Gladbeck. Die Zahl der Gynäkologen, die Abbrüche vornehmen, geht im Revier seit Jahren zurück. Laut Pro Familia in Gladbeck gibt es dafür mehrere Gründe.

Sie fühlt sich zu jung oder zu alt für ein Kind, steckt noch in der Ausbildung, hat psychische oder finanzielle Probleme, den Job verloren, Schwierigkeiten mit dem Partner, ist schon mehrfache Mutter . . . Eine Schwangerschaft ist nicht immer ein Grund zur Freude. 200 Frauen haben im vergangenen Jahr Kontakt zu pro familia aufgenommen, weil sie noch Gesprächsbedarf oder (und das ist das Gros der Fälle) sich zum Schwangerschaftsabbruch entschlossen hatten und die dafür notwendige Bescheinigung einer anerkannten Beratungsstelle brauchten.

Pro Familia Gladbeck: Zahl der jungen Frauen, die einen Abbruch wollen, sinkt bundesweit

„Die Bandbreite reicht reichen von Minderjährigen bis zu Frauen in den Wechseljahren“, weiß Katarzyna Beuth, Leiterin der Schwangeren(konflikt)beratungsstelle von Pro Familia in der Gladbecker Innenstadt. Wobei auch sie den bundesweiten Trend beobachtet, dass die Zahl der jungen Frauen sinkt. Und noch eine Entwicklung ist deutlich zu erkennen: Immer weniger Ärzte nehmen Schwangerschaftsabbrüche vor. In Gladbeck finden Frauen überhaupt keinen Mediziner mehr für diesen Eingriff.

Immer weniger Ärzte nehmen Schwangerschaftsabbrüche vor. In Gladbeck finden Frauen überhaupt keinen Mediziner mehr für diesen Eingriff, sagt Katarzyna Beuth von Pro Familia in Gladbeck.
Immer weniger Ärzte nehmen Schwangerschaftsabbrüche vor. In Gladbeck finden Frauen überhaupt keinen Mediziner mehr für diesen Eingriff, sagt Katarzyna Beuth von Pro Familia in Gladbeck. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Der nächstgelegenen Arzt praktiziert in Gelsenkirchen, ansonsten stehen auf der Liste, die Katarzyna Beuth und ihre vier Mitarbeiterinnen den Frauen mit auf den Weg geben, Ärzte in Essen, Bochum, Herne und Dortmund – und von denen stehen etliche vor dem Ruhestand. Einerseits, so die Diplom-Sozialarbeiterin, bedeute das zwar für die Frauen einen erhöhten Aufwand, andererseits hat sie festgestellt, dass die meisten Betroffenen den Eingriff ohnehin nicht gern an ihrem Wohnort machen lassen, aus Angst, Bekannten zu begegnen.

Nach wie vor ist der Schwangerschaftsabbruch ein Tabuthema

„Ein Schwangerschaftsabbruch ist immer noch ein Tabuthema und wird in Teilen der Gesellschaft kritisch gesehen“, beklagt Katarzyna Beuth. Das verunsichere Frauen und Ärzte gleichermaßen. Sie kennt weitere Gründe, warum immer weniger Mediziner und auch Krankenhäuser Abtreibungen vornehmen: „Dieser Eingriff ist nicht Bestandteil des Medizinstudiums. Zudem haben junge Ärzte, im Gegensatz zu ihren älteren Kollegen, noch nicht erlebt, was es bedeutet, wenn Frauen in ihrer Verzweiflung mit allen möglichen Gegenständen selbst Hand anlegen, und sie fühlen sich einem gesellschaftlichen Druck der Abbruchgegner ausgesetzt.“ Auch der finanzielle Aspekt spiele eine Rolle. Die Hygienestandards bei Schwangerschaftsabbrüchen seien zudem mittlerweile so kostenintensiv, dass sich der Eingriff nicht rechne.

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Seit langem fordern Beratungseinrichtungen wie Pro Familia zudem, dass der Paragraf 218 a, der Abtreibungen untersagt, aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. „Er kriminalisiert Frauen und Ärzte gleichermaßen. Straffrei gehen sie nur aus, wenn medizinische oder kriminologische Indikationen vorliegen oder die Bescheinigung einer anerkannten Beratungsstelle.“ Sprechen medizinische Gründe für eine Abtreibung, zum Beispiel eine schwere Behinderung des Kindes oder eine psychische Erkrankung der Mutter, ist ein Abbruch auch nach der 12. Woche möglich. Aber: „In diesen Fällen sind die Hürden für die Frauen noch deutlich höher und noch weniger Ärzte dazu bereit. Deshalb fahren nicht wenige Frauen in einer solchen Situation in die deutlich liberaleren Niederlande.“

Die Corona-Krise erschwert die Arbeit der Mitarbeiterinnen in der Pro-Familia-Beratungsstelle

Beratung über Verhütungsmittel

Das Team von Pro Familia bietet auch Beratungen über Verhütungsmittel und deren Finanzierung an. Darauf weist Katarzyna Beuth ausdrücklich hin.

Denn dank eines 42.000-Euro-Fonds des Kreises Recklinghausen können Frauen mit geringem Einkommen Spirale, Pille und Co. kostenlos bekommen: „Wir bezahlen die Rechnung, der Kreis erstattet uns die Kosten. Das wissen längst nicht alle Frauen – und vielleicht wäre manche Schwangerschaftskonfliktberatung überflüssig.“

Pro Familia hat eine Niederlassung in Gladbeck im Haus Hochstraße 39 und ist unter Tel. 25132, per Email unter gladbeck@profamiliad.de zu erreichen, www.profamilia.de

Die Corona-Krise erschwert die Arbeit der Mitarbeiterinnen in der Pro-Familia-Beratungsstelle zusätzlich noch. Die meisten Gespräche werden telefonisch geführt. Nur in Ausnahmefällen, beispielsweise bei Sprachproblemen, sind Beratungen vor Ort derzeit möglich, oft mit einem Dolmetscher oder einem Familienangehörigen, der übersetzen kann. Informationsmaterial hält die Beratungsstelle in vielen Sprachen bereit.

Alle Beratungen seien selbstverständlich ergebnisoffen, so Beuth. „Wir informieren die Frauen über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten und andere Hilfsangebote, bieten weitere Gespräche an. Aber wir akzeptieren auch, wenn ihre Entscheidung feststeht. Denn eines ist klar: Alle Frauen stehen in dieser Situation unter enormem Druck, viele schämen sich, manche haben nicht einmal engsten Verwandten von der Schwangerschaft erzählt. Alle haben lange mit sich gerungen. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Frau sich leichtfertig gegen das Kind entscheidet. Dann ist es nicht unsere Aufgabe, sie erneut zu verunsichern.“

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