Gelsenkirchen. Besonders gilt das für große, zusammenhängende Gewerbeflächen für Firmenansiedlungen. Im Wettbewerb setzt der Oberbürgermeister dabei auf Fein-Abstimmung mit den Nachbarn. Über Erfolge 2013 und Aufgaben 2014sprach WAZ-Redaktionsleiter Friedhelm Pothoff mit Frank Baranowski.

Jahreswechsel, Zeit für die (persönliche) politische Bilanz und einen Ausblick mit Oberbürgermeister Frank Baranowski. Zunächst drei kurze Fragen:

Worin sehen Sie die großen lokalen Themen für 2014?

Frank Baranowski: Wir haben in dieser Stadt ein großes Projekt begonnen und im Konsens über die Jahre weitergeführt: Bildung und Erziehung von Anfang an. Damit sichern wir Zukunft und Chancengleichheit. Wir wollen gemeinsam Gelsenkirchener Lebensläufe erfolgreich gestalten. Diese Geschichte möchte ich auch 2014 weiter fortschreiben. Darüber hinaus nenne ich das Thema Inklusion. Es geht um den Umbau auch von Schulen, es geht um die Akzeptanz in den Köpfen. Interessant ist auch hier die Frage, wer kommt für die Kosten auf?

Wieso?

Baranowski: Die Städte und Gemeinden sehen das Land in der Pflicht. Das Land sagt, die Städte sollen zahlen. Gibt es keine Einigung, wird es wohl zu einer Klage vor dem Verfassungsgerichtshof kommen. Wenn man uns die Beine zusammenbindet, kommen wir auch nicht über die Hürden.

Wo steht Gelsenkirchen am Ende des Jahres 2013?

Baranowski: 2013 war sicherlich kein historisches Jahr, aber angesichts der Rahmenbedingungen ganz ordentlich...

Herr Baranowski, mit der WiN Emscher-Lippe wird 2014 eine regionale Agentur an der Westfälischen Hochschule installiert, deren Aufgabe es sein muss, Arbeitsplätze zu generieren. Müssen wir uns vom Kirchturmdenken lösen und regionalen Projekten zuwenden, um am Ende etwas für Gelsenkirchen bewegen zu können?
Baranowski:
Beides ist wichtig. Wir dürfen die lokale Wirtschaftsförderung nicht vernachlässigen. Wir wollen die Flächen, die wir in Gelsenkirchen haben, vermarkten.

Was nicht einfach erscheint ...

Baranowski: ... das ist es nie. So viele Unternehmen, die einen neuen Standort suchen, gibt es zurzeit nicht. Das ist immer auch eine Frage des Wettbewerbs unter den Städten. Im Vergleich zu uns haben z.B. die Kommunen im Osten bisher den Vorteil gehabt, auf bessere Fördermöglichkeiten zurückgreifen zu können. Aber an einer Stelle haben wir einen Vorteil...

... der wäre...?

Baranowski: ... während andere Kommunen zersiedelt sind, können wir noch große, zusammenhängende Gewerbeflächen anbieten wie Chemische Schalke, Schalker Verein, Bergwerk Westerholt oder Graf Bismarck.


Stichwort Chemische Schalke. Wie steht es um die Verhandlungen mit Ikea?

Baranowski: Wir haben uns im September in Gelsenkirchen mit Vertretern von Ikea getroffen. Am Ende der Gespräche haben wir eine Liste von Hausaufgaben für beide Seiten erstellt, die jetzt abgearbeitet werden. Wir haben auf das Risiko der Fläche hingewiesen, das es nun mal gibt. Wir sorgen gemeinsam mit dem RVR, dem Regionalverband Ruhr für die regionale Abstimmung.

... und Ikea?

Baranowski: Das Unternehmen muss sich positionieren. Es muss sich klar darüber werden, ob es nach Gelsenkirchen kommen will oder nicht. Dabei müssen aber alle Rahmenbedingungen stimmen.

Was meinen Sie?

Baranowski: Dass es nicht so laufen darf wie in Wuppertal. Da haben die Stadt und Ikea alles durchgepeitscht, inklusive Warensortiment, und sind dann von der Bezirksregierung gestoppt worden. Jetzt gibt es einen Gerichtsstreit, der sehr viel Zeit in Anspruch nehmen kann und dessen Ausgang ungewiss ist.

Zurück zur WiN Emscher-Lippe. Was kann eine Neuaufstellung der Gesellschaft für Gelsenkirchen bewirken?

Baranowski: Hier geht es um gemeinsame Projekte in der Region. Wenn etwa die Zechen in Marl 2015 und Bottrop 2018 schließen sind ja nicht nur diese Städte betroffen. Nehmen Sie Opel. Viele Gelsenkirchener haben dort gearbeitet. Nun sind wir von der Stadt Bochum zu Gesprächen eingeladen worden, wie es mit der Opel-Fläche in der Zukunft weitergehen kann.

Es geht bei den Aufgaben der WiN aber auch um EU-Mittel?

Baranowski: Ja, das ist richtig. Brüssel fördert ab 2014 in einer neuen Periode bis zum Jahr 2020 regionale Projekte in einer Höhe von bis zu 90 Prozent. An diese Töpfe wollen wir heran. Dafür wollen wir uns über die WiN Emscher-Lippe richtig aufstellen und bewerben.

Wie weit sind die Vorbereitungen?

Baranowski:Wir suchen aktuell nach einem geeigneten Geschäftsführer, der soll möglichst Ende März 2014 feststehen.

Und NRW ist mit im Boot?

Baranowski: Ja. Wirtschaftsminister Garrelt Duin ist in die Gespräche, die Gelsenkirchen und Bottrop initiiert und wesentlich geführt haben, einbezogen. Nicht umsonst bietet er an, den Vorsitz im Beirat zu übernehmen. Das Land sagt auch: „Wenn wir es machen, dann richtig.“ Das bedeutet ein finanzielles Engagement in Höhe bis zu 5 Millionen Euro für fünf Jahre.

Die Armutszuwanderung aus Südosteuropa ab Januar 2014 ist Stadtgespräch. Viele erwarte4n nichts Gutes.

Baranowski: Das Thema beschäftigt uns auch sehr intensiv und wir bereiten uns so gut es geht darauf vor.

Mit welchen Maßnahmen?

Baranowski: Wir haben eine Stabsstelle eingerichtet, damit wir schnell handlungsfähig sind. Wir werden uns um die Menschen kümmern, die zu uns kommen. Sie müssen auch die Leitplanken kennen. Wir sind mit Sozialarbeitern und ordnungsbehördlichen Kräften vor Ort und führen mit anderen Behörden Einsätze durch. So sind z.B. zuletzt zahlreiche Fahrzeuge aufgrund von Sicherheits-, Umwelt- und Versicherungsmängeln stillgelegt worden. Wir warten auf das neue Wohnaufsichtsgesetz, um Bettenlager auflösen zu können. Wir stehen in Kontakt mit Zoll und Polizei und ich erwarte, dass der Innenminister angesichts der Aufgabe Personal bereit stellt. Wir kümmern uns außerdem um Kinder und Jugendliche und um Qualifizierungsmaßnahmen für Erwachsene.

Thema Stadtfinanzen. Wird die Unterstützung des Bundes durch die Beteiligung an der Eingliederungshilfe ein Befreiungsschlag?

Baranowski: Nein, wird es nicht. Das Geld haben wir ab 2015/2016 eingeplant. Es gehört dazu, um die Vorgaben, die uns der Stärkungspakt auferlegt, einhalten zu können.

Womit rechnen Sie?

Baranowski: Wenn Eingliederungshilfe in ein Gesetz gegossen ist, sollen es 5 Milliarden Euro pro Jahr sein. Davon würden nach unseren Berechnungen 19 Millionen Euro in Gelsenkirchen ankommen. Vorher soll es bereits eine Milliarde geben, das würde für uns vier Millionen Euro ausmachen. Ob diese Milliarde schon 2014 fließen wird, da haben wir aufgrund unserer Informationen Bedenken. Wir haben diese Entlastung aber auch erst ab 2016 eingeplant. Kommt das Gesetz 2016 ist alles gut, kommt es erst 2017 müssen wir über andere Maßnahmen sprechen…

... wie etwa eine Erhöhung der Grundsteuern...

Baranowski: ... genau.

Was muss passieren, damit es der Stadt grundsätzlich besser geht?

Baranowski: Die Einnahmen durch die Gewerbesteuer müssen sich so normalisieren, dass die Großen auch mal wieder zahlen und nicht wir zurückzahlen müssen. Auch wirkt sich bei Exportunternehmen die Finanzkrise in europäischen Nachbarländern aus.

2013, sagen Sie, war ordentlich. Woran machen Sie das fest?

Baranowski: Wir haben den Versorgungsgrad beim U3-Ausbau geschafft. Im Jahr 2007 waren wir mit 5,7 Prozent Schlusslicht im Revier. Jetzt sind wir mit 35 Prozent Spitze. Und wir sind noch nicht fertig. Neben den bekannten neuen vier Kindergärten und den zwei Erweiterungsbauten gibt es als neue Nachricht weitere zwei Neubauten. Einer entsteht auf dem Gelände Graf Bismarck, ein anderer im Arena-Park. Wir haben das Hans-Sachs-Haus eröffnet und die Vorburg Schloss Horst. Außerdem wurde die Kulturmeile in Buer fertig. Nach dem U3-Ausbau müssen wir uns der Sanierung der Straßen widmen. Wir werden eine Prioritätenliste aufstellen und sie abarbeiten. Dafür muss Geld in den Etat 2015 eingestellt werden. Weitere Projekte sind die Bildungsgerechtigkeit und die Stadtteilerneuerung etwa in Schalke, Ückendorf und Hassel. Außerdem werden wir 2014 alles daran setzen, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Das können wir nicht alleine. Aber wir sind auf einem guten Kurs.

Das alles wird viel Geld kosten...

Baranowski: Ja, wir sind nicht in Düsseldorf, wo man mehrere Aufgaben parallel erledigen kann. Gelsenkirchen ist nichts für Ungeduldige! Aber Gelsenkirchen zeigt auch, dass sich Beharrlichkeit und langfristige Zielsetzungen bezahlt machen.