Oberhausen/Bochum. . Die Hauptschule stirbt aus, alle haben es akzeptiert. Oder doch nicht? Hauptschüler berichten von kleinen Klassen, Spaß am Lernen und Lehrern, die sich kümmern. „Das gibt es doch woanders gar nicht!“ Sie sind es leid, abfällige Bemerkungen über ihre Schule zu hören.
Eine „Restschule“ für diejenigen, die es woanders nicht schaffen. Alles „Asis“, die höchstens lernen, den Hartz-IV-Antrag auszufüllen. Ein Ort, wo Diebstahl, Mobbing, Prügeleien an der Tagesordnung sind. Naomi, Marco, Denise, Nadine und Kira hören solche Sprüche immer wieder. Es sind Vorurteile über ihre Schule, die es so in ein paar Jahren wohl nicht mehr geben wird: Die fünf Jugendlichen besuchen die sterbende Schulform Hauptschule. Beim Besuch in unserer Redaktion erklären sie, warum all die negativen Beschreibungen aus ihrer Sicht einfach nicht stimmen. Matthias Korfmann, Birgitta Stauber-Klein und Gianna Schlosser sprachen mit ihnen.
Naomi findet diese Sprüche „ganz schrecklich“. Diese abfälligen Bemerkungen – „das fängt schon in der vierten Grundschul-Klasse an, wenn man erzählt, auf welche Schule man geht“, sagt sie. „Wir sind ja nicht dümmer als andere, haben auch gute Noten und bald auch den Realschulabschluss.“
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Tatsächlich geht die 14-jährige Oberhausenerin gern in die Schule. Sie belegt in den Hauptfächern nur die schwereren E-Kurse, um im Sommer die 10b besuchen zu können – und damit die Klasse, die auf die Fachoberschulreife vorbereitet. Schulangst und Leistungsdruck kennt sie nicht, stattdessen legt sie einen gesunden Ehrgeiz an den Tag, um eines Tages ihrem Berufsziel Groß- und Einzelhandelskauffrau näher zu kommen.
Auf der Hauptschule machte es plötzlich wieder Spaß
Auch Nadine fühlt sich richtig wohl auf der Essener St. Marienschule. Vor drei Jahren war das noch anders: Damals besuchte sie eine Realschule und schrieb lauter schlechte Noten: „Irgendwann stand ich in allen Hauptfächern fünf.“ Dass sie auf die Hauptschule sollte – natürlich „machte mir das Angst“. Die Sprüche über Hauptschüler kannte sie schließlich. „Doch dann“, sagt die 15jährige, „wurde alles gut.“ Ohne ein Jahr zu wiederholen, gliederte sich Nadine in die Hauptschule ein, fand heraus, dass sie sogar Mathe kann und hofft, im Sommer einen ordentlichen Abschluss zu machen, um Erzieherin werden zu können.
Auch der Oberhausener Marco, ebenfalls 15, musste von der Realschule runter auf die Hauptschule. Trotzdem träumt er heute von Abi und Sport-Studium, weshalb der Zehntklässler ordentlich lernt, um in eine gymnasiale Oberstufe wechseln zu können.
Schulministerin: Schließungen sind schmerzhaft
- NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) sagte, sie habe Verständnis für die Kritik betroffener Hauptschüler und ihrer Lehrkräfte, deren Schule vor der Schließung stehe. Für sie sei das schmerzhaft.
- Alle Versuche, die Hauptschule in Nordrhein-Westfalen durch zusätzliche Mittel zu stabilisieren, hätten nicht gefruchtet, so Löhrmann: „Die Hauptschulen haben trotz vielfach guter und sehr engagierter Arbeit an Zuspruch verloren, die Eltern stimmen mit den Füßen ab und entscheiden mit ihrem Schulwahlverhalten, welche Schulen es wo gibt.“
- Angesichts der zurückgehenden Schülerzahlen gewinne die kommunale Aufgabe der Schulentwicklungsplanung immer mehr an Bedeutung, so die Ministerin. „Mir ist wichtig zu betonen, dass wir von Landesseite keine Schulformen abschaffen“, sagte Löhrmann. Es sei gute und jahrzehntelange Praxis, dass die Kommunen, die sich vor Ort am besten auskennen, darüber entscheiden, welche Schulformen und Schulen künftig angeboten werden. (ts)
Das Schicksal von Marco und Nadine ist an Hauptschulen nichts Besonderes. Denn während die fünften Klassen immer öfter leer bleiben, kommen in der siebten und achten eine Menge neue Schüler, erzählen die Jugendlichen. Es sind die „Abgeschulten“, die sich nach vielen schlechten Erfahrungen wieder berappeln müssen.
„Mit mir kamen so viele, dass die St. Marienschule eine weitere 8. Klasse gründen musste“, erzählt Nadine. Die katholische Schule hat einen guten Ruf, viele Lehrer empfehlen sie – was den Eindruck der Jugendlichen erklärt. Tatsächlich aber müssen jedes Jahr nur knapp zwei Prozent die Realschule verlassen, so die Schulstatistik des Düsseldorfer Bildungsministeriums.
Den guten Ruf ihrer Schule lobt auch Kira. Die 15-jährige Bochumerin will zur Sparkasse, will ein duales Studium mit Bachelor-Abschluss. Immer wieder erklärt sie, wie gut der Unterricht an ihrer Schule sei. Und: „Wir lernen besser, wir lernen intensiver als Realschüler oder Gesamtschüler.“ Dass die Hauptschulen aussterben, empört sie. „Dieses Kümmern gibt es doch woanders nicht.“
Die Schule hilft bei Bewerbungen
Denise, die Schreinerin werden will oder Elektrikerin, gibt ihr recht. „Wenn die Hauptschüler alle auf die Realschulen sollen, dann kann man gleich nur noch Gesamtschulen machen“, sagt die 17-jährige. Zurzeit schickt sie Bewerbungen los, unterstützt wird sie dabei von der Schule.
Davon erzählt auch Kira. „Bei uns wird das Auftreten beim Bewerbungsgespräch trainiert, beim Anschreiben geholfen oder beim Lebenslauf. Die Lehrer knüpfen Kontakte mit Betrieben und anderen Schulen“, sagt sie und fügt lachend hinzu: „Manches kann ich schon gar nicht mehr hören.“
Kleine Klassen, überschaubare Schulen
Dieses „Kümmern“, die Lehrer, die nach dem Unterricht noch erklären, die vergleichsweise kleinen Klassen in überschaubaren Schulen. „Es ist ruhiger hier“, sagt Marco, der frühere Realschüler. Weniger Stress, mehr Miteinander, findet Nadine. Jede Menge Chancen gibt es auch, fügt Naomi hinzu. Es wird erklärt, bis alle den Stoff verstehen, sagt Denise.
Alles gut also. Wenn nicht die anderen wären mit ihren Vorurteilen. Die Realschüler und Gymnasiasten mit ihren gerümpften Nasen. „Die landen“, sagt Kira, „mitunter auch bei Hartz IV.“