Gladbeck. Mit ihrem „Friedhofsgeflüster“ brachte Anja Kretschmer ihrem Publikum Wissenswertes über Tod und Beerdigung nahe. Und Anekdoten gab’s auch.
Ein Event der ganz speziellen Art ging in der Trauerhalle des Friedhofs in Gladbeck, Stadtmitte, über die Bühne. Dort, wo ein letztes Mal Abschied von einem geliebten Menschen genommen und erst gar nicht der Versuch unternommen wird, Tränen der Trauer zurückzuhalten, führte die „Friedhofsflüsterin“ Anja Kretschmann das Wort. Sie sprach von Totenkronen, Wiedergängern und der Angst vor dem Scheintod“. Wohl kaum ein Ort könnte für dieses Thema passender sein als dieser.
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So gar nicht üblich jedoch war, dass einige Male leises Gelächter die Runde machte. Das war den Anekdoten geschuldet, die die im Outfit einer „schwarzen Witwe“ am Rednerpult stehende Referentin zum Besten gab. Immer wenn die promovierte Kunsthistorikerin und Volkskundlerin zur Arbeit geht, trägt sie Schwarz, die Farbe von Vergänglichkeit und Tod. Kretschmers Bühne ist der Friedhof, bevorzugt zu fortgeschrittener Stunde, wenn sich die Dunkelheit allmählich auf die Grabstätten legt.
Anja Kretschmer in Gladbeck: „Ich will die Menschen mit ihrer eigenen Endlichkeit und Sterblichkeit konfrontieren und ihnen gleichzeitig die Scheu davor nehmen“
„Ich will die Menschen mit ihrer eigenen Endlichkeit und Sterblichkeit konfrontieren und ihnen gleichzeitig die Scheu davor nehmen“, so das Credo der Referentin. Dazu sei es wichtig, altes Wissen zu bewahren und sich mit alten Bräuchen auseinanderzusetzen. „Ursache der Rituale ist der rege Aberglaube – wie etwa die Angst vor der Wiederkehr der Toten – oder Vorzeichen, die der Tod sendet.“ Es sei enorm wichtig, sich mit dem Tod zu beschäftigen, „bisher sind noch alle gestorben, auch wenn sie sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen wollten“.
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Sie selbst habe sich schon immer für Themen und Dinge interessiert, bei denen die meisten Mitmenschen eher wegschauen; auch mit Kindern solle man das Thema „Tod“ nicht tabuisieren, sondern frühzeitig altersgemäß thematisieren, so die zweifache Mutter. Und: „Ich finde den Friedhof als Ort der Wehmut und der Erinnerungskultur einfach wunderbar.“
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Besondere Aufmerksamkeit schenkte Kretschmer auch den Tieren, die „sehr sensibel auf Veränderungen reagieren und den sich nahenden Tod spüren wie Tauben, schwarze Katze, Rabe und Maulwurf“. Breiten Raum nahm auch die Darlegung der Aufgaben eines Leichenbitters ein, der in vergangenen Jahrhunderten von Haus zu Haus zog und das Ableben eines Dorfbewohners verkündete, „wie es heute die Todesanzeigen der Tageszeitungen machen“.
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Blick in die Biografie
Anja Kretschmer kam im Jahr 1981 in der Oberlausitz zur Welt und zog schon im Alter von zwölf Jahren an die Ostsee. Heute lebt sie in der Nähe von Rostock.
Im Jahr 2019 erschien „Friedhofsgeflüster“ – das Buch, worin die Bestattungskultur im Wandel der Zeit recherchiert, dokumentiert und mit zahlreichen Beispielen aus dem deutschsprachigen Raum aufgeführt wird. Neben Rundgängen über den Friedhof liest die Wissenschaftlerin, die in Greifswald studierte, aus ihrem Buch vor: eine Veranstaltung, die sie schon in mehr als 50 Städte und Ortschaften führte.
War der Tod eingetreten, waren drei Dinge wichtig: das Schließen der Fenster, das Verhängen der Spiegel und das Anhalten der Uhr, die erst nach der dreitägigen Totenwache und der anschließenden Beerdigung wieder aufgezogen werden durfte. Dass bei der Totenwache getanzt, gespielt und auch reichlich Alkohol konsumiert wurde und somit nicht selten einem Witwer Gelegenheit bot, eine neue Frau kennenzulernen, war eine von vielen amüsanten Anekdoten. Nach einer Stunde wurden die Zuhörer auf einen Rundgang über den Friedhof gebeten, an mehreren Stationen erläuterte Anja Kretschmer, wie aus Angst vor dem Scheintod dem Verstorbenen bestimmte Beigaben in den Sarg gelegt wurden, wie man Tote herrichtete, damit sie sauber im Jenseits ankommen. Unerlässlich war immer, genügend Abstand zum Toten zu halten. Denn: „Durch Berührung holt man sich den Tod ins Haus.“
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Dass die Wissenschaftlerin, die an der Hamburger Universität in Kunstgeschichte promovierte, mit dem was sie tut, auch polarisiert, ist ihr bewusst. Vor allem den Vorwurf der „Pietätlosigkeit“ müsse sie sich nicht selten gefallen lassen. „Die Leute lesen in der Ankündigung Ort und Uhrzeit des Vortrags oder der Führung, und schon gilt mein Anliegen als unseriös.“ Ihr Gegenrezept: „Die Leute könnten besser dabei sein und sich dann vom Gegenteil überzeugen.“ Bei dem Auditorium in der Gladbecker Trauerhalle dürfte das gelungen sein...