Gladbeck. Sie haben gearbeitet, doch sind sie im Alter arm. Frauen in Gladbeck laufen Gefahr, dass es ihnen so ergeht, sagt die Gleichstellungsbeauftragte.
Wie viele Frauen genau von Armut betroffen sind, kann Ulla Habelt nicht beziffern. Doch das braucht die städtische Gleichstellungsbeauftragte auch nicht, um zu ihrer Einschätzung zu gelangen: „Wir können schon davon ausgehen, dass dieses Problem in Gladbeck größer als in anderen Städten ist, dass wir eine hohe Quote von Hartz-VI-Empfängerinnen haben.“ Das Dilemma: Die Wurzeln für Frauenarmut – insbesondere im Alter – reichen tief. Und die Corona-Krise verschärft die Situation noch.
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„Wer Sozialhilfe empfängt, hat keine Rentenpunkte erworben.“ Dabei, so räumt die Expertin ein: Nicht jede Betroffene melde sich, um Unterstützung zu bekommen. „Man muss sich erst einmal selbst eingestehen, dass man arm ist“, nennt Habelt einen ersten Schritt in Richtung Hilfe. Das sei manchen gar nicht bewusst. Schritt zwei: „Die Betreffende muss die Scheu überwinden, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.“ Im dritten Schritt gehe es um Informationen: Welche Zuschüsse stehen zur Verfügung? Habelt: „Es gibt zum Beispiel Wohngeld.“ Nur: Das sei längst nicht allgemein bekannt.
Schlecht bezahlte Berufe stehen bei jungen Frauen seit Jahren ganz oben auf der Wunschliste
Ebenso wenig die Möglichkeit, über die „Gladbeck Card“ an Vergünstigungen zu kommen. „Es gibt beispielsweise Nachlässe für den Besuch der Volkshochschule oder des Schwimmbads“, führt Habelt an, „man muss aber die Hemmungen ablegen, die Card zu beantragen.“ Es gebe ein breitgefächertes Beratungsangebot: Interessierte können sich unter anderem bei der Stadtverwaltung und im Seniorenbüro über Mittel und Wege erkundigen.
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„Alter“ sei definiert ab 65 Jahre, mit dem üblichen Austritt aus dem Arbeitsleben. Ulla Habelt weiß zu berichten: „Wir haben 501 Frauen in der Grundsicherung im Alter nach SGB XII und 304 Männer.“ Der Unterschied zwischen den Geschlechtern sei auffällig, aber in Relation zur Bevölkerungsstruktur zu sehen. „Es leben mehr Frauen als Männer in Gladbeck.“ Die Gleichstellungsexpertin schlüsselt auf: „Im Juli 2021 hatten wir 3435 Frauen und 1928 Männer über 80 Jahre in Gladbeck. In der Altersgruppe der 65- bis 80-Jährigen waren es 6197 Frauen und 5167 Männer.“ Diese Fakten könnten nicht darüber wegtäuschen, dass das weibliche Geschlecht häufiger Gefahr laufe, arm zu sein. „Frauen sind faktisch stärker betroffen als Männer.“ Die Ursachen seien klar: Teilzeitjobs, lange Kindererziehungszeiten, schlechter bezahlte Beschäftigungen.
Auf die Spitzenplätze der Wunschberufe setzen Schulabsolventinnen Einzelhandelskauffrau, Friseurin und Arzthelferin. Zum Vergleich eine „Männer-Domäne“: „Ein Mechatroniker wird nun mal besser bezahlt.“ An diesem Bild habe sich all’ die Jahre nichts geändert – Aktionen wie Girls’ Day zum Trotz. „Meines Erachtens kommt noch das Problem der Steuerklassen hinzu“, meint die Expertin, „bei Eheleuten wird in Klasse 3 der besser verdienende Teil eingestuft, wer geringer verdient, meistens die Frau, in Klasse 5. Da bleibt vom kleinen Einkommen noch weniger übrig, oder es lohnt sich gar nicht mehr, arbeiten zu gehen.“
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Habelt nennt sich selbst eine „Gegnerin von Minijobs“: „Das ist der erste Schritt in die Armut. Es ist ein Trugschluss, dass damit eine finanzielle Absicherung gegeben ist.“ In einzelnen Fällen könnte vielleicht ein Minijob der Türöffner sein, um einen Fuß ins Berufsleben zu bekommen. Während der Corona-Pandemie seien auf diesem Sektor Frauen laut Bundesagentur für Arbeit stärker Leidtragende als Männer. Habelts These: „Viele Frauen hatten Minijobs im Einzelhandel und in der Gastronomie, die wegen Lockdowns und Einschränkungen große Probleme hatten. Männer sind wahrscheinlich mehr in der Logistik, zum Beispiel bei Paketdiensten, beschäftigt und haben ihre Jobs behalten. Frauen wurde eher gekündigt.“ Da es für Minijobber-Stellen auch keine Kurzarbeitergeld gegeben habe, „haben die Arbeitgeber selbst die Kosten getragen oder entlassen“. Einmal ganz davon abgesehen, dass während der Corona-Krise in ganz vielen Fällen Frauen daheim bleiben, um beispielsweise die Kinderbetreuung zu übernehmen.
Blick ins Sozialgesetzbuch
Das Sozialgesetzbuch (SGB) II regelt unter anderem die Leistungsansprüche von erwerbsfähigen Menschen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze. Als Hartz IV wird im Volksmund das Arbeitslosengeld II bezeichnet. Diese Leistung der Bundesagentur für Arbeit dient der Sicherung des Lebensunterhalts.
Die Grundsicherung im Alter fällt in den Bereich SGB XII. Diese Leistungen der Sozialhilfe werden in den Fällen gewährt, wenn eigenes Vermögen und Einkommen oder Zuwendungen Dritter nicht ausreichen, um die notwendigen Kosten aufzubringen. Als Unterstützung gibt es beispielsweise die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts und die Altenhilfe.
Apropos Kinder: „Jede fünfte Frau in NRW, die Hartz IV bezieht, ist alleinerziehend.“ Obendrein „sind viele dabei, die keinen Schulabschluss oder keine Ausbildung haben“. Aber: „Man kann niemanden zwingen, einen Schulabschluss zu machen. Man kann ihn jedoch nachholen.“ Sei denn wohl bekannt, dass eine Ausbildung in Teilzeit möglich ist? „Das wissen auch viele Arbeitgeber nicht.“
„Ein Migrationshintergrund ist auf jeden Fall ein Armutsfaktor“
Ein weiteres Manko: „Ein Migrationshintergrund ist auf jeden Fall ein Armutsfaktor. Das ist zum Teil traditionell bedingt, aber auch ein gesellschaftliches Problem“. Angebote wie das „Projekt Planet“ könnten einen Lösungsansatz darstellen. Eine solide Schul- und Ausbildung sind die Basis für einen Beruf, der es ermöglicht, in die Rentenkasse einzuzahlen. Habelt sagt es unmissverständlich: „Wer das bis 50, ja eigentlich schon bis 40 Jahre, nicht getan hat, kann das nicht mehr aufholen.“ Und läuft Gefahr, in Altersarmut abzurutschen.