Gelsenkirchen.

Als einer von acht Lehrern in Gelsenkirchen ist Gernot Samsel (64) von der Bezirksregierung Münster für 40 Jahre im öffentlichen Dienst geehrt worden. WAZ-Mitarbeiter ­Tobias Mühlenschulte sprach mit dem Leiter der Hauptschule Am Dahlbusch.

Herr Samsel, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an 40 Jahre Schule denken?

Gernot Samsel: Wenn man alles Revue passieren lässt, wird einem bewusst, dass in der Zeit schon ‘ne ganze Menge passiert ist. Als ich 1971 als Referendar in den Schuldienst trat, war die Hauptschule gerade erst eingeführt worden. Um genau zu sein: drei Jahre vorher. Die anderen neuen Lehrkräfte und ich gehörten quasi zu den Mitbegründern der Hauptschule. Und jetzt werde ich diese Schulform höchstwahrscheinlich zu Grabe tragen. Ein paar Jahre wird es sie noch geben, aber das Ende ist absehbar.

Und wie lange gibt es Sie als Lehrer und Schulleiter noch?

Samsel: Mitte 2013 werde ich pensioniert. Aber meine Arbeit macht mir immer noch Spaß. Wir haben in letzter Zeit sehr engagierte junge Leute im Kollegium dazu bekommen. Die sind alle fit in den neuen Medien, das ist ungeheuer wichtig. Es gab ja wahnsinnig viele Technik-Errungenschaften, die den Schulalltag wesentlich verändert haben.

Wie hoch ist denn das Durchschnittsalter Ihrer Lehrer?

Samsel: So genau weiß ich das gar nicht. Aber es müsste bei etwas mehr als 50 Jahren liegen. Viele meiner Kollegen sind so um die 30. Mitte der 80er-Jahre hat es einen Einstellungsstopp für Lehrer gegeben. Das hat sich böse auf die Schulen ausgewirkt, weil eine ganze Generation Pädagogen fehlte. Das war damals eine bedrückende Zeit. Die Situation für Lehramtswärter war furchtbar. Die meisten wussten, dass sie keinen Job bekommen.

Wie sehen Sie die heutige Jugend?

Samsel: Die Jugend heute ist schon eine andere. Sie lernt anders, sie verhält sich anders, sie ist nicht so diszipliniert. Früher hatte ich 46 Schüler in der Klasse und alle waren konzentriert. Das ist heute nicht mehr möglich. Konzentrationsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, ADHS – das nimmt zu.

Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?

Samsel: Die Schulverweigerung hat zugenommen. Und Bildung wird in bestimmten Schichten nicht mehr so geschätzt wie früher. Es gibt bei uns einen wahnsinnig hohen Anteil von Schülern, deren Eltern Hartz-IV beziehen und sich mit ihrer Situation angefreundet haben. Da bildet sich regelrecht eine Kaste. Wenn wir da nicht aufpassen, driftet unsere Gesellschaft auseinander.

Wie gehen Sie als Lehrer denn mit dieser Negativ-Entwicklung um?

Samsel: Man muss sich den Respekt bei den Schülern heute anders erarbeiten. Das geht nicht mehr nur durch pädagogische Maßnahmen. Aber wenn man die Schüler einmal für sich gewonnen hat, gehen sie für einen durchs Feuer. Individuelle Förderung ist nötig. Dass die Geld kostet, ist klar.

Wie empfinden Sie die aktuelle Entwicklung in der Schullandschaft?

Samsel: Ich sehe eine grundsätzlich positive Entwicklung. Aber viele Entscheidungen werden überhastet getroffen. Man lässt uns wenig in Ruhe arbeiten. Wir sind gerade dabei, eine Neuerung umzusetzen, da wird uns die nächste präsentiert. Prinzipiell aber geht die Schulpolitik in die richtige Richtung.

Was stört Sie im Detail?

Samsel: Ein gegliedertes Schulsystem in sich ist unsinnig. Die Selektion nach dem 4. Schuljahr ist zu früh. Und ein schichtenspezifisches Schulsystem ist der Zeit nicht mehr angemessen. Deshalb steht die Hauptschule ja heute da, wo sie steht. Wir arbeiten mit der Grundschule Mechtenberg an einem gemeinsamen Schulmodell für die Gemeinschaftsschule. Das ist zwar nicht mehr meine Zukunft, wäre aber gut für den Stadtteil und die Menschen hier.