag an 365 Tagen im Jahr. Die Anlage steht niemals still, sie wird kontinuierlich befeuert -- was bei bis zu 1700 Grad Celsius in den Schmelzbecken durchaus wörtlich zu verstehen ist. Alle 15 Jahre wird eine der beiden Produktionslinien im Gladbecker Werk für eine Großrevision gestoppt.
Pilkington will Großrevision in Gladbeck 2026 für Vorbereitungen nutzen
Im zweiten Quartal 2026 steht in Gladbeck eine solche Revision an. Pilkington will sie nutzen, um alles für den Betrieb mit Wasserstoff vorzubereiten. Franke spricht vom sogenannten „Fuel-Switch“, der Abkehr von fossilen Brennstoffen. Das wird 2026 noch nicht so weit sein, doch soll alles für die Zukunft vorbereitet sein. Schließlich geht es auch darum, den Standort Gladbeck mit rund 470 Beschäftigten zukunftsfit zu machen.
Pilkington hat seine Hausaufgaben indes bereits gemacht. In einem Werk in England hat das Unternehmen bereits einen Test gefahren und Wasserstoff im Produktionsbetrieb eingesetzt. Die technische Machbarkeit ist also gegeben. Gelänge es, vollständig auf Wasserstoff umzusteigen, so bedeute das, dass die Schmelzwannen, die den Großteil der gesamten CO₂-Emissionen des Unternehmens ausmachen, klimaneutral befeuert werden könnten. Bis 2045 will man klimaneutral sein, so das Ziel des Mutterkonzerns, der NSG-Gruppe.
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Doch dafür muss ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar sein, und der muss in Gladbeck ankommen. Franke bringt es auf den Nenner: Es brauche die Moleküle und die Netzleitungen. Gemeinsam mit der Business-Metropole Ruhr –einer RVR-Tochter – und der regionalen Wirtschaftsförderung Win Emscher-Lippe geht es nun also darum, das hinzukriegen – und zwar möglichst rasch. Am liebsten wäre es dem Unternehmen selbstverständlich, wenn es schon 2026 funktionieren würde. Von dieser Illusion jedoch habe man sich verabschiedet, gesteht Franke.
Leitung von Dorsten nach Duisburg mit Abzweig für Gladbeck?
Das Kernwasserstoffnetz sieht für Gladbeck erst eine Chance für 2032, das sagt Stephan Kern von OGE. Allerdings gibt es vielleicht doch eine Möglichkeit. Schon 2027 soll eine Leitung von Lingen über Dorsten bis zu Thyssen-Krupp in Duisburg führen. In Lingen baut die RWE-Tochter RWE-Generation aktuell eine Anlage, um Wasserstoff herzustellen. Entsprechende Elektrolyseure sind bereits bestellt, im September wurde dort erstmalig in einer Testanlage Wasserstoff hergestellt.
Nun gibt es Überlegungen, ob von der geplanten Leitung nach Duisburg nicht schon früher ein Abzweig in die Region gebracht werden kann. Hier kommt die EVNG als regionaler Netzbetreiber ins Boot. Geschäftsführer Boris Pateisky hält das für eine Option. Möglicherweise könne das im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung, die ja auch ansteht, abgestimmt werden, so die Idee bei der EVNG. Unklar sind jedoch noch die Kosten – und das betrifft nicht allein das Gladbecker Projekt – sondern den gesamten Umstieg auf Wasserstoff. Dirk Franke geht davon aus, dass es nicht ohne staatliche Unterstützung gehen wird. Er vergleicht den Umstieg auf Wasserstoff mit einem Jumbo-Jet, der Starthilfe brauchen wird, um abzuheben. Er geht jedoch davon aus, dass die Politik da zu ihrem Wort steht.
Er hofft, dass Pilkington dann schon 2027 oder 2028 den Umstieg auf klimaneutrale Produktion schaffen kann. Das hofft auch Babette Nieder, Wasserstoff-Koordinatorin bei der Win Emscher-Lippe. Dort hat man ehrgeizige Ziele für die Region, will sie zum Vorreiter in Sachen Wasserstoff machen und dafür den begehrten Stoff aus Lingen und später auch anderen Quellen, in die Region holen. In einem Leitbild seien entsprechende Ziele bis 2030 definiert worden, so Babette Nieder. Ein Glaswerk, das seinen Energiebedarf bis dahin aus grünem Wasserstoff deckt, würde in eine solche Strategie gut passen.