Gelsenkirchen. Ein Start-up zu gründen, ist nie leicht. Laut einer Studie machen sich in Gelsenkirchen aber besonders wenige Menschen selbstständig. Warum?

  • In einem neuen Ranking schneidet Gelsenkirchen von allen Ruhrgebietsstädten am schlechtesten ab, was die Gründung neuer Unternehmen angeht.
  • Gelsenkirchener Wirtschaftsdezernent Simon Nowack sagt: „Es gibt viel zu tun.“ Gleichzeitig sprechen Stadt und IHK aber von guten Rahmenbedingungen.
  • Warum wagen in Gelsenkirchen so wenige den Schritt in die Selbstständigkeit?

Laut einer Studie liegt Gelsenkirchen im bundesweiten Vergleich ganz hinten, was die Neugründung von Start-ups angeht. Von der Stadt heißt es aber, dass sich die Standortqualität verbessert hat. Und auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) spricht von „guten Strukturen“. Wie steht es um die Gründungskultur vor Ort?

Die Potsdamer Rechtsanwaltskanzlei Goldenstein, die nach eigenen Angaben auf Energierecht spezialisiert ist, hat auf Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes, die Gründungen in den 50 einwohnerreichsten Städten in Deutschland in den Jahren 2022 und 2023 in den Blick genommen. Demnach belegt Gelsenkirchen den drittletzten Platz mit 2.817 Neugründungen und schneidet damit von allen Ruhrgebietsstädten am schlechtesten ab. Platz eins belegt Leverkusen mit 4.507 neuen Unternehmen.

Start-ups: Warum landet Gelsenkirchen auf den hinteren Rängen? Ist die Stadt wirklich so unattraktiv für Gründer?

Ein möglicher Grund ist: Die Gewerbesteuer ist in Leverkusen viel niedriger, mit einem Satz von 250 Prozent ist sie sogar die niedrigste im Bundesvergleich. Gelsenkirchen liegt bei 480. In anderen Ruhrgebietsstädten ist die Gewerbesteuer jedoch höher als in Gelsenkirchen – zum Beispiel in Bochum (495) oder Oberhausen (580). Trotzdem werden dort mehr Unternehmen gegründet. Eine zu hohe Steuer kann also nicht die alleinige Ursache sein. Simon Nowack, Gelsenkirchener Wirtschaftsdezernent, spricht sogar von einem „Verzicht auf Erhöhungen“.

Sven Wolf von der Unternehmensförderung der IHK sagt sogar: „Wir verzeichnen viele Anträge für Start-up-Gründungen.“ Doch oft herrsche Unsicherheit, den Schritt tatsächlich zu wagen. „Eine Anstellung ist natürlich sicherer als die Selbstständigkeit.“ Als Gründe für diese Zurückhaltung sieht er die deutsche Bürokratie, den Fachkräftemangel und die Unvorhersehbarkeit der heutigen Zeit. „Gelsenkirchen hat Potenzial nach oben, was Gründungen angeht“, sagt Wolf. „Die Strukturen sind da, zum Beispiel hat Gelsenkirchen viele große Unternehmen, die Start-ups unterstützen würden.“ Jetzt müssten sich die Menschen nur trauen.

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Auch Wirtschaftsdezernent Nowack sieht für den Wirtschaftsstandort Gelsenkirchen große Chancen und betont „die Stärken des industriellen Mittelstandes“. Er bezieht sich auf das jüngste Regionalranking des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Dort springt Gelsenkirchen im Dynamikvergleich um 40 Plätze auf Rang 270 von insgesamt 400 bewerteten Städten. Verbesserungen gab es in den letzten zwei Jahren in den Bereichen Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt. In Sachen Lebensqualität liegt die Emscherstadt weiterhin hinten. Laut der Analyse ist das aber ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Regionen. Unter anderem ist die Zahl der Straftaten sehr hoch, ebenso die private Überschuldung.

Im aktuellen deutschlandweiten Vergleich liegt Gelsenkirchen nach wie vor auf dem vorletzten Platz (399), knapp hinter Duisburg und vor Herne. „Es gibt weiterhin viel zu tun“, sagt Nowack. In Bezug auf Unternehmensgründungen sieht er noch „Luft nach oben“. „Zusammen mit der Politik und der Wirtschaft werden wir alles dafür tun, die Rahmenbedingungen am Wirtschaftsstandort Gelsenkirchen stetig zu optimieren.“ Konkret heißt das: Die Wirtschaftsförderung hat die Mitarbeiterzahl für Start-ups und Neugründungen verdreifacht. Man sei außerdem mit dem Starter-Center NRW im Wissenschaftspark gut aufgestellt, um Unternehmen zu beraten. Darüber hinaus gibt es an der Westfälischen Hochschule auch die „Andersmacher“, eine Initiative zur Förderung der Gründungskultur, die Studierende für eine Unternehmensgründung sensibilisieren will.

Immerhin: Weniger Betriebsschließungen als Neueröffnungen im Gelsenkirchen

Eine Hemmschwelle für Existenzgründer könne auch der vergleichsweise hohe Fachkräftemangel in Gelsenkirchen sein. Während sich ein Großteil der ausgeschriebenen Stellen an Menschen richtet, die entweder auf Fachkraftniveau oder höher qualifiziert sind, sucht die Mehrheit der arbeitslosen Menschen in Gelsenkirchen jedoch eine Beschäftigung auf Helferniveau.

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Immerhin gab es in den Jahren 2022 und 2023 weniger Betriebsschließungen als Neugründungen in Gelsenkirchen. Insgesamt 2467 Unternehmen haben in den Jahren ihre Selbstständigkeit in der Emscherstadt aufgegeben. Hier verschärft auch der demografische Wandel das Problem. Viele Betriebe suchen händeringend Nachfolger, finden aber keine.

  • Um herauszufinden, wo in Deutschland besonders viele Unternehmen gegründet werden, hat die Energiekanzlei Goldenstein mit Hilfe der Regionaldatenbank des Statistischen Bundesamts ermittelt, in welchen der 50 einwohnerreichsten deutschen Städte besonders viele Unternehmen gegründet und aufgegeben wurden. Dabei wurden lediglich Neuerrichtungen und Geschäftsaufgaben berücksichtigt. Übernahmen und -gaben sowie Zu- und Wegzüge waren nicht Teil der Analyse. Um die Werte städteübergreifend vergleichbar zu machen, wurden diese auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts ins Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl (Stand: 31.12.2022) gesetzt.