Gladbeck. 14.500 Menschen arbeiteten 1958 auf den fünf Pütts – Rekord! Tausende von Wohnungen entstanden neu. Die Innenstadt wandelte deutlich ihr Bild.
Die Grundlage für den Wiederaufbau in den 50er Jahren war die Kohle: Auch auf den Gladbecker Zechen lief die Förderung rasch auf Hochtouren. Viele fanden auf den Bergwerken wieder Arbeit. Gleichzeitig kehrte langsam so etwas wie Normalität in das Leben der Stadt zurück.
Die Braucker Zeche Mathias Stinnes 3/4 war durch den Krieg zwar teils sehr stark beschädigt worden, doch schon 1950 war der Pütt soweit wieder hergestellt, dass man die Förderung kontinuierlich steigern konnte. Auch die 80 Öfen der Kokerei waren bereits wieder angeblasen worden. Die Moltke-Schächte waren recht glimpflich aus der Kriegszeit herausgekommen, Schäden wurden schnell behoben. Auch die Möllerschächte liefen schon „bald wieder auf vollen Touren“. In der Folge arbeiteten auf den Zechen insgesamt bis zu 14.500 Menschen – das war die höchste Beschäftigtenzahl, die der Bergbau jemals in Gladbeck erreichte. Durch Kriegsrückkehrer und Heimatvertriebene war die Zahl der Gladbecker 1950 auf 72.000 Einwohner gestiegen und lag damit um 12.000 höher als zu Kriegsbeginn. 1956 zählte Gladbeck erstmals sogar 80.000 Einwohner.
Neue Industrien siedeln sich bereits ab 1952 in Gladbeck an
Neue Industrien kamen hinzu: 1952 wurde die Phenolchemie gegründet, die die Flächen des demontierten Werks der IG-Farben-Chemie in Zweckel nutzte, 1954 startete die Produktion. Im neuen Gewerbegebiet an der Bottroper Straße in Ellinghorst entstand das Unternehmen Gerlach, eine Spezialfirma für stählernen Grubenausbau. Aber auch Borsig und Rockwool siedelten sich an. Anfang der 50er Jahre nahm das 1948 von Heinrich Buschfort gegründete Textilunternehmen mit hauseigenem Verkauf einen rasanten Verlauf. Ende der 50er Jahre war der Gladbecker Textilbetrieb eine regelrechte Marke in der ganzen Region.
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Bereits im Sommer 1948 meldete die Vestische, dass ihr komplettes Netz mit 19 Linien wieder lief – in Gladbeck gab es nach dem Krieg fünf Linien. Aus Buer kamen die 10 und 11, nach Bottrop fuhr die 19. Zentraler Haltepunkt war am Rathaus, wo vier Linien hielten. Die 17 hielt dort von Kirchhhellen/Rentfort kommend und fuhr nach Horst weiter. Die 23 fuhr nach Schultendorf und Zweckel. Schon 1950 baute das Kaufhaus Althoff an der Hochstraße 10, gegenüber dem Rathaus, ein neues Haus. Zunächst wurde bis 1951 ein Flachbau mit einem Obergeschoss errichtet (1650 Quadratmeter Verkaufsfläche). Schon 1954 erfolgte die Aufstockung um zwei weitere Obergeschosse. 1952 wurde der Neubau des Möbelhauses Kretschmer an der Postallee abgeschlossen.
Tausende Wohnungen entstanden jedes Jahr neu
Überhaupt wurde ohne Unterlass gebaut: Jährlich kamen mehr als 1000 Wohnungen dazu. Das Rekordjahr war 1953 mit 1116 Wohnungen. 1954 bezogen die ersten Bewohner die ECA-Siedlung auf dem Rosenhügel, wo mit Mitteln aus dem Marshall-Plan 600 Eigenheime für Arbeiter entstanden. Auch viele moderne Mehrfamilienhäuser mit 1500 Wohnungen wurden in der 50ern auf dem Rosenhügel errichtet. Auch in anderen Ortsteilen entstanden neue Siedlungen – wie das Pestalozzidorf 1952/53 in Ellinghorst, die Moltkesiedlungen in Butendorf oder die Südparksiedlung. Auch viele Schulen entstanden neu: 1954 startete der Bau des neuen Mädchengymnasiums am Jovyplatz, 1951 wurde bereits die Rosenhügelschule fertig gestellt, die Schillerschule an der Roßheidestraße 1954. An der Kortestraße wurden zwei neue Realschulen gebaut – eine für Jungen, eine für Mädchen. Auch die Berufsschule erhielt zwei neue Gebäude.
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Schnell veränderte sich nach 1950 durch den Wiederaufbau der teils völlig zerstörten unteren Hochstraße das Bild in diesem Teil der Innenstadt. Es entstanden viele Neubauten – und dort, wo noch Altbebauung vorhanden war, setzte man eine Arkadenlösung um, um den Straßenraum zu vergrößern: An vielen Stellen der Innenstadt wurden die Erdgeschosse um drei Meter zurückgebaut, die Fassaden geständert und so die darunter liegende Fläche für Fußgänger nutzbar gemacht. Gleichzeitig wurde die Straße bis zu den Häusern verbreitert. Noch heute gibt es Arkaden-Reste in der City.
Ab 1954 wurde der Bereich an der Horster Straße umgebaut
1954 beschlossen die politischen Gremien eine erste große städtebauliche Umstrukturierung für den Innenstadt-Bereich westlich der Horster Straße zwischen Hochstraße und Marktplatz. Jahre später war der Bereich kaum wiederzuerkennen: Die Horster Straße, einst Kaiserstraße, präsentierte sich zwischen Hoch- und Friedrichstraße großzügiger und städtischer, die Häuser auf der Westseite waren Zug um Zug neu errichtet und dabei um bis zu fünf Meter zurück versetzt worden. Der östliche Teil der Lambertistraße (zwischen Goethe- und Horster Straße) entstand völlig neu, man wollte von Westen „den Blick auf St. Lamberti öffnen“. Diesem Umbau fielen allerdings zwei alte Dorfstraßen zum Opfer: der Schenkendiek südwestlich und der Timmerhof nordwestlich der Lambertikirche.
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Am Rathaus entstand 1952 auf den Grundmauern der alten Turnhalle des im Krieg zerstörten Lyzeums die Stadtbücherei - eine moderne „Freihandbücherei“, die seinerzeit ihresgleichen suchte und über Gladbeck hinaus viel Beachtung fand. 1954 wurde in Gladbeck-Ost eine neue Kirche gebaut: St. Johannes, später (1961) St. Elisabeth Ellinghorst. Im völlig zerstörten Vestischen Hof wurde zunächst in den Trümmern viele Jahre eine Kneipe betrieben, nach 1960 wurde dort das Dietrich-Bonhoeffer-Haus „mit Jugendheim und Festsaal“ gebaut. 1955 begann ein bedeutendes Straßenbauprojekt: Der Bau der B 224 auf der heutigen Trasse. Die Arbeiten dauerten bis 1959. Obwohl die neue „Verbandsstraße“ zweispurig angelegt wurde, berücksichtigte die Planung bereits einen künftigen „Ausbau auf vier Spuren ohne Mittelstreifen“. 1958 meldete die Stadt der Bezirksregierung, dass der Wiederaufbau beendet war.
Ende der 50er Jahre gab es einen ersten politischen Eklat
Allerdings endeten die 50er Jahre mit einem ersten Eklat in der Kommunalpolitik, der durch eine politische Stagnation des langjährigen OB Fritz Lange (SPD), aber auch durch Unmut in Teilen der SPD-Fraktion gegenüber Oberstadtdirektor Hans Boden begründet war. Lange wurde im Oktober 1958 vom Rat (in dem nach dem KPD-Verbot bei der Kommunalwahl 1956 nur nur noch die SPD mit 22 und die CDU mit 14 Stimmen vertreten war) nicht wiedergewählt, stattdessen wurde Heinrich Kliem, ebenfalls SPD, neuer OB. Er zählte aber zu den neun Rebellen der SPD-Fraktion, die sich zunächst als „Unabhängige Sozialdemokraten“, dann als „Unabhängige Wählergemeinschaft“ (UWG) abspalteten – und bei der nächsten Kommunalwahl 1961 zehn Prozent der Stimmen holten.
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Parallel zur dicken Luft in der Politik machten sich Ende der 50er Jahre Vorboten der sich anbahnenden Kohlekrise bemerkbar: 1958 gab es erste Feierschichten auf Stinnes in Brauck. Auf den Möllerschächten waren neue Investitionen am Ende der 50er Jahre bereits mit einem Rückbau verbunden. In Zweckel – im Verbund mit Scholven – wurde 1961 die Seilfahrt eingestellt. Am 1. März 1963 wurde die Zeche stillgelegt – als eine der ersten Pütts im Revier.
Von Schützenvereinen und Kirchengemeinden
Die Tradition der Schützenvereine lebte nach dem Krieg schnell wieder auf. Schon 1951 feierte der Schützenverein Gladbeck-Mitte auf dem Meyplatz Schützenfest. Im März 1952 wurde die alte, verloren geglaubte Königskette im Tresor der Baufirma Braunsteiner entdeckt.
Im Sommer ‘52 feierte der Schützenverein Hubertus Zweckel groß sein 40-jährigen Bestehen. Und ein Jahr später der Schützenverein Gladbeck-Mitte „bei stärkster Anteilnahme der Bevölkerung“ sein 300-jähriges Bestehen. 1955 gründete sich sogar in Ellinghorst die Schützenbruderschaft „Andreas Hofer“ neu.
Große Anstrengungen wurden unternommen, die Kirchen wieder instand zu setzen. Bereits im November 1947 fand in St. Lamberti wieder der erste Gottesdienst statt, nach und nach wurde die Inneneinrichtung ergänzt, 1953 kamen noch vier neue Glocken in den Turm. Herz Jesu Zweckel konnte im Mai 1949 wieder bezogen werden, die Instandsetzung von Christus König Schultendorf war im September 1950 abgeschlossen. In der schwer zerstörten St.-Marien-Kirche Brauck konnte erst im Dezember 1951 wieder der erste Gottesdienst gefeiert werden.
Die ev. Christuskirche wurde 1950 wieder eingeweiht, zum gleichen Zeitpunkt wie die Braucker Pauluskirche. Die Martin-Luther-Kirche in Rentfort war erst 1952 wieder zu nutzen.
100(0) Jahre Gladbeck: Bisherige Folgen in der Übersicht
- Folge 22 – Das Auf und Ab in den 70ern
- Folge 21 – Der Strukturwandel forder Gladbeck herau [€]
- Folge 20 – Die aufstrebende Zeit der 50er Jahre [€]
- Folge 19 – Die harte Nachkriegszeit [€]
- Folge 18 – Die Zerstörung der Stadt im 2. Weltkrieg [€]
- Folge 17 – Die NS-Zeit in der Stadt [€]
- Folge 16 – Die braune Zeit beginnt in Gladbeck nur zögerlich [€]
- Folge 15 - 1923 wurde Gladbeck besetzt [€]
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- Folge 13 – Harte Jahre durch den ersten Weltkrieg [€]
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- Folge 10 – Die Gründerzeit schafft städtische Konturen [€]
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- Folge 8 – 1885: Aus der Gemeinde wird das Amt Gladbeck [€]
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- Folge 6 – 1841: Gladbeck wird Gemeinde und erhält einen Ortsvorsteher [€]
- Folge 5 – 1816 werden Dorf und Kirchspiel Gladbeck preußisch [€]
- Folge 4 – Johann Heinrich Riesener: Ein junger Gladbecker macht Karriere am Pariser Hof [€]
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- Folge 1 – Schon in vorchristlicher Zeit leben Siedler an der Gladebecke [€]
In 2019 wird die Stadt Gladbeck 100 Jahre alt. Anlass für uns, die Geschichte Gladbecks, die vor 1000 Jahren begann, in Serie darzustellen. Quellen sind die Bücher „Geschichte der Stadt Gladbeck“ von Rainer Weichelt, „Gladbeck“ von Harald Neumann, „Verdrängte Jahre – Gladbeck unterm Hakenkreuz“ von Frank Bajohr, „Feuersturm an der Ruhr“ aus dem Klartext-Verlag, die Dokumentation „Glabotki ist nicht!“ von Erna-Johanna Fiebig und Rainer Weichelt, die Chronik „40 Jahre Amt Gladbeck“ von Ludwig Bette (von 1925), Expertisen aus dem Stadtarchiv sowie verschiedene Aufsätze von Heimatforschern.
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