Gladbeck. Gladbecks Apothekerschaft streikt am 27. September. Unterfinanzierung und Lieferprobleme sind zwei der Punkte, auf die Pharmazeuten hinweisen.
So manch’ bittere Pille mussten die Fachleute, die Apotheken betreiben, schon schlucken. Doch irgendwann liegen die Probleme so schwer im Magen, dass die Betroffenen zur Gegenwehr greifen. Die Gladbecker Apothekerschaft ist zum Streik am 27. September ab 13 Uhr aufgerufen. In der Hoffnung, dass Rezepte auf den Tisch kommen, die gegen Unterfinanzierung, wuchernde Bürokratie und Medikamenten-Lieferengpässe wirken. Denn ohne Therapie könnte demnächst ein Drittel der Apotheken in Gladbeck vor dem Aus stehen, warnt Expertin Dorothee Pradel.
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Die 61-Jährige ist Inhaberin der Elefanten-Apotheke und Vertrauensapothekerin. Wenn sie aus ihrem Alltag und dem ihrer Kollegen erzählt, wird deutlich: Die Zeiten, in denen ihr Beruf als sichere, lukrative Bank galt, sind passé. Die Folge: Angesichts der verschlechterten wirtschaftlichen Lage und Arbeitsbedingungen überlegen es sich Nachwuchskräfte dreimal, ob sie sich selbstständig machen – und entscheiden sich häufig gegen diesen Schritt.
Gladbecker Apotheken-Inhaber suchen händeringend nach Nachfolgern
Für Dorothee Pradel ist dies durchaus nachvollziehbar. Sie stellt fest: „Die meisten Apotheker gehen heutzutage in die Industrie.“ (Große) Unternehmen bieten ein sicheres, gutes Einkommen bei verlockenden Arbeitsbedingungen. Warum sich also auf ein eigenes Risiko einlassen?
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„Früher machten sich noch junge Apotheker selbstständig, das sind wir heute“, sagt Dorothee Pradel. Mit „wir“ meint sie all’ jene Pharmazeuten, die um die 60 Jahre sind und in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen oder zumindest gehen wollen. „In dem Alter sind in Gladbeck fast alle Apotheken-Inhaber. „Jünger sind nur drei, und sie sind eher 50 als Mitte 40“, berichtet Pradel. Diejenigen, die die Rente vor Augen haben, „finden keine Nachfolger“. In ihren Augen „eine Katastrophe“.
![Dorothee Pradel, Inhaberin der Elefanten-Apotheke in Gladbeck, blickt in eine düstere Zukunft. Unterbezahlung, überbordende Bürokratie, Lieferengpässe bei Medikamenten, fehlende Digitalisierung – das System Apotheke krankt an vielen Stellen. Dorothee Pradel, Inhaberin der Elefanten-Apotheke in Gladbeck, blickt in eine düstere Zukunft. Unterbezahlung, überbordende Bürokratie, Lieferengpässe bei Medikamenten, fehlende Digitalisierung – das System Apotheke krankt an vielen Stellen.](https://img.sparknews.funkemedien.de/239509471/239509471_1695717856_v16_9_1200.jpeg)
Das heißt dann klipp und klar: Von den derzeit zwölf Apotheken in Gladbeck wird „mindestens ein Drittel in den nächsten drei bis fünf Jahren von der Bildfläche verschwinden“. Schon jetzt seien manche Stadtteile – man denke an Brauck und den Gladbecker Osten – unversorgt. Dorothee Pradel nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die wirtschaftliche Situation ist dramatisch.“ Vor ungefähr 20 Jahren hätten die Menschen stadtweit ungefähr 25 Apotheken aufsuchen können. Die erste Schließungswelle habe es Ende der 1990er Jahre gegeben – aus ähnlichen Gründen wie heute.
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Pradel unterstreicht: „Ich finde nicht, dass man schamhaft drumherumreden muss. Es geht ums Geld.“ Inflation und Preissteigerungen betreffen die Apothekerschaft genauso wie die gesamte Bevölkerung. „In den vergangenen 20 Jahren ist die Apothekenvergütung nur ein einziges Mal erhöht und in diesem Jahr sogar gekürzt worden. Bei explodierenden Kosten, hoher Inflation und steigendem Aufwand kann das nicht gutgehen“, warnt Niklas Herkenhoff, Mitglied der Bezirksgruppe Recklinghausen im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). „Warum verweigert sich die Bundesregierung einer angemessenen Bezahlung der Apotheker?“, fragt Dorothee Pradel.
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Ein Punkt, der im Fragenkatalog der Betroffenen steht und zu dem der Berufsverband von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Antworten erwartet – und zwar per Video auf dem Deutschen Apothekertag in Düsseldorf, eben am 27. September. Pradel meint: „Es ist ein bisschen schade, dass der Streik wegen dieser Veranstaltung ausgerechnet auf einen Mittwoch fällt.“ Immerhin bleiben an diesem Wochentag ohnehin viele Apotheken ab Mittag dicht.
Arbeitszeiten in Apotheken
„Ein gutes Auskommen bei schlechten Arbeitszeiten“, so bringt die Gladbecker Apothekerin Dorothee Pradel ihre Hoffnungen auf den Punkt. Bei den Dienstzeiten habe sich mittlerweile etwas gebessert.
„Früher mussten Apotheken von 9 bis 18 Uhr öffnen“, erklärt die 61-Jährige. Jetzt gelte: „Nur noch an vier Tagen sechs Stunden und an einem weiteren Tag in der Woche drei Stunden Arbeit, letzteres muss nicht an einem Samstag sein.“
Doch Menschen in Gladbeck bekommen am eigenen Leib mit, woran dieser Sektor krankt. Nicht nur, dass das Apothekennetz löchriger wird, zudem muss die Kundschaft immer wieder mit leeren Händen einen der Betriebe verlassen. Dorothee Pradel gibt zu: „Die Lieferschwierigkeiten belasten uns enorm – und es wird immer schlimmer. Wesentliche Antibiotika sind nicht verfügbar. Die Lage ist dramatisch.“ Ebenfalls leer bleiben die Schubladen für Blutdrucksenker und Antidiabetika wie Insuline. „Bei onkologischen Präparaten sieht’s etwas besser aus.“ Kleiner Lichtblick: Arzneien für Kinder, beispielsweise Fiebersäfte, seien im Gegensatz zu einigen Monaten zuvor wieder lieferbar.
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![Der Gladbecker Kinderarzt Dr. Stefan Kusserow hofft, dass Lieferengpässe bei Medikamenten nicht so dramatisch werden wie in den zurückliegenden Monaten. Der Gladbecker Kinderarzt Dr. Stefan Kusserow hofft, dass Lieferengpässe bei Medikamenten nicht so dramatisch werden wie in den zurückliegenden Monaten.](https://img.sparknews.funkemedien.de/239291957/239291957_1695375865_v1_1_200.jpeg)
Neben der aus Sicht der Kritiker unzureichenden Bezahlung und Lieferengpässen bereitet die Bürokratie der Apothekerschaft Kopfschmerzen. Pradel, die in ihren beiden Betrieben in Gladbeck und Bottrop etwa ein Dutzend Beschäftigte auch in Teilzeit hat, führt beispielhaft an: „Täglich müssen Tabellen erstellt werden. Welches Putzmittel wird wann wofür eingesetzt?“
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Was hier vielleicht zu viel oder gar fehl am Platze ist, fehle auf anderem Gebiet. Stichwort: Digitalisierung. „Sie kommt immer noch nicht voran. Wir haben keine Verknüpfung, die uns zum Beispiel Auskunft darüber gibt, welche Rezepte in einer anderen Apotheke ausgegeben werden. Ein Einblick in mögliche Wechselwirkungen oder auch Medikamenten-Missbrauch ist uns nicht möglich.“
Schon im Juni machten Apothekerinnen und Apotheker ihre Betriebe dicht, um auf ihre Probleme hinzuweisen. Dorothee Pradel: „Die Kunden haben Verständnis gezeigt.“ Seinerzeit beteiligten sich alle Gladbecker Apotheken am Protest. Pradel blickt in eine düstere Zukunft: „Wir können sicher sein, dass es viele Apotheken erwischt.“ Sprich: Sie können sich nicht unter den gegebenen Umständen behaupten...