Gladbeck. Erkranken Menschen mit Migrationshintergrund öfter an Corona? Die Stadt Gladbeck hat Listen mit Namen von Infizierten ausgewertet. Das Ergebnis.
Erkranken Menschen mit Migrationshintergrund öfter am Coronavirus als andere Bevölkerungsgruppen? Ist bei ihnen die Impfbereitschaft geringer? Zurzeit wird darüber angesichts der dritten Infektionswelle regional und bundesweit diskutiert. Vorurteile dazu kursieren auch in Gladbeck. Die Redaktion erreichen Hinweise von Bürgern zu sozialen Brennpunkten mit beigefügten ‘Beweisfotos’. Diese zeigen Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund, die in größeren Gruppen ohne Mund-Nasen-Schutz zusammenstehen. Gibt es Statistiken, die Vermutungen zu diesem Thema bestätigen oder entkräften können?
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe ist für die Vergabe der Termine im Impfzentrum des Kreises Recklinghausen zuständig. „Wir erheben bei der Anmeldung keine Daten darüber, ob sich Menschen impfen lassen, die einen Migrationshintergrund haben“, so Pressesprecherin Vanessa Pudlo. Aussagen von Bürgern nach Impfterminen, dass sie nur wenige Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund gesehen hätten, kann der Kreis Recklinghausen nicht bestätigen. „In unserem System wird nicht erfasst, welche Nationalität oder kulturellen Hintergrund die Menschen haben. Das ist für die Kontaktnachverfolgung auch völlig unerheblich“, so Sprecherin Svenja Küchmeister.
Stadtverwaltung in Gladbeck hat Infiziertenlisten ausgewertet
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Die Stadt Gladbeck berichtet seit Jahresbeginn differenzierter zum Infektionsgeschehen und weist im Wochenbericht zur Corona-Situation auch die aktuellen Zahlen der Neuerkrankten in den Stadtteilen auf. Festzustellen ist dabei, dass die meisten Infektionen in Stadtteilen mit hoher Bevölkerungsdichte wie auch Ausländeranteil registriert werden. Konkret: Der Stadtsüden ist am stärksten betroffen. Um ein genaueres Bild zu erhalten, habe die Stadt jetzt vom Kreisgesundheitsamt übermittelte Listen der Infizierten ausgewertet, so Sozialdezernent Rainer Weichelt. Dabei habe man das Augenmerk auf die Namen gelegt, „bei denen davon ausgegangen werden kann, woher die Menschen kulturell stammen“. Rund 400 Namen wurden betrachtet. Mit dem Ergebnis, so Weichelt, „dass 54 Prozent dieser Infizierten offenbar einen Migrationshintergrund haben“. Dies spiegele sich entsprechend auch bei den Patientenanteilen auf der Intensivstation des St. Barbara-Hospitals wider.
Im Krankenhaus selbst erfolgt keine statistische Auswertung zur Herkunft der Patienten. „Für die intensivmedizinische Behandlung von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus spielt die Frage der individuellen Herkunft, Nationalität oder Migrationsgeschichte keine Rolle“, so Sprecher Wolfgang Heinberg. „Auf unseren Intensivstationen werden Menschen behandelt, deren individuelle Krankheitsverläufe, z.B. als Corona-Patienten, eine intensive medizinische Intervention und eine umfassende Beobachtung durch medizinisches Fachpersonal lebensnotwendig machen. Wann und wo sich diese Patienten z.B. mit dem Coronavirus infiziert haben, ist für das dort behandelnde medizinische wie pflegerische Personal nicht von Belang.“
Schutzverordnung zu akzeptieren ist „eine Aufgabe der persönlichen Verantwortung“
Im Klinikverbund des St. Augustinus Konzerns gehe man davon aus, so Heinberg, „dass mittlerweile die Gefahren, die eine Corona-Infektion mit sich bringe und die Möglichkeiten, wie man sich vor einer Infektion schützen kann, allgemein bekannt sind – in vielen Sprachen und auf vielen Kommunikationswegen“. Diese Regeln zu kennen, zu verstehen und zu akzeptieren sei „eine Aufgabe der persönlichen Verantwortung“, der sich alle stellen müssten. Die vorgegebenen Regeln durchzusetzen, sei Aufgabe gesellschaftlicher Verantwortungsebenen. Heinberg: „Mutmaßungen über die Regelakzeptanz und das Regelverständnis einzelner Bevölkerungsgruppen stehen uns als Krankenhausträger nicht zu.“
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Sozialdezernent Rainer Weichelt unterstreicht, „dass die Stadt seit Ausbruch der Pandemie eine umfangreiche Informationskampagne gestartet habe. Zum Beispiel auch mit Informationen in mehreren Sprachen, die an Bushaltestellen angebracht wurden und mit Sprachmittlern, die soziale Brennpunkte wie das Hochhaus Steinstraße aufsuchen, um die Menschen direkt zu informieren“. In letzterem sei kein Infektionsgeschehen festzustellen, betont der Sozialdezernent. Betrachte man zur Auswertung der Infiziertenlisten nun weiter, dass der Anteil der Migranten an der Gladbecker Gesamtbevölkerung etwa bei 35 bis 40 Prozent liege, so stehe das Ergebnis der Auswertung fest. Weichelt: „Nach unserer groben Betrachtung erkranken anscheinend Menschen mit Migrationshintergrund in Gladbeck öfter an einer Coronavirus-Infektion als andere Bevölkerungsgruppen.“
Die Migranten in Gladbeck „sind keine Coronatreiber“
Es sei aber völlig falsch, aus diesem Ergebnis schließen zu wollen, dass dieser Bevölkerungsanteil generell nachlässiger mit den Corona-Schutzverordnungen umgehe. „Migranten sind keine Coronatreiber“, so Weichelt. Er wisse, dass sich zum Beispiel die Moscheegemeinden „vorbildlich an die Hygienevorschriften halten“. Der größere Anteil von Migranten an den Infiziertenzahlen habe sozio-ökonomische Gründe. Denn diese verfügten oft über ein geringeres Durchschnittseinkommen, lebten als kinderreiche Familien häufig in kleineren Mietwohnungen ohne Gartenzugang, „so dass sich hier schneller eine größere Anzahl von Menschen infiziert“.