Gladbeck. Auf Moltke 3/4, der letzten von fünf Pütts in Gladbeck, wurde im November 1971 die letzte Kohle gefördert. 100 Jahre Bergbau in der Stadt endete.
In dieser Woche vor genau 50 Jahren endete der Bergbau in Gladbeck: Am 12. November 1971 wurde auf Graf Moltke 3/4, der damals einzigen noch aktiven Zeche in der Stadt, die letzte Kohle zu Tage gefördert. In einem feierlichen Akt, bei dem auch Tränen flossen, verließ der letzte Kohlenwagen – geschmückt und „Der Letzte“ betitelt – die Hängebank. Damit endete exakt 100 Jahre nach den ersten Kohlebohrungen, die am 8. November 1871 in Höhe der heutigen Postallee stattgefunden hatten, der Kohleabbau in der Stadt, der Gladbeck erst zu dem gemacht hatte, was es heute ist.
Fast 100 Jahre – bis eben 1971 – prägte der aktive Bergbau Gladbeck, sorgte für Zuwanderung, wirtschaftliche Dynamik und Investitionen in die Infrastruktur und den Wohnungsbau: Aus dem kleinen Dorf Gladbeck erwuchs seit 1873 (als das Abteufen des ersten Pütts Graf Moltke 1/2 begann) eine florierende Stadt mit einem funktionierenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Fünf Zechen waren es, die Gladbeck groß machten und in Spitzenzeiten mehr als 15 000 Kumpel in den Gruben, auf den Kokereien und in den ihnen angegliederten Betrieben eine Arbeit boten.
Der Bergbau war die dominierende Wirtschaftskraft in Gladbeck
Über all die Jahre war der Bergbau der dominierende Wirtschaftsfaktor in der Stadt. Am Tag der letzten Förderschicht zählte die Belegschaft der letzten Zeche Graf Moltke 3/4 immer noch 2000 Mann. Die meisten wurden nach Hugo in Buer verlegt, andere fanden in anderen Wirtschaftszweigen eine neue Arbeit. Obwohl durch das Ende der Bergbau-Epoche tausende Arbeitsplätze verloren gegangen waren, war damals von einer Krise in der Stadt wenig zu spüren. Es gab kaum Arbeitslosigkeit, die Industrie wuchs, ausgeschiedene Bergleute fanden schnell andere Jobs. Anfang der 60er Jahre etwa war der Weltkonzern Siemens mit einem großen Werk nach Gladbeck gekommen.
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Das Ende von Moltke 3/4, und damit der gesamten Kohlezeit in der Stadt, war letztlich nur der Schlusspunkt eines mehr als zehnjährigen Niedergangs des Bergbaus in Gladbeck. Schon Ende der 50er Jahre war es zur ersten Kohlekrise gekommen, Feierschichten folgten, Anpassungen, aber auch noch Investitionen, um sich gegen das Ende aufzubäumen. Doch es nutzte alles nichts: 1963 wurde das erste Bergwerk in Gladbeck aufgegeben – ausgerechnet die Zeche Zweckel, die zuletzt in Betrieb gegangen war (Förderbeginn 1911). 1965 wurde die Förderung auf dem Braucker Pütt Mathias Stinnes 3/4 eingestellt (Förderbeginn 1905). Zwei Jahre später, im März 1967, wurde auf den Möllerschächten in Rentfort die letzte Kohle gefördert (Förderbeginn 1901). Graf Moltke 1/2, Gladbecks erster Pütt, der ab 1873 abgeteuft worden war und 1877 noch unter dem Namen „Rieckchen“ die Förderung aufgenommen hatte (ab 1879 „Graf Moltke“), war bereits ab 1932 nur noch Seilfahrtsstandort gewesen, die Förderung auf Moltke 3/4 untertägig zusammengeführt worden.
Moltke 3/4 hatte zum Schluss noch eine Tagesförderung von 4500 Tonnen
Graf Moltke 3/4 galt lange als Musterschachtanlage. 1970 – ein Jahr vor dem Schicht am Schacht auf Moltke – lag die Tagesförderung auf 3/4 noch bei 4500 Tonnen, die Jahresleistung bei 1,25 Millionen Tonnen Kohle – der Zeche wurde eine hohe Produktivität bescheinigt. Allerdings nützte das nicht viel: Im August 1970 bestätigte die RAG seit längerem kursierende Schließungsgerüchte, zahlreiche Protestaktionen halfen nichts. Der letzte Bergwerksdirektor, Dinsing, wies auf den seit Jahren schwelenden Grubenbrand hin, der sich fast bis zum Schacht ausgeweitet hatte. Außerdem sollte die benachbarte Zeche Hugo in Buer, die als ertragsstärker galt und deren Kohlevorräte als zukunftsträchtiger eingeschätzt wurden, gestärkt und ausgebaut werden. Schon 1972 wurden die Moltke-Schächte 3 und 4 mit Nordstern-Waschbergen verfüllt.
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Mehr als zehn Jahre lag das Zechengelände jenseits von Helmut- und Phönixstraße brach – wie andere alte Bergbauareale in der Stadt. Anfang der 80er Jahre begann die Sanierung der teils belasteten Flächen, heute ist das Gelände Gewerbestandort und Teil des Gewerbeparks Brauck mit neuen Straßen und direkter Anbindung an die B 224. Die ehemaligen Schächte an der Europastraße sind völlig abgedeckelt, allerdings durch Kennzeichnung auffindbar. Auch einige alte Zechengebäude sind noch zu finden.
Der Bergbau hat in Gladbeck tiefe Spuren hinterlassen
Überhaupt hat der Bergbau Spuren in Gladbeck hinterlassen, die auch 50 Jahre nach Schließung der letzten Schachtanlage zeigen, dass diese Stadt eng mit dem Bergbau verbunden war und ist: Gute – wie die Zechensiedlungen, die mit ihrem Gartenstadtcharakter die Stadt prägen, das erhaltene „Industrieschloss“ Maschinenhalle Zweckel oder das prächtige Gebäude der ehemaligen Berginspektion am Bernskamp, aber auch bergmännische Werte wie Solidarität, Gewerkschaftstreue und Sozialengagement.
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Aber auch weniger schöne wie nach wie vor vorhandene Brachflächen, ungepflegte einstige Zechengebäude oder auch Halden, die nicht zum Spaziergang einladen. Überhaupt verlangte der Bergbau über die Jahrzehnte der Stadt und ihren Menschen vieles ab. Dennoch: Die Verbundenheit mit der Kohle wird – auch 50 Jahre nach Schließung der letzten Zeche – noch lange bleiben.
Einst eine Musterschachtanlage
Moltke 3/4 war ab Mai 1900 auf der Schwelle zwischen Butendorf und Brauck – etwa 1,5 Kilometer südwestlich von Gladbecks erstem Pütt – entstanden, zunächst mit dem Abteufen von Schacht 3. Am 1. April 1902 begann die Förderung. Schon im Juni 1902 begann man nur 47 Meter von Schacht 3 entfernt mit dem Abteufen von Schacht 4. Moltke 3/4 zählte vor Beginn des Ersten Weltkriegs mehr als 4400 Kumpel – das war lange spitze.
Ende der 20er Jahre wurde der Pütt zur Großschachtanlage ausgebaut. 1929 erreichte die Förderung mit 1,46 Millionen Tonnen noch einmal einen Höchststand. 3660 Kumpel waren da auf der Zeche angelegt. Lange galt Moltke 3/4 als Mustergrube im Kohlen-Revier. Der 2. Weltkrieg verlief für die Moltke-Schächte recht glimpflich, die Förderung konnte lange aufrecht erhalten, Schäden schnell behoben werden. Die Kohlekrisen der 50er und 60er Jahre konnte Moltke noch zu überstehen, auch Dank einer hohen Produktivitätssteigerung. Dennoch: Teile der Produktion landeten auf Kohlehalden. Das Ende war unausweichlich.