Gladbeck. Ehedramen, Selbstjustiz und Pferdeschwänze: Ein neues Buch beschäftigt sich mit Unfällen und Verbrechen im Gladbeck des Jahres 1913.

Es dämmert über Deutschland. 1913 ist das letzte Friedensjahr vor dem Ersten Weltkrieg, doch in Gladbeck hat die Stadtgesellschaft noch mit ganz alltäglichen Sorgen zu kämpfen, Unfällen etwa, oder Verbrechen. Autor Alexander Pentek beschäftigt sich in seinem Buch „1913 – Echte Verbrechen und Unglücke im Ruhrgebiet“ mit ebenjenen Alltagssorgen – Retro-True-Crime sozusagen.

So kletterte am 13. Januar ein äußerst akrobatisches Kleinkind, nur 13 Monate alt, aus einem Fenster seines Elternhauses an der Heinrichstraße. Ob Hochmut im Spiel war, ist nicht überliefert, der Fall kam aber trotzdem, aus der zweiten Etage. Das Kind zog sich zwar lebensgefährliche Verletzungen zu, überlebte aber.

1913 in Gladbeck: Ehedramen und Suizide

1913 gab es aber auch ein echtes Liebesdrama. Am 23. Januar nämlich hob eine 21-Jährige aus Brauck 455 Mark vom Sparkassen-Konto ihres frisch geheirateten Ehemannes ab – und machte sich aus dem Staub. In der Gelsenkirchener Allgemeinen Zeitung, aus der alle Meldungen stammen, spekuliert man damals, dass sie das Geld wohl ihrem Liebhaber zugesteckt habe. Vielleicht war ihr aber auch bloß das Patriarchat zuwider. In der Meldung heißt die Frau nämlich bloß „Ehefrau Andreas G.“.

Sogar sowas wie Fortsetzungsromane hat das Buch zu bieten. Am 14. April erschoss sich ein junger Mann hinter dem Kinematographen-Theater, die Polizei tappte ob der Identität des Mannes im Dunkeln. Schon am 17. April aber die Erkenntnis: Es war der österreichische Bergmann Josef M. Das war’s dann aber auch schon wieder mit der Erkenntnis: „Was den Mann zum Selbstmord veranlasst hat, war nicht festzustellen.“

Selbstjustiz im Wartesaal des Bahnhofs Gladbeck-Ost

Gladbeck im Jahr 1913 schien kein gutes Pflaster für Österreicher zu sein. Am 21. Mai nahm sich schon wieder einer das Leben – er erhängte sich an einem Baum und ließ die Polizei ratlos zurück. Ähnlich martialisch ging es am 13. Juni im Wartesaal des Bahnhofs Ost zu. Arbeiter beobachteten, wie einem Kollegen Portemonnaie samt Inhalt gestohlen wurde und entschieden sich kurzerhand für „Volksjustiz“. Die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung beschrieb das beinahe literarisch wertvoll: „Mit wahrer Berserkerwut stürzten sie sich auf den Taschendieb und vergerbten ihm derartig das Fell, daß ihm für die Folge alle Gelüste nach fremdem Eigentum vergangen sein dürften.“

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Sei es der Sprache der Zeit oder der Schreiblust der Redakteure zu verdanken, die Meldungen in Penteks Buch strotzen nur so vor genauso hochgestochenen wie seltsamen Formulierungen. Am 23. Juni etwa überfiel ein Mann eine zwölfjährige Schülerin der Lutherschule auf der Toilette, Schnitt ihren Zopf ab und floh. Seine Identität blieb ungeklärt, das Motiv hat die Zeitung scheinbar trotzdem herausgefunden: „Wahrscheinlich handelt es sich um die Tat eines sittlich verkommenen Menschen, der durch seine perversen Neigungen hierzu veranlaßt wurde.“

Hitzschläge, Blitzschläge und Knüppelschläge

Am 19. Juni dagegen war die Natur mit ihren Neigungen der Täter. Gleich zweimal schlug der Schlag zu, einmal Hitz, einmal Blitz. Den „Handlanger“ Gerhard M. J. raffte auf dem Bau die Sonne dahin, zum Glück nur kurz, denn „nach längerer Tätigkeit gelang es, den Mann wieder auf die Beine zu bringen und ihn nach Hause zu schaffen“. Ob die ältere Frau, die in Rentfort beim Heumachen vom Blitz getroffen wurde, auch so glimpflich davonkam? Schwer zu sagen. Die Mühe, das herauszufinden, haben sich die Redakteure jedenfalls nicht gemacht.

Was sich am 26. Mai in der Hochstraße abspielte, liest sich wie ein Sketch von Louis de Funès. Das verquere Geschehen kurz umrissen: Metzger Fritz K. kommt auf der Hochstraße eine herrenlose Kutsche entgegen, die er als das Gespann seines Freundes Sch. erkennt. Kurzerhand schwingt er sich auf den Bock, trifft auf Schs. Hof aber nur den Kutscher W. Anstelle eines Danks beleidigte der Fritz K. Der revanchiert sich, indem er W. mit einem Knüppel auf den Kopf kloppt. Dafür wurde er zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt – und dann wieder freigesprochen. Denn ein Zeuge sagte aus, das W. seinerseits mit einer Peitsche nach dem Metzger geschlagen hatte. Der Angeklagte Fritz K., urteilte das Gericht, habe also nur in der Annahme eines „gegen ihn geplanten rechtswidrigen Angriffs“ zugeschlagen – Freispruch.

Das Buch „1913 – Echte Verbrechen und Unglücke im Ruhrgebiet“ ist im BoD-Verlag erschienen und kostet 14,90 Euro. Neben Taten und Unfällen aus Gladbeck werden auch Vorkommnisse in anderen Städten nacherzählt.