Gladbeck. Im Jugendamt wurden Fristen versäumt. Auf diese Weise sind der Stadt Einnahmen von fast einer Million Euro entgangen. Die Hintergründe.

Der Stadt Gladbeck sind Einnahmen in Höhe von rund einer Million Euro entgangen. Der Grund: Im Jugendamt wurden Fristen versäumt und Meldedaten über Jahre nicht kontinuierlich abgeglichen. Das geht aus einem Bericht des Rechnungsprüfungsamts hervor, der der Redaktion vorliegt, und der auch im nichtöffentlichen Teil einer Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses bereits im März der Politik vorgelegt wurde.

Da sich die Bearbeitungsrückstände über einen Zeitraum von mehreren Jahren aufgebaut haben, sind Erstattungsansprüche in nicht unerheblicher Höhe bereits verjährt.“
Aus dem Bericht des Rechnungsprüfungsamtes

In dem Bericht beziffern die Rechnungsprüfer den finanziellen Schaden, der der Stadt über die Jahre entstanden ist, „nach derzeitigem Sachstand“ auf 966.466,12 Euro. Das sei auch nach wie vor noch aktuell, teilte Christiane Schmidt, Kommunikationschefin im Rathaus, auf Nachfrage mit. Und man hat noch Glück, in einigen Fällen ist noch, oder springt womöglich noch die Eigenschadenversicherung der Stadt ein, sonst wäre die Summe noch höher ausgefallen. Im Prüfbericht heißt es aber auch: „Da sich die Bearbeitungsrückstände über einen Zeitraum von mehreren Jahren aufgebaut haben, sind Erstattungsansprüche in nicht unerheblicher Höhe bereits verjährt.“ Seitens der Versicherung seien bislang 13.035,45 Euro eingegangen, so Christiane Schmidt. „Ein Verfahren befindet sich derzeit noch in der Entscheidung.“ Verjährt sind Fälle aus den Jahren 2014 bis 2018.

Gladbeck hat auch dann noch gezahlt, wenn man eigentlich nicht mehr zuständig war

Betroffen ist die wirtschaftliche Jugendhilfe, ein – so räumen es die Prüfer selbst ein – hochkomplexes Sachgebiet. Es geht darum, Familien Hilfen bei der Erziehung der Kinder zu gewähren – bis hin zur Unterbringung in Heimen. Diese Hilfen – wie immer sie auch aussehen, müssen gezahlt werden. Dafür müssen Eltern einen Teil aufbringen, einen Teil aber auch die Städte. Die Zuständigkeit der Kommunen ergibt sich aus dem Wohnort der Eltern.

„In der Gesamtbetrachtung der o. g. Sachverhalte wird festgestellt, dass eine kontinuierliche und sorgfältige Sachbearbeitung in den geprüften Fallakten überwiegend nicht erfolgt ist.“
Aus dem Bericht des Rechnungsprüfungsamtes

Ein Problem, das die Prüfer ausgemacht haben: In Gladbeck wurde das Melderegister nicht regelmäßig abgeglichen. Heißt im Klartext: Die Stadt hat auch dann noch gezahlt, wenn betroffene Familien womöglich gar nicht mehr in Gladbeck gelebt haben und andere Städte zuständig gewesen wären. Forderung ließen sich aber nicht mehr erheben, bzw. seien von anderen Kommunen mit Hinweis auf die Verjährung abgelehnt worden. Es gab auch Fälle, da habe es Zusagen zur Kostenübernahme aus anderen Städten in den Akten gegeben, allerdings seien die nicht weiter verfolgt worden. Weiter seien auch Elternbeiträge nicht konsequent eingefordert worden.

Rechnungsprüfer wurden im Auftrag von Gladbecks Bürgermeisterin aktiv

Was die Rechnungsprüfer in dem knapp 20-seitigen Prüfbericht folgern, liest sich in manchen Fällen wie eine schallende Ohrfeige für die Abteilung. So heißt es an einer Stelle: „In der Gesamtbetrachtung der o. g. Sachverhalte wird festgestellt, dass eine kontinuierliche und sorgfältige Sachbearbeitung in den geprüften Fallakten überwiegend nicht erfolgt ist.“ Zudem habe die Prüfung ergeben, „dass Wiedervorlagen nicht angelegt wurden bzw. ganz fehlten. Zum Teil waren Anschreiben unbearbeitet in den Akten abgeheftet worden. Darüber hinaus hat die örtliche Rechnungsprüfung Fehler bei der Beurteilung von Zuständigkeiten festgestellt.“

Insgesamt haben sich die Prüfer 60 Fallakten vorgenommen. Aufgefallen waren die Versäumnisse im Jugendamt selbst. Die Amtsleitung habe Bürgermeisterin Bettina Weist über erhebliche Bearbeitungsrückstände hinsichtlich der Prüfung und Geltendmachung von Kostenerstattungen informiert – so der Passus im Prüfbericht. Die Bürgermeisterin hat daraufhin dem Rechnungsprüfungsamt den Auftrag erteilt, genau hinzuschauen.

Lange Fehlzeiten und hoher Krankenstand in der Abteilung

Bereits 2011 hatte der damalige Bürgermeister Ulrich Roland eine Prüfung der wirtschaftlichen Jugendhilfe beauftragt – aus demselben Grund wie nun auch wieder: erheblicher Bearbeitungsrückstand. Als Ursache wurden damals die stark gestiegenen Fallzahlen ermittelt, die nicht mit einem entsprechenden Personalzuwachs einhergingen. Damals wurde die Abteilung von zwei auf vier Stellen aufgestockt, die Rückstände wurden laut aktuellem Prüfbericht abgearbeitet.

Doch dann sei es in den Jahren 2014 und 2015 aufgrund von Personalwechseln zu mehrmonatigen Vakanzen gekommen, „die letztlich erneut zu erheblichen Arbeitsrückständen führten“. Einsatzkräfte, die das Team hätten unterstützen sollen, seien krankheitsbedingt ausgefallen. Diese Situation habe sich weiter verschärft, als die inzwischen im Ruhestand befindliche Abteilungsleitung längerfristig krankheitsbedingt ausfiel. Die Rechnungsprüfer beziffern den Krankenstand in der wirtschaftlichen Jugendhilfe in den Jahren 2020 und 2022 auf im Schnitt 40,57 Tage sowie 47,28 Tage. Zum Vergleich führen die Rechnungsprüfer in ihrem Bericht den bundesweiten Durchschnitt von 2021 auf – 11,2 Tage.

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Auch die Arbeitszeitkonten haben die Prüfer in den Blick genommen: Demnach hätten drei Beschäftigte ein Zeitguthaben von 40 bis 91 Stunden gehabt, bei drei anderen habe das Arbeitszeitkonto ein negativer Saldo ausgewiesen – sprich die Mitarbeiter hatten Minusstunden. Das Rechnungsprüfungsamt jedenfalls kommt zu dem Schluss, dass es „nahe liege, dass diese Versäumnisse der Personalsituation der vergangenen 10 Jahre geschuldet sind“. Abschließend vermöge man das rückblickend aber nicht zu beurteilen.

Stadt prüft rechtliche Schritte

Die Lokalredaktion hat der Stadt einige Fragen zu dem Bericht der Rechnungsprüfer gestellt. Die hat die Verwaltung auch beantwortet, zusätzlich weist sie aber noch einmal darauf hin, dass der Rechnungsprüfungsausschuss nicht-öffentlich tagt und auch Prüfberichte und andere Ausschussunterlagen entsprechend nicht-öffentlich seien.

Für die Ausschussmitglieder bedeutet das, dass sie zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Die Verwaltung verweist da auf den entsprechenden Paragrafen der Gemeindeordnung. Verstöße dagegen, so der Hinweis der Verwaltung, könnten mit einem Ordnungsgeld geahndet werden. Tatsächlich kommt es immer mal wieder vor, dass nicht-öffentliche Unterlagen und Beratungen, den Weg nach draußen finden. Sanktionen werden in der Regel nicht verhängt, zumal auch Redaktionen ein Zeugnisverweigerungsrecht haben und Informanten auf diese Weise schützen.

Die Stadtverwaltung macht deutlich, dass alle Ausschussmitglieder die rechtlichen Rahmenbedingungen kennen. Aufgrund des nun vorliegenden Falles prüfe man nun rechtliche Schritte.

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