Essen. In Köln findet an diesem Wochenende ein Kongress rund ums Stottern statt. Stotterer tun dort das, was ihnen oft am schwersten fällt: Sie sprechen vor vielen fremden Menschen. Logopäde Peter Schneider erklärt, wie Gesprächspartner am besten reagieren und was sie unbedingt vermeiden sollten.


Am Wochenende ist der Kongress stotternder Menschen in Köln. Da wird es Vorträge und Podiumsdiskussionen geben. Ist das nicht eine extreme Situation für jemanden, der stottert?


Peter Schneider: Ja und nein. Unter Stotternden gibt es, genauso wie unter Normal-Sprechern Leute, die sich viel trauen und die sich wenig trauen, die Vorträge als belastend empfinden oder nicht. Wobei Stottern schon häufig dazu führt, dass es Leuten schwerer fällt an die Öffentlichkeit zu treten. Viele erwerben diesen Mut erst während einer Therapie oder in einer Selbsthilfegruppe. Und der Kongress ist ja ein Treffen von Leuten aus Selbsthilfegruppen - also fördert der Kongress eben diese Fertigkeiten.


Für Stotternde ist der Schritt in die Öffentlichkeit nicht ganz leicht. Auch Schüler haben es nicht immer einfach.


Schneider: Ja. Zum Einen ist Stottern etwas gemein, weil es mal auftritt, mal nicht. Zum Beispiel sprechen Kinder auf dem Pausenhof, wo sie entspannt sind, flüssig. Wenn sie im Unterricht aufgerufen werden, stottern sie auf einmal. Lehrer könnten das bei mangelnder Fachkenntnis als „Der hat nicht gelernt.“ fehl interpretieren. Eigentlich ist es aber gerade diese Situation, die das Stottern ausgelöst hat.

Dann ist es so, dass in der Schule ja sehr stark über mündliche Leistungen gemessen wird, wie gut ein Schüler ist. Nichts ist peinlicher, als vor einer Gruppe von Leuten zu stehen und genau zu wissen, was man sagen will – es kommt aber etwas ganz anderes raus oder gar nichts. Dann dehnt sich die Zeit ins Endlose und für alle wird’s unangenehm. Die Peinlichkeit wird dann oft überspielt mir irgendwelchen Witzen, Kommentaren.


Woher kommt das?


Schneider: Das rührt letztlich daher, dass die Gesellschaft zu wenig übers Stottern weiß. Es wird oft noch mit einem psychischen Problem gleichgesetzt, was überhaupt nicht stimmt. Das ist ein bisher noch nicht endgültig geklärtes Problem. Es wird sicherlich eine neuro-physiologische Ursache haben. Also ein fehlerhaftes Zusammenspiel von bestimmten Hirnleistungen. Nichts Psychisches. Psychisch ist höchstens die Reaktion, wenn man Situation wie die gerade geschilderte öfters erlebt. Dann entwickelt man möglicherweise Sprechangst oder zweifelt an sich selbst. Es fordert vom Stotternden besonderen Mut, trotzdem immer wieder zu versuchen, im Gespräch zu bleiben und mit Menschen in Kontakt zu treten.


Bei vielen Kindern geht das Stottern wieder weg, wenn sie älter werden. Bei manchen bleibt es. Wie kommt man denn als Erwachsener damit klar?


Schneider: Als Erwachsener musste man sich ja schon über viele Jahre damit einrichten. Aber an gewissen Punkten wird es schwierig. Bei Bewerbungen zum Beispiel stellen sich die Fragen: Schreibt man direkt in die Bewerbung, dass man stottert? Oder soll man es erst im Bewerbungsgespräch selbst thematisieren? Manche Arbeitgeber reagieren sehr ungünstig darauf, wenn Untergebene stottern. Ihnen werden bestimmte Aufgaben nicht zugetraut. Da erleben Stotternde oft Kränkungen oder konkrete Nachteile. Das fordert entweder ein kämpferisches Umgehen damit oder ein Erdulden-Können.


Aber gibt es nicht auch tatsächlich Aufgaben, die Stotternde nicht erledigen können? Gibt es nicht auch Grenzen im Beruf?


Schneider: Stotternde können grundsätzlich alles. Es gibt Schauspieler, die stottern, Lehrer oder Politiker. Winston Churchill zum Beispiel hat gestottert. Stotternde müssen nur einen viel härteren Weg gehen und brauchen ein besonderes Selbstbewusstsein, um durchzuhalten. Vielfach müssen sie beweisen, dass sie besser sind, auch inhaltlich.


Wenn ein Stotternder einen Vortrag im Job halten muss, was können denn seine nicht-stotternden Kollegen tun, damit es ihm leichter fällt?


Schneider: Also zunächst einmal kann der Stotternde selbst etwas dazu tun in der Situation. Indem er den Nicht-Stotternden, die ja in der Regel nicht wissen, sagt, wie sie sich verhalten sollen: „Es kann sein, dass ich gleich stottere. Ich kann aber trotzdem alles sagen, hören sie mir einfach gut zu.“ Das nimmt der Situation ein bisschen den Wind aus den Segeln. Ansonsten gilt im Umgang mit Stotternden: möglichst gut zuhören, nicht das Wort für jemanden zu Ende sprechen, aber Blickkontakt halten. Also nach Möglichkeit sich so verständigen, wie man es mit einem Nicht-Stotternden auch tut.


Warum bleiben denn Hänseleien trotzdem nicht aus?


Schneider: Wenn jemand stottert, dann macht er eine Fehlleistung beim Sprechen. Es gibt in unserer Gesellschaft keine Regeln, wie man damit umgehen sollte. Und gerade dadurch, dass Stottern in unserer Gesellschaft noch mit einer psychischen Fehlleistung gleichgesetzt wird, gibt es Irritationen, in denen der Gesprächspartner nicht weiß, wie er damit umgehen soll. Er hat erlebt, wie der Stotternde gerade einen Gesichtsverlust hatte, ist somit auch involviert, und die Situation wird unangenehm. Jetzt versucht der Nicht-Stotternde, in eine Machtposition zu kommen, und hänselt oder ärgert – und versucht auf diese Weise wieder an Sicherheit zu kommen.

Eine sehr häufige beobachtete Reaktion ist auch, dem Stotternden Hilfe anzubieten, die er nicht nötig hat. Oder lautes Sprechen, als wäre der Stotternde auf einmal schwerhörig oder nicht so ganz clever. Alles Versuche der Gesprächspartner, mit dieser Unsicherheit zurecht zu kommen. Aber das hat immer etwas Kränkendes.


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