Gladbeck. Der evangelische Pfarrer Sebastian Amend gibt seinen Beruf erst einmal auf. Warum er diesen Schritt wagt und mehr Zeit für Kinder haben will.
Pfarrer Sebastian Amend verlässt zum Jahresende die evangelische Kirchengemeinde Gladbeck, um in eine längere Elternzeit zu gehen. Ein Mann, der sich in Gänze und für Jahre der Familie verschreibt? Darüber hat Werner Waldner mit dem 37-jährigen Seelsorger, Vater von zwei Kindern, gesprochen.
Herr Amend, was ist am Vatersein so schön, dass Sie Ihre Pfarrstelle aufgeben und zunächst einmal nichts anderes mehr machen wollen?
Das überzeugendste Argument sitzt gerade auf meinem Schoß, meine Tochter. Es ist einfach wunderbar toll, zwei Menschen dabei zu begleiten, wie sie die Welt entdecken, wie sie die Dinge zum ersten Mal wahrnehmen, wie sie sich über einen Schoko-Nikolaus im Stiefel freuen und strahlen. Das nimmt mich mit, da freue ich mich, ein Teil davon sein zu dürfen.
Hat es Sie selbst überrascht, dass Sie die Vaterrolle so begeistert?
Ich war nicht überrascht davon, dass mich Kinder begeistern, aber mich hat es überrascht, wie umfassend und total diese Inanspruchnahme sein kann. Eigentlich hätte ich es mir aber denken können… Für mich war immer klar: Ich werde Gemeindepfarrer, und das ist das, was ich mein Leben lang tun will. Und daran hat sich nichts geändert. Aber wir haben daheim dann auch festgestellt: Es ist so schön, wenn diese kleinen Menschen ganz viel von uns begleitet werden können. Und das will ich nun so mit ganzem Herzen und ganzer Kraft tun, wie ich auch Pfarrer gewesen bin.
Die Gesellschaft strebt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an. Ist das Ziel noch nicht erreicht oder wollen Sie für sich diese Vereinbarkeit überhaupt nicht haben?
Ich glaube, dass es diese Vereinbarkeit mittlerweile für viele Menschen gibt und dass sie das auch so leben. Man kann auf viele Unterstützungssysteme zurückgreifen, wenn man das möchte. Wir möchten es für uns nicht. Wir möchten eine ganze Kraft in der Familie haben. Das ist für die Kinder gut, für die Großeltern, für ganz viele, die zu unserer Familie dazugehören.
Mittlerweile klingt Ihr Modell altmodisch. Haben Sie sich dafür im Freundeskreis schon rechtfertigen müssen?
Einerseits ist’s altmodisch. Dass ich als Mann das mache, ist es aber andererseits nicht. Natürlich hat meine Mutter gefragt: Junge, wofür haben wir dich studieren lassen? Und natürlich haben uns Menschen gefragt, ob wir uns das gut überlegt haben, weil der Beruf – gerade auch meiner – immer einen gewissen Grad von Erfüllung gibt.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung hin dazu, dass viele Eltern auch berufstätig sein wollen?
Ich finde es gut, wenn die Eltern sich entscheiden können, ob sie berufstätig sein wollen oder nicht. Es ist schön, wenn beides möglich ist – die Berufstätigkeit der Eltern, weil ihnen der Job etwas gibt und deshalb auch die Familie profitiert, oder eben die Entscheidung, dass Mutter oder Vater bei den Kindern bleibt. Es ist schade, wenn man durch die finanzielle Situation gezwungen ist, dass beide Elternteile arbeiten müssen. Es wäre gut, wenn wir als Gesellschaft beides möglich machen würden.
Sind Sie in Eltern-Kind-Gruppen als Mann immer noch ein Exot?
Ja – außer beim Turnen, da sind auch viele Väter dabei. Das mag aber auch daran liegen, dass das Turnen am späten Nachmittag ist.
Warum sind Väter noch so zurückhaltend, wenn es um eine lange Elternzeit geht?
Ich selbst bin ja davon überrascht worden, dass es neben dem Beruf noch eine zweite Option geben kann. Vielleicht wagen Männer diesen Schritt ins Unbekannte noch nicht so sehr. Ich habe in meinem Beruf aber auch das Glück, dass er eine große Flexibilität mitbringt und mich herauslässt, ohne dass ich die Sorge haben muss, später nicht mehr zurückkehren zu können.
Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit als Gemeindepfarrer mit?
Dass es super wichtig ist, bei den Menschen zu sein. Deshalb ist das, was ich jetzt mache, gar nicht so anders.
Was heißt das, bei den Menschen zu sein?
Als Gemeindepfarrer bringe ich in jedes Gespräch Gott mit. Und ich bringe mich mit. Gleichzeitig ist es mir ganz wichtig, den Menschen zu Wort kommen zu lassen, zu fragen, was sie bewegt und beschäftigt. Ich will da sein, Fragen stellen und gar nicht so sehr Eigenes einbringen.
Die Kirche als Institution ist gar nicht so wichtig?
Sie ist als Institution wichtig, um so eine Arbeit zu ermöglichen.
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In Gladbeck ist es Ihre erste Stelle. Wenn Sie ein erstes Fazit ziehen: Ist das die Arbeit, die Sie machen wollen?
Absolut. Und wenn ich nach der Elternzeit wieder in den Beruf gehe, dann möchte ich genau das machen – Gemeindepfarrer sein.
Ist Gemeinde nicht ein Auslaufmodell?
Vielleicht müssen wir uns irgendwann einmal anders organisieren. Aber Kirche kann nicht nah genug bei den Menschen sein. Wir müssen in der Fläche präsent sein, und wir müssen für alle Menschen da sein – nicht nur für die, die zur Gemeinde gehören.
Sie sind ein großer Bücher-Liebhaber. Mit welcher Lektüre kommen Sie bei Ihrer zweijährigen Tochter gut an?
Der absolute Hit sind momentan die Conni-und-Max-Bücher – Geschichten um ein Mädchen und einen Jungen, die ganz alltägliche Dinge für sich entdecken.
Und haben Sie selbst ein Lieblingsbuch? Die Bibel zählt nicht als Antwort.
Da würde die Bezeichnung Lieblingsbuch auch nicht passen, weil sie mich immer wieder herausfordert und kritische Fragen an mich stellt. In der Bibel bin ich immer in Auseinandersetzung mit Gott. Ich habe früher wahnsinnig gerne Karl-May-Bücher gelesen, weil ich in dieser Welt versinken konnte. Heute schätze ich die Bücher von Brandon Sanderson. Das ist dann eine Welt, in der ich entspannen und abschalten kann.