Gelsenkirchen. Mehr als 50 Studenten der Rietveld Akademie in Amsterdam verwandeln noch bis diesen Sonntag 25 leerstehenden Geschäfte im Gelsenkirchener Süden in Ateliers. Zu finden ist unter anderem ein “Museum der geborgten Dinge“.

Am Schaufenster kleben nur noch Reste der Döner Kebab-Werbung, die Lichter der Coca-Cola-Reklame sind längst erloschen, und im Inneren des Ladenlokals dreht sich schon lange kein Fleisch-Spieß mehr.

Und dennoch erblüht im leeren Ladenlokal an der Bochumer Straße 133 im Stadtsüden seit anderthalb Wochen neues Leben. Die Künstler sind da.

53 internationale Studenten der renommierten Rietveld Akademie Amsterdam verwandeln noch bis zum Samstag 25 vor allem ausgestorbene, herunter gekommene Geschäftsräume in lebendige Ateliers auf Zeit. In Labore, wie es Joost van Haaften nennt, Dozent der Gäste aus 17 Nationen. „Wir sind nicht gekommen, um Lösungen zu schaffen, sondern um zu zeigen, dass man Negatives in positive Energie verwandeln kann.“

Überraschende Sammlung aus Geschichten und Erinnerungen

Und Energie haben sie, die jungen Kreativen aus aller Welt. Yoojin Lee aus Süd-Korea zum Beispiel. Die 26-Jährige gründete das „Museum der geborgten Dinge“. Leihen, sagt sie, sei etwas Universelles. Borgen bedeute auch, Vertrauen zu haben. So rief die Studentin die Bürger auf, ihr irgendetwas zu leihen, und das Museum wächst mit jedem Tag ein Stück mehr. „Alle Dinge erzählen Geschichten von Menschen.“ Das alte Familienfoto eines einst jungen Mannes zum Beispiel, der heute 89-jährig das Krankenbett hütet. Oder der Filzstift eines jungen Mädchens, der tönerne Bierkrug mit dem Glückauf-Schriftzug, und, und, und.

Alle Dinge erhalten wie in einem klassischen Museum ein Schild. So entsteht eine überraschende Sammlung aus Geschichten und Erinnerungen.

Erinnerungen an alte Handwerkskunst

Um Erinnerungen drehen sich gleich einige Projekte. Die 23-jährige Österreicherin Johanna Arco sucht Spuren des Vergangenen im Lokal an der Bochumer 135. „Letting the walls speak“ nennt sie ihre Arbeit, bei der sie mit Spachtel und Messer Schichten an Wänden und Boden, einst von Menschenhand aufgetragen, vom Zahn der Zeit angefressen, wieder freilegt. „Ich will einen Teil des Geheimnisses, was diese Wände mal beherbergt haben, mitteilen.“

Erinnerungen an alte Handwerkskunst greift die Finnin Mira Liimatainen in der Bergmannstraße 9 auf. Sie färbte Schafswolle mit Schafsgarbe ein, die sie in der Nähe gesammelt hatte: „Die Wolle porträtiert die Umgebung, Wasser, Boden, Jahreszeiten hinterlassen ihre Spuren.“ Auch hier entsteht Kunst im kreativen Prozess mit dem Ort und mit seinen Menschen. „Und die Straße“, ist sich van Haaften sicher „hat wieder einen guten Ruf.“

Rietveld-Projekt mit 42 Angeboten

Am Sonntag wird das Europäische Parlament gewählt. Auf der Bochumer Straße ist Europa bereits zu Gast. Am Freitag, 23. Mai, wird um 19 Uhr die Abschlusspräsentation des Rietveld-Projekts mit stattlichen 42 Angeboten eröffnet (Bochumer Straße 94) und bis Samstag zu sehen sein.

Aber schon ab heute können alle Interessenten hinter die Kulissen der Künstler gucken. Die Ladenlokale, von außen durch Plakate gekennzeichnet, öffnen am Donnerstag von 13 bis 18 Uhr, Freitag von 12 bis 17 und von 20.30 bis 23 Uhr sowie Samstag von 10 bis 15 Uhr.

Private Performance eines Tänzers

Von vielen Projekten seien nur ein paar genannt: Im Teich vor dem Wissenschaftspark lässt die Niederländerin Lillian Vlaun Skulpturen zu Wasser, die sie aus Fundstücken an der Bochumer Straße kreiert hat. In der Heilig-Kreuz-Kirche machen die Schweden Olle Stjerne und Joakim Derlow täglich Theater (heute 21 Uhr, Freitag 21 und 22 Uhr, Samstag 15 Uhr).

Malerei, inspiriert durch diese Stadt, zeigt Kjartan Söderberg aus Dänemark im Lokal an der Bochumer 160. Eine private Performance von einem Tänzer für einen Besucher bietet der Grieche Giorgos Tsiongas im Exodus, Bochumer 134, an. Und die US-Amerikanerin Caroline Marin zeigt ihre fotografische Dokumentation des Projektes.