Gladbeck. Ulla Habelt, Gleichstellungsbeauftragte in Gladbeck, sieht in der Corona-Krise Rückfälle. Wie es um Frauen in Beruf und Familie bestellt ist.

Wirft die Corona-Krise die Gleichstellung von Frau und Mann zurück? Ulla Habelt sagt: „Leider deutet vieles auf einen Rückschritt hin. Ich fürchte, dass es tatsächlich so ist.“ Für diese Entwicklung hat die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gladbeck mehrere Erklärungen.

„Der Job meines Mannes ist wichtiger als meiner.“ Solche Sätze kommen Ulla Habelt in Unterhaltungen zu Ohren. So sind es vor allem Frauen, die in der Pandemie versuchen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Die Gleichstellungsbeauftragte hält dagegen: „Ich sehe das anders. Frauen arbeiten in systemrelevanten Berufen, beispielsweise in der Pflege, im Büro oder Handel. Frauen fühlen sich in einer Krisen-Situation verantwortlich für die Familie.“ Warum also bleiben offenbar seltener Männer daheim, um sich um Kind und Familie zu kümmern?

„In typischen Frauenberufen gibt es oft einen geringen Verdienst.“

Knackpunkt Geld: „In typischen Frauenberufen gibt es oft einen geringen Verdienst.“ Man schaue auf Minijobs: „Da sind Frauen stärker vertreten.“ Eine Lösung könnte sein, Klischees aufzubrechen. „Das ist uns bisher nicht gelungen“, gibt Habelt freimütig zu. Friseurin und Verkäuferin stünden immer noch oben auf der Liste der weiblichen Berufswünsche, während Männer eher mit Tätigkeiten wie Kfz-Mechatroniker und Elektriker liebäugelten.

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Die Augen für andere berufliche Wege zu öffnen, das versuchen Gleichstellungsbeauftragte seit Jahren, siehe Girls’ Day. Doch derartige Aktionen sollen keine Einbahnstraße sein, so wurde auch ein Boys’ Day ins Leben gerufen, um umgekehrt das Interesse von Jungen für männeruntypische Berufe zu wecken. Denn auch letztere sind auf manchen Arbeitsfeldern stark unterrepräsentiert. Beispiel: „Unter rund 100 Erzieherinnen haben wir nur zwei oder drei Männer.“ Das macht einen Anteil von gerade einmal drei Prozent aus.

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Ulla Habelt, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gladbeck, erkennt, dass Rollenklischees längst noch nicht aufgebrochen sind.
Ulla Habelt, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gladbeck, erkennt, dass Rollenklischees längst noch nicht aufgebrochen sind. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Ein Hemmnis: „Die jungen Menschen orientieren sich an Schwestern und Müttern, die Vorbilder sind. Im Umfeld sehen wir die Krankenpflegerin, aber weniger die Feuerwehrfrau.“ Die Gleichstellungsbeauftragte ist eine Befürworterin der Frauenquote: „Ich halte sie für total sinnvoll. In den Behörden wären wir ohne Frauenquote nicht so weit, wie wir jetzt sind.“ Denn freiwillig, davon ist die Expertin überzeugt, orientieren sich viele Unternehmen keineswegs an der paritätischen Besetzung von Posten.

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„Innerhalb der Gladbecker Stadtverwaltung sind wir ganz gut aufgestellt“, findet Habelt. Auf der Ebene der Sachgebietsleitung arbeiten mehr Frauen als Männer. Aber: „Je höher wir kommen, desto weniger Frauen haben wir in der Führung. In technischen Berufen läuft alles unter Dr. Kreuzer.“ Eine Bau-Ingenieurin wie Monika Sellke, die mittlerweile nach Krefeld gewechselt ist, stellt da in einer, immer noch, Männerdomäne eine große Ausnahme dar – und die Nachfolge „wird wieder ein Mann“.

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Eines liegt Habelt am Herzen: „Man sollte nicht unbedingt versuchen, aus jedem Mädchen eine Ingenieurin zu machen. Umgekehrt ist es wichtig, die systemrelevanten Berufe, wie im sozialen und pflegerischen Bereich, aufzuwerten und eine bessere Bezahlung zu gewährleisten.“ Die Expertin meint, dass die Tendenz bei technisch ausgebildeten Frauen steige.

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Werbung für MINT-Berufe – also auf den Gebieten Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – soll Mädchen und Frauen Lust auf eine Zukunft jenseits der altbekannten Pfade machen. Denn dass diese Zielgruppe das Zeug für dazu hat, ist für die Gleichstellungsbeauftragte unbestritten. Die Erziehungswissenschaftlerin erklärt: „Koedukation ist heute normal, aber bis zum Schulabschluss sind Jungen benachteiligt, mehr Mädchen machen Abitur. Sie haben auch die besseren Schul- und Studienabschlüsse. Spätestens in der Familienphase kommen wieder die Rollenklischees auf.“

Stadtverwaltung Gladbeck: Deutlich mehr Frauen als Männer nutzen Teilzeit

Die Auswirkungen sind ebenfalls in der Resonanz auf Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Stadtverwaltung spürbar. Habelt: „Teilzeit wird bei uns sehr rege genutzt. Wir haben einen hohen Anteil und mehr als 100 Modelle.“ Unübersehbar ist allerdings: „Deutlich mehr Frauen als Männer nutzen Teilzeit.“ Gleiches gilt für die Verteilung der Elternzeit (siehe Info-Box). Die Gleichstellung der Geschlechter ist eben „ein langer Prozess“.

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