Gladbeck. Das Abteufen der Zeche Moltke 1/2veränderte 1873 das Leben im Dorf Gladbeck. Die Bergbaupioniere brauchten vier Jahren, bis sie auf Kohle stießen.

Gladbeck war ein verschlafenes Nest, als 1873 mit dem Abteufen der Schachtanlage „Rieckchen“ draußen vor den Toren des Dorfes eine neue Epoche begann. Mit dem Pütt nahe der Gladebecke wagten die Bergbaupioniere einen weiteren Schritt nach Norden, nachdem knapp zehn Jahre zuvor mit der Zeche Nordstern in Horst erstmals ein Pütt nördlich der Emscher abgeteuft wurde.

Lange fürchteten die Zechenbarone das mächtige und wasserreiche Deckgebirge und die menschleere, entlegene Gegend ohne Bahnanschluss. Trotzdem trauten sich noch während des Krieges 1870/71 wagemutige Unternehmer in die Gegend und unternahmen Probebohrungen. Ein Essener Unternehmer namens Winter war noch erfolglos, Friedrich Köhne, der Grubendirektor der Zeche Vereinige Sellerbeck in Mülheim, erreichte dagegen im November 1871 bei einer Bohrung 350 Meter nordwestlich der Dorfkirche (heutige Postallee/Ecke Mittelstraße) in 338,72 Meter Teufe einen Steinkohlenflöz. Noch an zwölf weiteren Stellen wurde er fündig. Die Gladbecker feierten das Ereignis – ohne zu ahnen, was auf sie und ihr dörfliches Leben zukam.

Köhne erhielt vom damaligen Landesherrn, dem Herzog von Arenberg, die Rechte verliehen, die 13 Grubenfelder abzubauen. Doch er wollte sie nicht selbst erschließen, verkaufte drei Grubenfelder (Rieckchen, Gretchen und Anna) für 240 000 Mark, die unter dem Namen „Graf Moltke“ konsolidiert (vereinigt) wurden, an ein Konsortium aus fünf Unternehmern.

Gleichzeitig wurde eine Bergbaugesellschaft (Gewerkschaft) gegründet, die wiederum 1000 Anteile (Kuxe) ausgab (1883 etwa zählte die Gewerkschaft 180 Kuxenbesitzer – mit Investoren aus allen Teilen des Ruhrgebietes, sogar aus Paris und Djakarta und vier Gladbeckern).

Zechengeschichten und Kumpel erzählen

Fast 100 Jahre prägte der Bergbau Gladbeck, sorgte für Zuwanderung, wirtschaftliche Dynamik: Aus dem Dorf Gladbeck erwuchs eine florierende Stadt.

Nur mit Mühe sind heute die Spuren des Bergbaus zu finden. Die WAZ wird in einer neuen Serie die Geschichte der fünf Schachtanlagen nacherzählen.

Auch ehemalige Kumpel aus Gladbeck sollen zu Wort kommen: Wenn Sie aus Ihrer Zeit (Fotos?) als Bergmann erzählen wollen, kommen Sie zu uns (WAZ-Redaktion, Gladbeck, Horster Straße 10) oder rufen Sie an:Tel. 02043/ 29 98-38.

Am 3. Oktober 1873 begannen die Abteufarbeiten, Gladbecks erster Bergmann, ein Mann namens Lindemann, nahm den ersten Spatenstich vor. Als Standort des neuen Pütts, zu der Zeit der nördlichste des Ruhrgebietes, hatte die Gewerkschaft das Gelände des Bauern Schulte-Rentrop in Butendorf ausgeguckt, dem sie 25 Morgen für 75 000 Mark abkauften: Der genaue Schachtansatzpunkt lag 800 Meter südlich der Dorfkirche und 200 Meter westlich des an der Landstraße gelegenen Bauernhofes. Der nahe gelegene Wittringer Mühlenbach erlaubte eine leichte Ableitung der Abwässer, die Landstraße eine An- und Abfuhr der Materialien (die Horster Straße gab es noch nicht).

Um die 80 Männer umfasste die Belegschaft in den ersten Jahren während der Abteufarbeiten in das Feld Rieckchen (deshalb hieß die Zeche zunächst auch so). Das Abteufen stand unter keinem guten Stern – es dauerte länger wegen der in großer Tiefe liegenden Kohle und wegen Kapitalmangels infolge einer konjunkturellen Flaute. Außerdem soff der Schacht im Juni 1874 ab, ließ die Arbeiten stocken. Erst im Januar 1876 erreichten die Pioniere die Kohleschicht, eine erste Sohle wurde gesetzt. Es dauerte aber noch bis zum 22. Oktober 1877, bis die erste Kohle aus 458 Meter Tiefe Gladbecker Licht erblickte - am Ende des Jahres waren 1140 Tonnen gewonnen. Schon 1877 war eine zweite Sohle gesetzt worden. 1878 förderten 85 Kumpel auf Rieckchen 7194 Tonnen, 1880 waren es knapp 16 000 Tonnen bei einer Belegschaft von 211 Mann.

Schon zur Förderaufnahme waren Tagesanlagen auf dem Feld entstanden: ein Kesselhaus mit sechs Dampfkesseln, ein Malakowturm, Fördermaschine, Kaue und Verwaltungsgebäude. So veränderte sich in Gladbeck, das 2800 Seelen zählte, auch rein optisch das Leben.

1879 wurde aus dem Bergwerk Rieckchen die Zeche Graf Moltke 

1879 bekam die Zeche „Rieckchen“ einen neuen Namen: „Graf Moltke“ zu Ehren von Generalfeldmarschall Helmuth Graf Moltke. Im gleichen Jahr erhielt der Pütt den schon herbeigesehnten Eisenbahnanschluss. Bis dahin hatte der Gelsenkirchener Fuhrunternehmer Bischoff im Akkord den Abtransport mit Pferdefuhrwerken erledigt.

Moltke 1/2 in einer Ansicht von Istvan Sato. Vorn die Horster Straße. Links das noch vorhandene Haus des Bergwerksdirektors, daneben das lange verschwundene Domizil des Berginspektors.
Moltke 1/2 in einer Ansicht von Istvan Sato. Vorn die Horster Straße. Links das noch vorhandene Haus des Bergwerksdirektors, daneben das lange verschwundene Domizil des Berginspektors. © Funke Foto Services

Mit dem Eisenbahnanschluss wuchs die Förderung rapide: Ende 1880 förderte Moltke täglich 250 t Kohle, 1882 400 t. Die Jahresförderung lag bei rund 100 000 t, die Belegschaft zählte 378 Köpfe. 15 Flöze waren bereits erschlossen. 1884 entschloss sich der Grubenvorstand, einen zweiten Schacht abzuteufen, der vier Jahre später Steinkohle erreichte. Schon 1889 wurde die Kokerei mit 50 Öfen gebaut, inzwischen beschäftigte der Pütt 1326 Bergleute. Zählt man Angehörige dazu, hatten die für den Bergbau Zugereisten die Zahl der Gladbecker „Ureinwohner“ überholt.

Vor allem musste Wohnraum her: Die Graf Moltke baute 1888 die ersten 120 Bergarbeiterwohnungen – an Moltke- (heute Uhland-) und Sellerbeckstraße. Bis 1903 folgten Häuser an Kiebitzheide-, Land-, Phönix-, Wielandstraße. Ein Streik (mit Militäreinsatz und drei Toten) und ein Wassereinbruch mit Versümpfung der Zeche (1891/92, Folge: drastischer Fördereinbruch) war da längst überwunden, eine 3. Sohle gesetzt und die Tagesanlagen (u.a. Kohlenwäsche) ausgeweitet.

1932 wurde auf Moltke 1/2 die Förderung eingestellt 

Zur Jahrhundertwende kam es zur Fusion der Gewerkschaft Graf Moltke mit der Aktiengesellschaft Steinkohlenbergwerk Nordstern.

Die neue Gesellschaft vollendete die kurz zuvor eingeleiteten Investitionen: Eine elektrische Zentrale für Licht und Kraft wurde gebaut, eine neue Verladung und Sieberei wurden errichtet, der Zechenbahnhof erweitert und die Bewetterung verbessert. Ab Mai 1900 begannen die neuen Eigentümer 1,5 km südwestlich an der Schwelle zu Brauck mit dem Bau einer neuen Schachtanlage und teuften Schacht 3, ab Juni 1902 auch Schacht 4 ab.

Nachdem es 1907 eine Verschmelzung der Nordstern AG mit der Phönix AG für Bergbau und Hüttenbetrieb gegeben hatte, wurde auf Moltke 1/2 noch einmal investiert: Die Tagesanlagen wurden erneuert und erweitert, unter Tage wurden beide Schächte tiefer bis auf die 4. Sohle gelegt. Trotzdem: 1921 wurde die Kokerei stillgelegt. Und nachdem Moltke 1926 an die Vereinigte Stahlwerke AG ging, baute man den Standort 3/4 zur Großschachtanlage aus. Folge: Auf Moltke 1/2 wurde 1932 die Förderung eingestellt. Fortan wurde auf Moltke 3 /4 zentral gefördert. Aber noch lange diente der erste Pütt als Seilfahrtsstandort. Fortsetzung folgt