Gladbeck. Chaos vor den Schulen – zu Bring- und Holzeiten ist das keine Seltenheit. Zum Schulstart achtet die Polizei besonders darauf. Ein Ortsbesuch.
Der Auftakt lässt schon Böses ahnen. Bereits um 7.35 Uhr steht der erste Wagen im absoluten Halteverbot vor der Wittringer Schule. Eine Tür geht auf, und eine Grundschülerin huscht über den Bürgersteig und verschwindet in der Schule. Spätesten ab 7.45 Uhr würden es immer mehr werden, die „nur mal eben“ ihr Kind rauslassen wollen, prophezeit Gerhard Pyszny. Die Situation vor den Schulen in den Städten des Präsidiums – der Verkehrssicherheitsberater kennt sie zu Genüge, spricht selbst von „katastrophalen Zuständen“.
Doch am Mittwochmorgen irrt der erfahrene Hauptkommissar. Zwar ist viel los vor der Schule, viele Autos schlängeln sich durch die enge Wohnstraße Am Allhagen, doch katastrophal ist es zum Glück nicht. Pysznys Auftritt vor der Schule – gut sichtbar in der Uniform mit gelber Warnweste – schreckt potenzielle Verkehrssünder ab. Mehrmals bremsen zwar Fahrzeuge, und die suchenden Blicke der Fahrerinnen und Fahrer machen deutlich, dass sie wohl gern hier direkt vorm Schuleingang gehalten hätten, doch sie reißen sich zusammen, fahren weiter und suchen sich einen Platz, an dem sie ihren Nachwuchs regelkonform aussteigen lassen können.
Polizei klärt Gladbecker Familien über die Gefahren auf dem Schulweg auf
Pyszny nutzt die Gelegenheit, sucht den Kontakt zu Eltern und Schülern. Was ihm dabei hilft? Der Inhalt seiner großen blauen Tasche, die er bei sich trägt. Dort greift er immer wieder rein, zieht reflektierende Armbänder heraus, die er den Kindern überreicht oder auch gleich anlegt. „Sicherheit durch Sichtbarkeit“ – schon seit einiger Zeit fährt die Polizei Recklinghausen diese Kampagne, um Fußgänger im Straßenverkehr besser zu schützen.
Und so klärt Gerhard Pyszny am Mittwochmorgen Eltern und Schüler vor der Schule darüber auf, wie wichtig es ist, Kindern möglichst helle Kleidung anzuziehen, oder sie mit zusätzlichen Reflektoren auszustatten, damit Autofahrer sie auch wahrnehmen – gerade mit Blick auf die anstehende dunklere Jahreszeit. Die Kinder freuen sich, tragen die neuen Reflektoren stolz über dem Jackenärmel. Einige kommen von sich auf den Polizisten zu, bitten darum, auch so ein Armband zu bekommen. Zum Glück ist die blaue Tasche gut gefüllt.
2022 verunglückten in Gladbeck zehn Kinder auf ihrem Schulweg
Der Einsatz vor der Grundschule, er hat selbstverständlich einen ernsten Hintergrund. 2022 zählten die Statistiker der Polizei zehn Schulwegunfälle in Gladbeck. Vor fast allen Schulen des Landes spielen sich morgens chaotische Szenen ab. Autos halten kreuz und quer, dazwischen laufen Kinder über die Straßen, das Unfallrisiko ist hoch. Hier setzen die Verkehrssicherheitsberater an, setzen zunächst einmal auf Aufklärung, appellieren an die Eltern. „Wir sprechen jetzt mit den Eltern, die ihre Kinder jetzt teils erstmals zur Schule bringen, wir wollen sie sofort sensibilisieren“, beschreibt der Hauptkommissar die Ziele der Polizei. Neben den Verkehrssicherheitsberatern der Direktion Verkehr sind auch die Bezirksbeamten im Einsatz.
Pyszny macht aber auch keinen Hehl daraus, dass er und seine Kolleginnen und Kollegen auch anders können. Sie könnten auch auf Repression setzen, sprich Knöllchen verteilen. Doch zunächst einmal versuchen sie es im Guten, ermahnen mündlich, suchen das Gespräch. Begüm Demirkaya bringt ihre Tochter zu Fuß zur Schule. Dass die Polizei dort Präsenz zeigt, findet sie gut, es sei beruhigend, dass so die Sicherheit erhöht werde. „So weiß ich, dass ich die Kinder auch sicher allein zur Schule schicken kann.“
Anwohner glaubt nicht, dass Gespräche und Ermahnungen allein reichen
Skeptischer zeigt sich dagegen ein Anwohner. Er wohnt direkt gegenüber der Schule, hat täglich den Logenblick auf den Verkehr. Mit Blick auf die Blechkarawane vor der Schule formuliert er spitz: „Die Kinder verlernen hier, zu laufen.“ Er glaubt nicht, dass das Vorgehen der Polizei nachhaltig ist, dass die Gespräche wirken.
„Zwei, drei Tage erinnern die sich daran, danach ist alles vergessen, und die Situation ist wieder wie vorher.“ Er berichtet von Eltern, die in privaten Hofeinfahrten stehenbleiben und teils auch noch aggressiv werden, wenn man sie darauf hinweist, dass es verboten ist. Sogar durch seinen Vorgarten seien sie gefahren. Blumenkübel und Steine als Barriere sollen zumindest das jetzt verhindern.
Schulpflegschaftsvorsitzende setzt auf Einsatz der Schülerinnen und Schüler
Dass hier noch kein schlimmer Unfall – abgesehen von Blechschäden – passiert sei, verwundere in ihn immer wieder, schildert der Gladbecker, zumal einige Autofahrer in seinen Augen hier auch viel zu schnell unterwegs seien. Er wünscht sich, dass die Polizei hier viel härter durchgreift, es nicht bei Gesprächen belässt, sondern auch Strafen verhängt.
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Die Schulpflegschaftsvorsitzende Anna Lange kennt die Verkehrsprobleme vor der Wittringer Schule, die durch die beiden benachbarten Realschulen noch verstärkt würden. Sie hat eine andere Idee und nutzt Pysznys Anwesenheit, um sie mit ihm zu besprechen. Sie würde gern eine Art Verkehrssicherheitstag organisieren, mit Unterstützung der Polizei. Ziel sei es, dass die Kinder die Verkehrssünder direkt ansprechen, sie auf ihr Fehlverhalten hinweisen. „Auf diese Weise sensibilisieren wir Kinder und Eltern gleichzeitig“, hofft sie. Projekte dieser Art hat es an anderen Schulen und Städten – etwa Essen oder Duisburg bereits gegeben. Pyszny zeigt sich aufgeschlossen dafür, man vereinbarte weitere Gespräche. Und wer weiß, vielleicht sind die Wittringer Grundschüler bald mal als „Hilfspolizisten“ im Einsatz.