Gladbeck. Der Belastungsversuch der Decke am maroden Riesener-Gymnasium ist abgeschlossen. Die Ergebnisse mischen die Karten wohl noch mal ganz neu.

An der Wand ein profanes Graffito, Staub in der Luft, moderiger Geruch. Das ist eine Schule? Ja, und nein, das Grüppchen um den Gladbecker Bildungsdezernten Rainer Weichelt schleicht am Mittwoch durch schummriges Zwielicht des Obergeschosses des Riesener-Gymnasiums. Genau, DAS Obergeschoss, gesperrt seit Sommer 2021, wegen mutmaßlich fragwürdig-tragfähigen Decken. Ein schwerer Schlag ins Kontor für die Schulgemeinschaft, die Durchhaltedevise „Zusammenrücken“ sorgte in der Elternschaft eher für Murren als für Zuversicht. Doch jetzt keimt Hoffnung: Die Decke kann nämlich 50 VW Golf 1 tragen.

Daten von der Decke: Die Sensoren beim Belastungstest am Gladbecker Riesener-Gymnasium können Bewegungen in der Decke auf einen tausendstel Millimeter genau bestimmen.
Daten von der Decke: Die Sensoren beim Belastungstest am Gladbecker Riesener-Gymnasium können Bewegungen in der Decke auf einen tausendstel Millimeter genau bestimmen. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Kurz zur Genese des Decken-Dramas: Eigentlich sollte noch eine Etage auf das Riesener gebaut werden, dabei flog der Beton in der Decke auf. Der ist nämlich so alt und seltsam zusammengesetzt, dass dessen Tragfähigkeit nicht sicher berechnet werden kann. „Das unterschreibt dann natürlich kein Gutachter, wenn man keine eindeutigen Zahlen hat“, sagt Rainer Weichelt. Auftritt Christian Keller, Amt für Immobilienwirtschaft: Von früher kannte der noch Michael Fischer, Bauingenieur und Spezialist für Tragfähigkeit von Decken. Er nimmt die Decke des Rieseners ganz genau unter die Lupe, ist von der Stabilität überzeugt, aber: „Das ist nicht unterschriftentauglich für einen Gutachter. Deswegen sind wir beim Belastungsversuch gelandet.“

Belastbarer Aussagen zur Tragfähigkeit der Decke am Gladbecker Riesener-Gymnasium

Belastungsversuch, das ist das Zauberwort dieser Tage am Riesener-Gymnasium, und die Spezialität von Ingenieur Gunter Hahn und seiner Leipziger „Ingenieurgesellschaft für experimentelle Bauwerksuntersuchung“ (IEXB). Was Hahn und seine Mitarbeiter in einem der Klassenräume aufgebaut haben, ginge auch als moderne Kunstinstallation durch, rote Streben, Stangen durchstoßen die Decke, ihr Innenleben ist freigelegt, die Experten nennen das Gewurschtel liebevoll „Sauerkraut“.

Und der Versuch funktioniert so: Auf dem Dach der Schule liegen gekreuzte Metallstangen, Eisenbahngleisen nicht unähnlich. Durch Stangen sind sie an acht Punkten mit dem Konstrukt im Klassenraum verbunden und können so hydraulisch nach unten gezogen werden – und simulieren Druck aufs Dach. „Unter der Decke sind Sensoren angebracht, die auf ein tausendstel Millimeter Verformungen in der Decke messen“, erklärt Gunter Hahn.

Druck von oben: Durch hydraulische Stangen wird die Last auf dem Dach des Gladbecker Riesener-Gymnasiums nach unten gezogen.
Druck von oben: Durch hydraulische Stangen wird die Last auf dem Dach des Gladbecker Riesener-Gymnasiums nach unten gezogen. © Fischer & Co. | Dr. Michael Fischer

Das bilde die Realität ab, sagt der Experte, und liefere – kein Wortspiel – „belastbare Aussagen“. Um die Ergebnisse ein bisschen anschaulicher zu verpacken – beim Stichwort „Stochastik“ zuckt manch einer unvermittelt zusammen – sprechen Fischer und Hahn in Bilder. „Die Last, die die Decke im Versuch getragen hat, entspricht 50 VW Golf 1, also 50 Tonnen.“ Oder 13 Meter Schnee. Der Vergleich passt, denn im Superwinter 1978 lasteten drei bis vier Meter Schnee auf der Decke, die hielt damals stand.

Nach Belastungsversuch in Gladbeck: „Ausbau des Rieseners komplett neu denken“

Dank des Golfs auf dem Dach hat die Stadt Gladbeck jetzt einen Trumpf in der Hand. Natürlich müssen die Ergebnisse noch von einem Gutachter abgenommen werden, aber die Experten, und auch Rainer Weichelt, sind ausdrücklich optimistisch. „Die Last, die wir getestet haben“, sagt Michael Fischer und blickt gen Decke, „ist deutlich höher, als eine abschließende Decke aushalten muss.“

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Und was heißt das, wenn sich die Riesener-Schüler jetzt doch keine Sorgen machen müssen, dass ihnen beim Chemieunterricht die Decke auf den Kopf fällt? „Dann werden wir den Ausbau des Riesener-Gymnasiums noch mal komplett neu denken“, sagt Rainer Weichelt. 50 Tonnen Hoffnung also für die Schüler, Eltern und Lehrer am Riesener, eine Lösung ist aber trotzdem noch nicht unmittelbar in Sicht.

>> ERGEBNISSE SIND AUF DIE ANDEREN KLASSENRÄUME ÜBERTRAGBAR

  • Die IEXB hat in ihrem Belastungsversuch einen „30-prozentigen Übertragungsfaktor“ einkalkuliert.
  • Das heißt, dass die Ergebnisse aus dem Test-Klassenraum auch auf andere Räume übertragen werden können.
  • Neben dem gesamten Obergeschoss ist noch ein weiterer Flur gesperrt, dort hat es die obere von zwei Etagen getroffen.