Gelsenkirchen. Die gut 1600 Kilo schwere Bronzeglocke wurde 1530 für die Kirche St. Georg gegossen. Über Jahrhunderte gab sie im Kirchspiel Gelsenkirchen den Ton an und ist das älteste Renaissance-Relikt in der Stadt. Der Ingenieur Hans-Joachim Koenen hat die Glockengeschichte für ein Heft des Heimatbundes aufgezeichnet.
Die Expertise eines Glockensachverständigen brachte Hans-Joachim Koenen die Bestätigung. „Anno 1530“ hatte der Fachmann als Datum auf der verwitterten Bronze in der Evangelischen Altstadtkirche entziffert, auch wenn die 5 wie ein rechter Winkel ausschaut und die 3 wie ein verunglücktes M, das an der 0 klebt. Spätestens damit stand für den zweiten Vorsitzenden des Gelsenkirchener Heimatbunds fest: Der „Dicke Georg“ ist damit älter als der bedeutende „Grimberger Altar“ von 1574 in der Bleckkirche und auch älter als Schloss Horst.
Namenspatron und Marienfigur
Die 1554 schon recht verwahrloste steinerne Turmhügelburg des Rutger von der Horst brannte 1554 ab. Erst in diesem Jahr gab der spätere Schlossherr den höchst repräsentativen Neubau im Renaissancestil in Auftrag. Somit ist die Glocke „das älteste noch vorhandene Zeugnis der Renaissance in Gelsenkirchen“, sagt Koenen. Er hat ihr in den letzten Monaten viel Aufmerksamkeit gewidmet: Für den Heimatbund hat der 67 Jahre alte Ingenieur die Geschichte der Georgsglocke erforscht, die natürlich auch ein Teil Stadtgeschichte ist.
Der heilige Namenspatron und eine Marienfigur zeigen: Als die Glocke gegossen wurde, tönte sie zunächst in einer katholischen Kirche. Die Reformation kam erst spät nach Gelsenkirchen. „Zwischen 1606 und 1631 wechselten sich katholische und evangelische Pastoren ab, bis schließlich die Protestanten die St. Georgs-Kirche endgültig übernahmen“, so Koenen. In der damaligen Bauerschaft Wüllendorf entstand das frühe Gotteshaus als romanische Basilika, die um 1250 erweitert wurde. Zur Sturmglocke und der „Marienglocke“ dort wird der „Dicke Georg“ in Auftrag gegeben. Heinrich II. von Querraide macht sich vor Ort an die Arbeit. Der typische Zierfries kündet von seiner Handwerkskunst und zeugt von der Arbeit des Kölner Glockengießers.
Die Antiqua-Inschrift auf der Glocken-Schulter ist in Latein verfasst und verrät, wem das gute Stück gewidmet ist: Dem Heiligen Georg. 1,32 Meter Durchmesser und gut 1600 Kilo Gewicht blieben nicht ohne Folgen – im Volksmund heißt die Glocke bald „Dicker Georg“. Jahrhunderte lang hat sie für Christen in Kirchspiel und Stadt Gelsenkirchen den Ton angegeben bei Gottesdiensten und Feierlichkeiten, mehrere Umzüge inklusive. Vom Rundhöfchen ging es in die ab 1881 errichtete neue Altstadtkirche und schließlich 1923 in die am 29. November 1911 eingeweihte evangelische Kirche in der Neustadt. In der Auferstehungskirche wurde am 15. Mai 2011 der letzte Gottesdienst gefeiert – das Dienstende für die Georgsglocke.
„Dann hätten wir einen Platz mit zwei Denkmälern“
In der Evangelischen Altstadtkirche hat der „Dicke Georg“ Asyl und einen Platz gefunden. Pfarrer Peter Gräwe ist mit der Lösung allerdings nicht rundum glücklich. Die Glocke, findet er, stehe jetzt eher im Abseits. „Kaum einer sieht sie“. Seine ursprüngliche Idee, der Bronzeglocke im Zuge der Platzerneuerung vor dem Hans-Sachs-Haus einen sichtbar besseren Auftritt zu verschaffen, hat sich zerschlagen. „Aber wir haben noch den Heinrich-König-Platz. Der wird ja auch neu gestaltet“, sagt der Pfarrer.
Für die Stele, die an den im Konzentrationslager Dachau von den Nazis ermordeten katholischen Priester erinnert, soll nach dem Umbau ein neuer, würdiger Platz gefunden werden – vielleicht in dem Hain, der an der Kirche St. Augustinus entstehen soll. Gräwe: „Vielleicht könnte man dort auch die Glocke aufstellen. Dann hätten wir einen Platz mit zwei Denkmälern.“ Hüben wie drüben gilt jedoch: Der „Dicke Georg“ müsste ansprechend und solide befestigt werden, um Metalldieben keine Chance zu geben.
Seit Heiligabend 1959 beschallte das Geläut die Neustadt.
Der Klöppel liegt neben dem „Dicken Georg“ in der Altstadtkirche, die Georgsglocke selbst ruht auf schwarzem Samt. Am 28. Juni 2012 wurde sie aus dem Glockenturm in der Neustadt zu Boden gebracht – vereint mit ihren aus Bronze von der Gießerei Rincker im Dillkreis gegossenen vier Geschwisterglocken, die der evangelischen Kirchengemeinde in Gevelsberg überlassen wurden. Seit Heiligabend 1959 beschallte das Geläut die Neustadt.
Die Auferstehungskirche wurde 1986 unter Denkmalschutz gestellt. Ihr Ende als Gotteshaus konnte das nicht abwenden. Auch der „Dicke Georg“ wurde mit der Kirche zum Denkmal erklärt. Vier Kirchen hat er durchwandert. Hans-Joachim Koenen hat die „Geschichte der ältesten Glocke Gelsenkirchens und ihrer Weggefährtinnen“ akribisch recherchiert und auf 42 Seiten nachgezeichnet.
Das Heft (5 Euro, u. a. in der Buchhandlung Junius) hat der Gelsenkirchener Heimatbund herausgegeben, zunächst mit 300 Stück Auflage. Der Verein legt damit nach längerer Pause seine Schriftenreihe wieder auf. Ein weiteres Werk ist in Arbeit. Es wird sich der Dahlbusch-Bombe widmen.