Gladbeck. Die Istanbul Konvention soll Gewalt gegen Frauen bekämpfen. Das Team der Frauenberatungsstelle Gladbeck gibt Einblicke in die Problematik.

Istanbul Konvention? Was ist das denn? Hand aufs Herz: Wer vermag aus dem Effeff etwas über den völkerrechtlichen Vertrag zu sagen, der verbindliche Rechtsnormen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt schuf? Klar, dass Susanne Dillner, Saskia Meyer, Sarah Sandi und Miriam Schmikowski von der Frauenberatungsstelle Gladbeck das allein schon von Berufs wegen können. Und die Expertinnen setzen sich nach Kräften dafür ein, besagte Istanbul Konvention samt ihren Inhalten stärker ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Gladbecks Expertinnen: „Das Thema Gewalt gegen Frauen ist präsent“

Seit immerhin 2014 ist das Übereinkommen im Europarat in Kraft, in Deutschland seit dem 1. Februar 2018. Woran es liegen mag, dass die Istanbul Konvention allgemein recht wenig publik ist? Sandi mutmaßt: „Vielleicht wird das Thema als Frauenthema tabuisiert.“ Oder, so Dillner: „Frauen und Kinder sind einfach nicht wichtig genug.“ Eines ist für die beiden jedenfalls unumstritten: Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt – vor dieser Materie schließt manch einer gerne Augen und Ohren. „Das Thema ist so unangenehm, weil es so präsent ist“, meint Dillner, die seit zwölf Jahren in der hiesigen Beratungsstelle tätig ist.

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Rund 600 Beratungskontakte verzeichnete der Gladbecker Verein für das Jahr 2018, das Gros drehte sich um das Thema „Gewalt“. Das Problem kann hinter jeder Wohnungstür stehen. Denn jede dritte Frau erlebt laut Studien mindestens einmal im Leben sexuelle und/oder körperliche Gewalt. „Frauen kennen oft ihre Rechte nicht. Für sie sind Ohrfeigen normal“, berichtet Susanne Dillner. Von psychischer Gewalt einmal ganz zu schweigen, denn „die ist schwer greifbar“. Fachleute schätzen, das etwa 80 Prozent der Taten im Dunkelfeld bleiben. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurden 140.755 Menschen in Partnerschaften im Jahr 2018 Opfer von versuchter oder vollendeter Gewalt. Das Gros mit 81,3 Prozent: Frauen. 122 starben an den Folgen.

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Bei dem Thema spiele es überhaupt keine Rolle, aus welchem Umfeld die Opfer stammen: Häusliche Gewalt gehe durch alle Gesellschaftsschichten, Kulturkreise und Altersgruppen. „Hier bei uns melden sich auch Frauen über 80“, sagt Dillner. Genau diese Offenheit spiegele die Arbeit wider: Religion und sexuelle Ausrichtung einer Ratsuchenden sind kein Thema, so Saskia Meyer. Für sie und ihre Kolleginnen zählen unter anderem folgende Grundsätze: Parteilichkeit von Frauen für Frauen, die Beratungsstelle als Schutzraum sowie Niederschwelligkeit. Das Wichtigste überhaupt: „Männer müssen erst mal draußen bleiben!“

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Sarah Sandi (links) und Susanne Dillner machen sich seit Jahren in der Frauenberatungsstelle Gladbeck für Frauenrechte stark.
Sarah Sandi (links) und Susanne Dillner machen sich seit Jahren in der Frauenberatungsstelle Gladbeck für Frauenrechte stark. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Sandi betont, es „müsste gesellschaftlich umgedacht werden“, um Verbesserungen zu erzielen. Dillner ergänzt: „Ich würde mich freuen, wenn sich auch Männer einbrächten.“ Leider gebe es jedoch wenig Anlaufstellen für gewalttätige Männer – wie „Echte Männer reden“, ein Beratungsangebot der Caritas Herten. Und was oftmals bei der Problematik vergessen werde: Auch Kinder leiden, bekommen die Auswirkungen zu spüren – nicht nur, weil sie als Druckmittel eingesetzt werden. Sandi warnt: „Da wächst die nächste Opfer-Täter-Generation heran.“ Die Folge ist ein Teufelskreis, der durchbrochen werden müsse.

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Den Expertinnen liegt es am Herzen, betroffenen Frauen Selbstbewusstsein zu vermitteln. Denn bei der Entwicklung zu eskalierenden Situationen handele es sich um „einen schleichenden Prozess“. Sandi: „Das Opfer ist irgendwann zutiefst verunsichert.“

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Eines habe die Istanbul Konvention bewirkt, so die Expertinnen: „Man merkt, dass die Politik etwas tut. Es wurde jetzt zum ersten Mal die Dynamik der Lohnkosten berücksichtigt, und auch der Posten für Sachkosten wurde aufgestockt.“ Das Geld spiele eine zentrale Rolle bei ihrer Arbeit. „Das ist die größte Baustelle, daran hängt tatsächlich alles“, so Sandi. Denn: „Wir haben hier keine 100-Prozent-Finanzierung, aber wir brauchen finanzielle Sicherheit.“ Dillner erläutert: „Wir könnten noch eine Präventionsstellenbeauftragte einstellen. Da bekämen wir vom Land 80 Prozent der Kosten dazu. Aber woher sollen die anderen 20 Prozent kommen?“

Informationen und Kontakt

Die Gladbecker Frauenberatungsstelle hat ihren Sitz an der Grabenstraße 13. Es handelt sich um eine unabhängige Einrichtung. Das Team – Susanne Dillner, Saskia Meyer, Miriam Schmikowski und Sarah Sandi – ist an die Schweigepflicht gebunden.

Das Angebot ist ausschließlich für Frauen gedacht. Die Beratung ist kostenfrei und auf Wunsch anonym. Weitere Informationen und Kontakt: www.frauenberatungsstelle-gladbeck.de, 66699, Fax 929795, team@frauenberatungsstelle-gladbeck.de

Betroffene können sich auch an das „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ wenden. Sie werden unter 08000 116016 rund um die Uhr und gebührenfrei beraten. Wenn Frauen zu Hause Gewalt erfahren, können sie unter 110 die Polizei verständigen, um sofortigen Schutz vor Misshandlung zu bekommen.

Sandi sagt: „Die Themen müssen finanziert werden.“ Dillner verdeutlicht: „Öffentlichkeitsarbeit, Workshops, besondere Angebote für behinderte Frauen und Migrantinnen . . .“ Gerade bei Letztgenannten sei noch einiges zu tun: „Es gibt beispielsweise zu wenig spezialisierte Therapeutinnen mit dem entsprechenden Background.“

Über eine weitere Ausweitung des Angebots würden sich Expertinnen freuen: Plätze in Frauenhäusern. „Es gibt nicht genug, aber wir können nicht sagen, wie viele wir genau benötigen“, gibt Sandi zu. Meyer: „Es ist immer schwer, einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen. In Nordrhein-Westfalen sind so gut wie keine frei.“

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Doch es existiere bundesweit ein „gutes Netz“. Über „fraueninfonetz-nrw.de“ ist erkennbar, an welchen Standorten noch Kapazitäten bestehen. Allerdings: Viele sind mit Rot als ausgelastet gekennzeichnet. Doch Sandi meint ohnehin: „Das Frauenhaus ist für uns immer der letzte Weg, denn wir wollen Kinder nicht entwurzeln. Wir wollen, dass der Täter geht.“