Gelsenkirchen. Historie: In den 70er Jahren wehrten sich die „Malocher“ von Flöz Dickebank gegen den Abriss ihrer Siedlung. Ein Rückblick auf bewegende Zeiten.
In Ückendorf kocht es wieder: Die Mieter der Siedlung Flöz Dickebank machen sich wegen der Verkaufspläne der Deutschen Annington Gedanken um die Zukunft. Wie in den 70er Jahren, als Protestaktionen an der Tagesordnung waren. Doch wie wurde die Arbeitersiedlung zum Symbol für Mieterengagement und Widerstand weit über die Grenzen des Ruhrgebiets? Eine Zeitreise.
1868 wurde die Siedlung für die Bergarbeiterfamilien der Bergwerksaktiengesellschaft, zu der die Zechen Alma, Holland und Rheinelbe gehörten, erbaut. Der ursprüngliche Name Ottilienaue wurde im Volksmund schnell durch den Straßennamen Flöz Dickebank ersetzt, benannt nach den Bochumer Fettkohleschichten weit unter den Häusern. Die Siedlung ist eine der Ältesten ihrer Art und die einzige, die noch vollständig erhalten und nahezu unverändert ist. Kein Wunder also, dass sich 1972 Widerstand formierte als die Rheinisch-Westfälische Wohnstätten AG einen Antrag auf Abriss stellte.
Baugrund war in den 70er-Jahren heiß begehrt
Der Bauboom im Revier war auch in Gelsenkirchen spürbar, die Stadt wollte die Marke von 420 000 Einwohnern knacken und Baugrund war heiß begehrt. Die Zechensiedlung sollte Hochhäusern weichen. Der Abrissantrag war genehmigt, 1974 beschloss der Rat einstimmig einen Bebauungsplan. Dies sollte der Startschuss für die „Bürgerinitiative Flöz Dickebank“ werden. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen konnten die Mieter ein Sanierungsverfahren erzwingen, das die Abrisspläne auf Eis legte.
Einer der Köpfe des Protests: Traudel Tomshöfer. „Wir hatten nur ein Ansinnen: Gemeinsam sind wir stark“, so Tomshöfer, die noch heute in der Siedlung wohnt. Mit Baurecht und mit Stadtentwicklung mussten sich die Aktivisten damals vertraut machen. „Wir waren ja ganz unbeleckte Mieter.“ Egal ob Hauer, Grubenelektriker und Schlosser: Die Malocher gaben nicht klein bei. Aus heutiger Sicht sind die Aktionen der Wegbereiter für Bürgerbeteiligungen. Die Dickebänker suchten den Kontakt zu Studenten, luden renommierte Städteplaner ein und mischten die Politik auf.
„Es gab keinen Tag, an dem nichts über uns in der Zeitung stand“
Mit Hilfe eines juristischen Kunstgriffes gelang es Tomshöfer 1976 im Ausschuss für Stadtplanung (dem damals Jochen Poß vorsaß) die Pläne der Bürgerinitiative zu erläutern. „Es gab keinen Tag, an dem nichts über uns in der Zeitung stand.“ Die Siedler führten ein eigenes Theaterstück über ihren Protest auf, gaben regelmäßig eine Zeitung heraus und trieben in Eigenarbeit den Umbau des alten Waschhauses der Siedlung zum Heini-Wettig-Haus (benannt nach einem der Väter der Protestbewegung) voran.
Angst um eine Siedlung
Bei der Berlinale belegte 1975 ein Film über die Arbeit in der Siedlung (Titel: „Wir sind mittlerweile wach geworden“) in der Rubrik Dokumentation den zweiten Platz. Legendär ist auch ein Kongress der UNESCO, den die Mieter 1978 vom Hotel Maritim ins Heini-Wettig-Haus verlegen konnten. Die Initiative wurde weit über die Stadtgrenzen bekannt und zur Blaupause für Bürgerinitiativen gegen die Privatisierung oder den Abriss von Arbeitersiedlungen im ganzen Revier.
Initiative zur Sanierung der Siedlung feierte 30-jähriges Bestehen
Nachdem ein Abriss vom Tisch war, kümmerte sich die Initiative um die Sanierung der Siedlung, die Umsetzung einer Denkmalbereichssatzung und die Gründung einer Genossenschaft. 2004 gab es ein großes Fest zum 30-jährigen Bestehen. Schalke-Manager Rudi Aussauer gratulierte damals in einem Brief und erinnerte an die gemeinsamen Wurzeln von Verein und Siedlung im Bergbau.
Flöz Dickebank ist Teil der Route der Industriekultur. Zu „Ruhr.2010“ kamen viele Besuchergruppen vorbei. Auch wenn die Mieter heute längst nicht mit einer Stimme sprechen, das Genossenschaftsmodell auf Eis liegt und ihre Person in der Siedlung nicht unumstritten ist, zeigt sich Traudel Tomshöfer kämpferisch: „Wir haben zu viel erreicht, als dass wir um fünf vor zwölf den Löffel abgeben.“