Bochum. Stotterer kämpfen nicht nur mit der Sprache, sondern auch mit Vorurteilen und dem eigenen Selbstbewusstsein. Wissenschaftler der Ruhr-Uni Bochum forschen an neuen Möglichkeiten Stotterern zu helfen.
„Alle Leute, wenn sie über Stottern nachdenken, überlegen: Wie kann man es verbessern? Ich habe mal darüber nachgedacht: Wie kann man es verschlimmern?” Der so spricht, ist nicht etwa ein Sadist. Vielmehr leitet Prof. Hans-Georg Bosshardt die Forschungsgruppe Sprache und Kognition an der Ruhr-Universität.
Um dem sprachlichen Stolpern auf den Grund zu gehen, versucht er, Probanden linguistischen Schiffbruch erleiden zu lassen. Dazu denkt er sich Versuchsanordnungen wie diese aus: Ein Lautsprecher spuckt zwei Wörter aus, die Versuchsperson soll sie in einen Satz einbauen – das erste Wort an die zweite Stelle, das zweite irgendwo danach. Um das Ganze noch komplizierter zu machen, muss gleichzeitig der Mauszeiger auf Verfolgungsjagd gesteuert werden.
Solche Versuchsanordnungen braucht es nicht, damit Gaby Dué, Gerald Leuter und Gerd Riese sich verhaspeln – alle drei stottern von Kindesbeinen an. Für sie kann eine alltägliche Situation zum Sprachtest geraten. Riese erzählt: „Anstatt zu fragen, wo ist das B-b-b-Backpulver, lauf ich lieber zehn Minuten durch den Laden und suche es.”
Das Problem ansprechen kann helfen
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – für Stotterer ist das Sprichwort oft eine Frage des Selbstbewusstseins. „Es ist schon manchmal ein kleines bisschen Scham dabei”, gibt Dué zu. Besonders Kinder versiegeln ihre Lippen, so gut es geht. Hauptsache „nicht viel reden müssen”, erklärt Bosshardt, „Brieffreunde sind super.” Dabei kann gerade dem Redenden geholfen werden. Diese Erfahrung hat zumindest Riese gemacht: „Indem ich ausspreche, dass ich stottere, stottere ich schon weniger.”
Vielen Stotterern hilft eine Therapie – doch auch danach klagen 70 Prozent der Betroffenen über schwere Stotterphasen. Bosshardt: „Das ist nicht das, was man sich als Therapeut wünscht.” Um das zu verbessern, stellt der Forscher seine sprachlichen Stolperfallen auf. Seine Frage: „Wie stark werden die Mundlippen aktiviert?” beantworten die Linien des Elektromyogramms. Sie bringen ihn auf die Spur von Stottersymptomen wie dem Rauspressen der Wörter.
Die Idee hinter der wissenschaftlichen Quälerei ist simpel. „Das ist wie beim Basketball”, erklärt Bosshardt. Korbwürfe beherrscht jeder Profi aus dem Eff-eff – aber wenn das Training von einer Kamera beobachtet wird, sinkt die Trefferquote. Der Grund sei eine Doppelbelastung, wie sie auch Stotterer jeden Tag erlebten: Zum Sprechen komme die Konzentration darauf, zum Beispiel langsamer zu denken, langsamer zu sprechen, vor dem Sprechen Luft zu holen. Ob Bosshardts Vermutung zutrifft, wird sich in einer Studie zeigen. Liefert sie die Bestätigung, könnten die Ergebnisse in Therapien einfließen.
Bis dahin wünscht sich Dué, „dass die Leute einen ausreden lassen, auch wenn es etwas länger dauert. Man weiß selbst, was man sagen will, man kriegt es nur in dem Moment nicht raus.” Und Riese ergänzt: „Und dass sie einen angucken. Weil es einfach normal ist, jemanden anzuschauen, der zu einem spricht.”
Berühmte Gesellschaft
Stottern beginnt normalerweise im Kindesalter. Fünf Prozent aller Kinder zeigen vorübergehend oder dauerhaft Stottersymptome, ein Prozent aller Erwachsenen ist betroffen. Wer stottert, befindet sich in berühmter Gesellschaft: Auch Stars wie Winston Churchill, Marilyn Monroe oder Bruce Willis bekommen ihre Sätze nicht fehlerfrei raus. Eine wichtige Adresse für Stotterer ist die Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V. – im Internet unter www.bvss.de .