Gelsenkirchen. . Das Institut für Stadtgeschichte freut sich über die große Resonanz auf seinen Aufruf, Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg an die Historiker in Ückendorf zu schicken. Nun liegen ihnen 15 Sammlungen mit 500 Briefen vor.

Das Kind ist an der Front, schon erwachsen zwar, aber doch erst gerade. Was bleibt einer Mutter da anderes zu tun, als zu bangen, zu beten und selbstgebackene Haferflockenplätzchen von Horst aus Richtung Schützengraben zu schicken? Richtig: Ihrem Sohn Briefe zu schreiben. Worüber, das studiert in diesen Tagen Dr. Daniel Schmidt, Historiker des Instituts für Stadtgeschichte (ISG), für eine wissenschaftliche Publikation.

Nachdem er im Sommer über die WAZ dazu aufgerufen hatte, dem Institut Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) zu schicken, liegen ihm nun 15 Sammlungen mit insgesamt 500 Briefen und Postkarten vor, anhand derer sich der Alltag an der Kriegs- und Heimatfront erforschen lässt.

Zeugnisse aller sozialen Schichten

„Die Resonanz auf unseren Aufruf war toll. Damit hätten wir gar nicht gerechnet“, freuen sich Dr. Schmidt und ISG-Leiter Prof. Dr. Stefan Goch über Zahl und Inhalt der Feldpost, von der sich die Bürgerinnen und Bürger (vorübergehend) getrennt haben. Auch wenn die Hauptarbeit noch auf Schmidt wartet, so bestätigt eine erste Durchsicht doch seinen Eindruck, „dass sich anhand der Briefe die verschiedensten Aspekte des Ersten Weltkrieges nachvollziehen lassen – von der Versorgungssituation, den Kriegsverlauf und die Feindbilder bis hin zur Deutung des Geschehens an der Front und in Gelsenkirchen, etwa auch was die Gefahr der kommunistischen Revolution angeht“.

Bislang hatte der Wissenschaftler 400 Feldpostbriefe aus dem ISG-Bestand ausgewertet, die aus dem Umfeld der wohlhabenden katholischen Metzgerwitwe Maria Schossier aus Buer stammten; deren Söhne August und Albert waren in Frankreich und Belgien stationiert. „Die neuen Briefe bilden, wie erhofft, fast alle sozialen Schichten und Stadtteile ab. Uns liegen nun auch Zeugnisse von Bergleuten, Stahlarbeitern, Handwerkern und Beamten aus Horst, Erle, Bismarck, Schalke, Ückendorf und Buer vor. Nur die protestantische Perspektive ist unterrepräsentiert“, so Schmidt.

Finanzielle Not der Familie zu Hause

Besonders beeindruckt hat den 35-Jährigen die umfangreiche Korrespondenz von Hermann Schäfer (1899-1982) mit Eltern und Schwester in Horst-Emscher. „In den Briefen spiegelt sich einerseits die soziale Not der achtköpfigen Familie wider, die ohne das Gehalt des Sohnes zurecht kommen muss. Andererseits geht einem die ständige Sorge der Mutter um das Leben ihres Sohnes doch sehr nahe. Sie hat sich die Zutaten für Haferflockenplätzchen buchstäblich vom Munde abgespart, um ihrem Jungen Essen an die Front zu schicken. Ihr Mann fuhr derweil unter Tage Sonderschichten, um die Familie irgendwie über die Runden zu bringen.“