Gladbeck. Für viele ist Tierarzt ein Traumberuf. Doch der Berufsalltag kann schnell zur Ernüchterung führen. Ein Tierarzt aus Gladbeck nennt Gründe dafür.
Tierarzt zu werden, davon träumen bestimmt viele junge Menschen, die zuhause mit Hunden, Katzen oder Pferden aufgewachsen sind und von jeher eine feste Bindung zu Tieren entwickelt haben. So mag es auch Dr. Christian Wüst (47) aus Gladbeck gegangen sein, der sagt, es sei die Tierliebe, die ihn zu seinem Berufswunsch geführt habe. Doch die idealisierten Vorstellungen über diesen Beruf haben offenbar wenig mit der Realität zu tun.
Schon im Tiermedizin-Studium erhält man den ersten Dämpfer, sagt ein Gladbecker Tierarzt
„Schon im Studium erhält man den ersten Dämpfer“, berichtet Wüst. Es sei überwiegend theoretisches Wissen, das vermittelt werde, und er habe sich während des Studiums oft gefragt „Was hat das mit Tiermedizin zu tun?“ Erst nachdem er sich selbst um einen Arbeitsplatz bei einem Veterinär in seinem Studienort bemüht hatte, gelang es ihm, einen Bezug zur Praxis herzustellen.
„Dieser Desillusionierung folgen in der späteren Berufspraxis weitere“, sagt der Tiermediziner und spricht von fehlendem Fachpersonal, geschlossenen Tierkliniken, schmalen Gehältern und schwindender Work-Life-Balance. „Ich kenne mehrere Kollegen, die dem Druck nicht standhalten konnten“, so Wüst. Die Problematik ist auch bei der Tierärztekammer bekannt. Bereits 2016 rief eine Forschungsgruppe aus Psychologen und Veterinärmedizinern im Deutschen Tierärzteblatt zur Teilnahme an einer Studie auf, die der Frage nachgehen sollte, ob in Deutschland Tierärzte und Tierärztinnen ein erhöhtes Suizidrisiko haben und welche Faktoren möglicherweise dazu beitragen, so Wüst.
Viele Tierärzte haben ein Helfersyndrom und überschätzen die eigenen Kräfte
Im Jahr 2020 wurden die ersten Ergebnisse im Deutschen Tierärzteblatt veröffentlicht. Demnach haben Tierärzte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung in Deutschland eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit für Depressionen und ein fünfmal höheres Suizidrisiko. Dr. Christian Wüst bekräftigt diese Ergebnisse mit Beispielen aus seinem eigenen Umfeld. Die Motivation sei bei denjenigen, die sich für diesen Beruf entscheiden, extrem ausgebildet, meint der Gladbecker Tierarzt. Sie verfügten in der Regel über hohe Empathie, viel Tierliebe und ein „Helfersyndrom“, was dazu verleite, die eigenen Kräfte zu überschätzen. Burn out sei dann oftmals die Folge.
Eine weitere Ursache sieht er in dem häufigen Umgang mit Medikamenten zum Einschläfern der tierischen Patienten. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch die Studie. Einerseits sei das Töten müssen von Haustieren auch für die Tierärzte ziemlich belastend, gleichzeitig trete so etwas wie ein Alltagseffekt ein. Der ungehinderte Zugriff auf die Mittel und der gekonnte Umgang mit ihnen seien gefährlich, gerade in depressiven Phasen. „Wir Tierärzte wollen wirklich im Sinne unserer Kunden handeln, aber oft fehlt es an Wertschätzung uns gegenüber“, kritisiert Christian Wüst.
Die Ansprüche der Tierhalter an den Tierarzt wachsen
Das Tier sei inzwischen innerhalb der Familienhierarchie aufgestiegen und damit wachsen die Ansprüche, wächst die Erwartungshaltung an den Tierarzt: „Es wird kaum akzeptiert, wenn wir mal nicht zur Verfügung stehen“, so Wüst. Im Netz gebe es zunehmend Beschimpfungen und Herabsetzungen. „Das kann einen ganz schön zermürben.“ Hinzu komme: „Selbstständige Tierärzte verstehen sich nicht als Unternehmer, da sie es nicht gelernt haben.“ Deshalb müssten die Universitäten umdenken, indem sie Fächer wie Psychologie und BWL in ihre Studienordnung aufnehmen. „Es gibt zwar eine Gebührenordnung für uns, aber sie deckt niemals die wirkliche Arbeit ab.“
Und das wünscht sich Dr. Christian Wüst: „Wertschätzung für unseren Beruf, immer das Gespräch suchen statt bloße Diffamierung im Netz und vor allen Dingen Vorsorge für das Tier betreiben und nicht erst kommen, wenn es fast zu spät ist.“
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