Gelsenkirchen. Der Gelsenkirchener Bildungsdezernent Dr. Manfred Beck blickt im WAZ-Gespräch voraus auf künftige Schulformen und Entwicklungschancen ohne Ideologien. Zum geplanten Schulversuch Primus wagt er allerdings keine Prognose.
Als Bildungs-Dezernent der Stadt – welche Schulnote würden Sie der gegenwärtigen Schullandschaft in Gelsenkirchen geben?
Dr. Manfred Beck: Das geht so pauschal nicht. Aber ich bin mit dem Ist nicht zufrieden, weil viele Schulen in ihrer jetzigen Form nicht zukunftsfähig sind. Es gibt einen großen Druck, dies zu verändern. Wir brauchen Schulen, die Perspektiven für höhere Abschlüsse bieten. Und in denen Schüler optimal gefördert werden können.
Was sind die größten Stärken, wo liegen die größten Baustellen?
Beck: Die Stärken sind die beiden Gesamtschulen, die übers Stadtgebiet hinaus bekannt für ihre gute Arbeit sind, gemeint sind Berger Feld und die Evangelische Gesamtschule. Positiv auch z.B. das Ricarda-Huch-Gymnasium, wo die individuelle Förderung besonders gut gelingt und wo besonders viele Kinder mit Migrationshintergrund zum Abitur geführt werden. Unsere größte Aufgabe ist es, auf die Pisa-Ergebnisse zu reagieren. Darauf hinzuwirken, dass die Herkunft nicht mehr so stark den Bildungserfolg bestimmt. Das funktioniert in unserem gegliederten System offensichtlich nicht gut genug.
Auswertung ist noch nicht abgeschlossen
Was hat die im November durchgeführte Befragung der Grundschuleltern zu ihren Schulwünschen ergeben?
Beck: Wir haben die Auswertung noch nicht abgeschlossen. Aber der Rücklauf ist mit rund 78 % sehr gut, wenn auch von Schule zu Schule unterschiedlich.
2013 soll es einen neuen Schulentwicklungsplan für die weiterführenden Schulen geben. Die Klausurtagung im Herbst endete mit dem einmütigen Wunsch nach einem parteiübergreifenden Schulfrieden. Was heißt das?
Beck: Zu lange haben Bildungsideologien der Parteien die Schulentwicklung blockiert. In Gelsenkirchen gab es schon beim Schulentwicklungsplan für die Grundschulen breiten politischen Konsens. Da haben wir ohne große Aufregung die Zahl von 51 auf 39 Schulen anpassen können. Ich bin froh, dass auch im Land der Schulfrieden vereinbart ist. Es geht um den Willen der Eltern und das Wohl der Kinder, nicht um den Willen der Parteien, das meint Schulfrieden.
Glauben Sie, dass der Trend eher zu Sekundar- oder zu Gesamtschulen geht?
Beck: Eltern wollen einen möglichst hohen Abschluss für ihre Kinder. Da, wo es vorstellbar ist, dass Sekundarschulen als kleine Ableger eines weiterführenden Systems fungieren, kann es klappen. Die Hauptschule Grillostraße bereitet beispielsweise einen Antrag auf die Umwandlung in eine Sekundarschule vor, in Kooperation mit dem Schalker Gymnasium. Was wir aber dringend brauchen, ist eine Gesamtschule in Gelsenkirchen Mitte. In welchen Gebäuden sie entstehen wird, kann ich noch nicht sagen.
Wunsch nach hohem Bildungsabschluss
Wird der Aufwärtstrend für Gymnasien anhalten?
Beck: Der Wunsch zum möglichst hohen Bildungsabschluss für das eigene Kind wird bleiben. Die Elternbefragungen zeigen, dass einige Eltern das Abitur für ihr Kind anstreben, als realistische Schule aber die Hauptschule ankreuzen. Da liegt meines Erachtens die große Stärke des integrierten Systems, in dem optimal gefördert werden kann. Auch Kinder, deren Prognose nach Klasse vier kein Abitur vorsieht.
Welche Schulformen wird es 2030 Ihrer Meinung nach in Gelsenkirchen noch geben?
Beck: Ich bin davon überzeugt, dass es noch Gymnasien und Gesamtschulen geben wird. Und vielleicht noch einige wenige Sekundarschulen. Zum geplanten Schulversuch Primus (Klasse eins bis zehn gemeinsam, Anm. der Redaktion) wage ich allerdings keine Prognose. Die Hauptschulen werden verschwunden sein und die letzten Realschulen auslaufen.