Gladbeck. Die zunehmende Digitalisierung im Alltag stellt insbesondere ältere Menschen vor Probleme. Der Seniorenbeirat Gladbeck spricht über Erfahrungen.

Der 78-jährige Spanier Carlos San Juan sprach vielen Menschen aus dem Herzen, als er sich empörte: „Ich bin alt, aber kein Idiot!“ Mit diesem Schlagwort rief er eine Kampagne ins Leben, die die zunehmende Digitalisierung im Alltag und die daraus resultierenden Schwierigkeiten für die ältere Generation im Alltag kritisiert. Probleme, die Vorstandsmitglieder des Seniorenbeirats in Gladbeck nachvollziehen können.

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Termine bei Behörden? Sind fast nur noch online zu vereinbaren. Bankgeschäfte? Dito. Beratungsgespräche von Angesicht zu Angesicht bilden die Ausnahme, Öffnungszeiten werden ausgedünnt. Mal eben eine Angelegenheit mit der Krankenversicherung klären? Fehlanzeige. Doris Jost könnte die Liste mit Beispielen aus dem Effeff um weitere verlängern. Die stellvertretende Vorsitzende des Gladbecker Seniorenbeirats sagt ohne Umschweife: „Ich habe selber Probleme mit der zunehmenden Digitalisierung.“ Schließlich sei sie „nicht mit dem Tablet großgeworden“. Die 74-Jährige bekennt freimütig: „Ich habe mich wahrscheinlich auch zu spät für das Thema interessiert, jetzt komme ich einigermaßen klar.“

Doris Jost vom Seniorenbeirat Gladbeck: „Ältere haben häufig keine große Rente“

Die Bereitschaft, sich mit Digitalisierung zu beschäftigen, sei durchaus auch in der Generation 65 plus vorhanden. Doch das sei vielfach nicht das einzige Hindernis. Doris Jost erzählt: „So viele ältere Menschen besitzen kein Tablet. Ich habe oft gehört, dass der Knackpunkt ein anderer ist. Ältere haben häufig keine große Rente. Wenn ich von der Caritas aus Hausbesuche mache, sehe ich, wie arm manche sind.“

Teilhabe am immer stärker digitalisierten Leben sei eben auch – und nicht selten – eine Geldfrage. Hinzu komme, dass in „Altbauwohnungen kein Internet liegt“ – ein weiterer Kostenfaktor. „Da überlegen sich die Leute, ob sie dafür etwas ausgeben oder es sich überhaupt leisten können“, gibt die Seniorenbeirats-Vertreterin zu bedenken.

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Betroffen äußerst sich Jost: „Ich denke an die armen alten Menschen, die das Geld nicht so üppig haben, vorher nicht mit einem Computer gearbeitet haben, aber es jetzt müssen.“ Der Spanier Carlos San Juan fordert in seinem Aufbegehren, das mehr als eine halbe Million Landsleute bislang unterstützen, den Erhalt analoger Strukturen – insbesondere im Bankwesen.

Ein direkter Kontakt ist gewünscht

Die Gladbeckerin Jost fragt: „Könnte man nicht beispielsweise bei der Sparkasse regelmäßig einmal einen Schalter öffnen für jene, die mit Digitalisierung überfordert sind und Hilfe benötigen?“ Sie habe wiederholt gehört, „dass ältere Menschen zu ihren Versicherungsvertretern gehen – und der füllt die Formulare aus“. Ein direkter Kontakt werde also immer noch gesucht und geschätzt.

Angebote zur Unterstützung

Der Seniorenbeirat Gladbeck versucht mit Hilfsangeboten der älteren Generation den Zugang zur Digitalisierung zu ebnen. So können Interessierte Unterstützung über die Taschengeldbörse erfahren. Jugendliche stehen Computer-Unerfahrenen zur Seite.

Außerdem geht das Intern@tto im Fritz-Lange-Haus, Friedrichstraße 7, wieder an den Start. Es ist mittwochs zwischen 10 und 12 Uhr geöffnet. Telefonischer Kontakt: 0 20 43/99 27 77.

Den Umgang mit einem Mobiltelefon können Gäste des Händi-Cafés lernen. Freiwillige helfen kostenlos Ratsuchenden im Zweckeler Begegnungszentrum der Arbeiterwohlfahrt (Awo) an der Dorstener Straße. Das Angebot ist an jedem letzten Donnerstag im Monat zwischen 16 und 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen: gibt es unter der Rufnummer 0 20 43/98 37 19.

Jürgen Zeller, Vorsitzender der Senioren-Union im Kreis Recklinghausen, fordert ein „Recht auf analoges Leben“, spricht von Diskriminierung der Älteren. Dabei „wollen die CDU-Senioren die Digitalisierung nicht grundsätzlich aufhalten“. Aber da sich viele Ältere ohne Smartphone & Co. oft hilflos fühlten, verlangt Zeller einen besseren analogen Service von Behörden, Banken und Sparkassen sowie allen Institutionen, die nur noch digital erreichbar sind.

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„Termine müssen sich auch telefonisch vereinbaren lassen, und das Online-Banking muss durch Schalterzeiten für Ältere oder durch mobile Geschäftsstellen ergänzt werden.“ Wenn es das Ziel der Stadtverwaltung und ihrer neuen IT-Experten sei, die Beantragung sämtlicher öffentlicher Leistungen online zu ermöglichen, müsse insbesondere für Ältere auch die Möglichkeit eines analogen Zugangs erhalten bleiben.

Friedhelm Horbach, Vorsitzender des Gladbecker Seniorenbeirats, stellt fest: „Sicher gibt es das, dass Menschen mit Online-Banking und -Terminabsprachen nicht klar kommen. Aber die digitalen Tatsachen sind da und lassen sich nicht ändern. Wir müssen das Beste daraus machen.“ Der Seniorenbeirat biete vielerlei Unterstützung an. Da wäre zum Beispiel das Frühstück im Fritz-Lange-Haus – sofern es nicht aus Corona-Gründen ausfallen muss. „Da ist immer jemand dabei, der Schreiben an Versicherungen übernimmt“, berichtet Horbach.

Der Seniorenbeirat Gladbeck bietet vielerlei Unterstützung an

Er zählt auf: „Wir haben gezeigt, wie man bei der Sparkasse Geld aus dem Automaten zieht. Bei der AOK gab’s eine telefonische Beratung. Der Seniorenbeirat hat im Fritz-Lange-Haus erklärt, wie man Formulare ausfüllt. Es gibt genug Hilfen.“ Er gibt zu: „Ja, nicht jeder kann sich ein Handy, Laptop und so weiter finanziell leisten.“ Doch von diesem Aspekt einmal abgesehen, gelte: Wo ein Wille, da ein Weg.“ Horbach ist überzeugt: „Es nützt nichts, sich gegen die Digitalisierung zu stemmen.“

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