Gladbeck. In Gladbecker Apotheken werden allerhand Medikamente knapp, vor allem Antibiotika für Kinder. Welche Produkte fehlen und wie Kunden verzweifeln.

Ein Kunde ist Apothekerin Christiane Haller aus Gladbeck noch heute im Kopf. Ostermontag, Haller hatte Notdienst in der Bären-Apotheke in der Innenstadt, als er anrief: „Ich brauche Fiebersaft für mein Kind. Bitte, bitte nicht verkaufen“, habe er sie angefleht. Er kam, so schnell er konnte, extra von Düsseldorf nach Gladbeck. Und er sicherte sich eine von zwei kleinen Flaschen, die Haller noch da hatte – anders als die vielen Apotheken, die er vorher angerufen hatte.

50 Kilometer Autofahrt legen manche Kunden für ein Flächschen Fiebersaft zurück, weil viele Arzneimittel gerade nicht zu bekommen sind. Bei Antibiotika-Säften für Kinder ist die Lage besonders schlimm. So warnen Kinderärzte in einem offenen Brief davor, dass die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen „durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet“ sei.

Diese Arzneimittel sind in Gladbecker Apotheken knapp

Auch Gladbecker Apotheken kämpfen mit den Versorgungsengpässen und „mit einem Mangel wie noch nie“, meint Christiane Haller. In der Bären-Apotheke seien neben den Antibiotika-Säften auch Insulin-Produkte, Medikamente gegen Schwindel und Nasenspray knapp. Haller berichtet: „Wir bekommen zehn Packungen Nasenspray für eine Woche geliefert. Die verkaufen wir teilweise in einer Stunde.“

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Drei von fünf Kunden würden nicht ihr gewünschtes Medikament bekommen. In diesen Fällen suchen die Mitarbeiter mit dem Kunden nach einer Alternative, zum Beispiel nach einem ähnlichen Produkt von einem anderen Hersteller. Die Folge: Die Fachleute brauchen mehr Zeit, um ein Präparat zu verkaufen. „Ein Notdienst ist alleine nicht mehr machbar“, sagt die Apothekerin. Jeder zehnte Kunde gehe sogar ohne Alternativprodukt aus dem Laden.

Schuld daran sei ein Rohstoffmangel, der auch wegen des Ukraine-Kriegs entstehe. Am Beispiel Nasenspray: Viele Hersteller kämen nicht mehr an genug Aufsätze, da die meist aus Russland importiert wurden. Außerdem sei das Papier für die Beipackzettel knapp. Und dann schlage die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zu: „Kann ein Hersteller mal nicht produzieren, haben wir sofort einen Mangel“, sagt Haller.

Wie Kunden in Gladbecker Apotheken verzweifeln

Den Mangel spürt auch die Hirsch-Apotheke in Zweckel, nicht nur bei Kinder-Antibiotika, auch bei Schmerzmitteln wie Ibuprofen. Jeder dritte Kunde müsse auf ein Ersatz-Medikament umsteigen, sagt Apothekerin Anja Biller. „Gerade die Eltern von Kindern sind verzweifelt, wenn sie ein Antibiotikum nicht bekommen.“ Viele würden Apotheken in einem großen Umkreis abfahren, um noch Restbestände zu bekommen.

Die Gladbecker Apothekersprecherin Dorothee Pradel spricht von einer „dramatischen Lage“ und von „absolut wichtigen Dingen, die nicht zu bekommen sind.“ Dazu würden neben Antibiotika wie Penizillin, Amoxi-Clavulan und Cefaclor auch Herzmedikamente und Insuline zählen, ebenso Cholesterin- und Blutdrucksenker. „Das sind ja Standard-Medikamente, die extrem viele nehmen“, sagt sie.

In der Elefanten-Apotheke in der Innenstadt, die Pradel leitet, hätten schon Kunden geweint, weil keine Arzneimittel für sich oder ihre Kinder im Regal waren. „Ganz ehrlich, ich würde auch heulen, wenn ich Brustkrebstabletten bräuchte und sie nicht bekomme“, meint die Vertrauensapothekerin.

Apothekersprecherin: „Politik hat Mangel über viele Jahre hart erarbeitet“

Auch die Betriebskasse leide unter dem Versorgungsmangel: „Wir leben ja auch nicht davon, eine halbe Stunde nach Arzneien zu suchen und dann dem Kunden zu sagen, dass wir nicht helfen können.“ Mitarbeiter würden teils fünfmal länger brauchen als normalerweise, um ein Produkt zu verkaufen. „Und wenn sie Pech haben, haben sie am Ende sogar gar nichts verkauft“, sagt Pradel.

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Die Mangellage ist für Pradel trotz ihrer über 30-jährigen Berufserfahrung einzigartig. Trotzdem kommt sie für die Apothekerin nicht überraschend. Schon 2019 berichtete sie der WAZ von Lieferengpässen. „Diesen Mangel hat die Politik über viele Jahre hart erarbeitet“, ist ihre Meinung.

Apothekerin erklärt, was sich ändern soll

Vor allem die zu niedrigen Festbeträge, die die Krankenkassen an Hersteller zahlen, und die Abhängigkeit von wenigen ausländischen Lieferanten hätten die Probleme geschaffen. „Davor haben wir immer gewarnt“, sagt Pradel.

Ihrer Meinung nach müsse die Politik die Produktion zurück nach Deutschland holen und die Preisgestaltung überdenken. „Es geht los bei den viel zu niedrigen Festbeträgen für viele Arzneimittel, aber es geht auch um unsere Vergütung.“ Apotheker müssten durch das 2022 verabschiedete Finanzstabilisierungsgesetz einen höheren Zwangsrabatt zahlen, während die Energiekosten steigen. Pradel sagt: „So wird der Mangel noch lange dauern.“

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