Gelsenkirchen. Wer stottert, der fürchtet sich meist vor dem Sprechen. Doch umso mehr Angst und Nervosität, desto schlimmer die Sprachstörung. Logopädin Andrea Merker versucht, ihren Patienten erst die Angst zu nehmen und dann das Selbstvertrauen zu stärken.

Das Mikrofon ist eingeschaltet, der Saal rappelvoll, alle Augen richten sich auf den Redner und der – fängt an zu stottern. Ein wahrlich königlicher Alptraum! Wenn der Redefluss plötzlich aus dem Takt gerät, dann kommen nicht nur Könige, sondern auch ganz normal Sterbliche gnadenlos ins Schwitzen. Im erst vor wenigen Tagen von vier Oscars gekrönten Kino-Film „The King’s Speech“ (Die Rede des Königs) hilft ein Logopäde der blockierten Sprache sehr erfolgreich auf die Sprünge.

Ein Job, dem sich auch Andrea Merker widmet. Die 46-jährige Gelsenkirchener Logopädin eröffnete im November letzten Jahres in Rotthausen ihre Praxis „Wortspiel“, wo sie Therapien für Sprech-, Sprach- und Stimm-Störungen anbietet. Eine von mehreren Logopädie-Praxen in der Stadt, in denen auch Stotterern geholfen wird.

Stotterer sind Vorurteilen ausgesetzt

Reden ist für die meisten Menschen Routine. Aber eben nicht für alle. Dennoch ist die Sprachstörung immer noch eher ein Tabu-Thema. Belastet mit vielen Vorurteilen, weiß auch Andrea Merker: „Betroffene gelten als dumm, ängstlich, man vermutet bei ihnen eine schlechte Kindheit. Alles Quatsch.“ Dass sich nun ein Kino-Film mit dem Stottern auseinandersetzt, hält sie wie viele Betroffene für eine schöne Chance, solche Vorurteile abzubauen: „Man sieht, dass sind tolle Menschen und man kann ihnen helfen.“

Im Film ist es der britische König Georg VI., dessen Redefluss beim Anblick eines Mikrofons ins Stocken gerät. Sein Therapeut rät ihm, Worte zu singen, laut zu fluchen, die Atmung zu ändern. Mit Erfolg.

„Aber nicht unbedingt alltagstauglich“, meint die Gelsenkirchener Logopädin. „Das hilft zwar tatsächlich, aber man kann ja nicht wirklich im Laden singen: Ich hätte gerne fünf Brötchen.“ Außerdem müsse man sehr lange und sehr intensiv an einer Änderung der Sprachmelodie arbeiten: „Das ist anstrengend und auf Dauer nicht durchzuhalten.“ Andrea Merker empfiehlt vielmehr einen „Nicht-Vermeidungsansatz“.

Keine Angst vorm Stottern haben

Das heißt: Wer stottert, der soll stottern, aber ohne Angst: „Das Schlimmste ist die Angst davor.“ Ist die erst mal weg, lassen zumeist auch die sprachlichen Hakeleien nach. Wer mit viel Kraftanstrengung versuche, das Stottern zu vermeiden, der verkrampfe und die Sprache blockiere erst recht. Ihren jungen Patienten vermittelt die Therapeutin vor allem: „Das Wichtigste ist das, was Du mir sagen willst. Ich höre Dir zu, lass Dir Zeit.“ Merker stärkt das Selbstvertrauen, nimmt die Kinder so, wie sie sind. Das tut allerdings nicht jeder. Hänseleien auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer sind bei stotternden Kindern fast vorprogrammiert. Deshalb besucht die Logopädin auch die Klassen ihren jungen Patienten, informiert die Lehrer, verteilt Info-Material.

In der Praxis hilft auch schon mal eine Stoffpuppe. Andrea Merker lässt sie stottern, lässt die Worte hüpfen wie ein Frosch oder im Halse stecken bleiben: „Und das Kind spürt: Mir geht es nicht allein so.“

Stottern kann man nicht vollständig heilen

Wenn Erwachsene zum Therapeuten gehen, haben sie meist schon eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Und je länger die Sprachstörung bereits besteht, desto geringer sind die Chancen, sie auch wieder ganz los zu werden. Und eines sagt die Logopädin ohnehin ganz deutlich: „Stottern kann man nicht heilen. Wer das verspricht, ist unseriös.“