Gelsenkirchen. Unfassbar: In Gelsenkirchen sagen Schulen ihren Besuch in der Synagoge ab, weil Lehrer Angst vor antisemitischen Ausfällen ihrer Schüler haben.

Wer mit Jüdinnen und Juden in Gelsenkirchen ins Gespräch kommt, der erfährt schnell, welch tiefe Narben der hasserfüllte Mob bei ihnen hinterlassen hat, der vor fast genau drei Jahren vor der Neuen Synagoge aufzog und seinem Judenhass freien Lauf ließ. Diese Wunden klaffen nun wieder auf.

Nach der Skandal-Demo im Mai 2021 hatten weite Teile der Gelsenkirchener Stadtgesellschaft ihr Versprechen erneuert, dass „nie wieder“ „jetzt“ sei. Mahnwachen wurden abgehalten und Solidaritätsbekundungen ausgesprochen. Doch schon vor einigen Monaten offenbarte dieser Schulterschluss bereits wieder erste Risse.

Ein Kommentar von Sinan Sat, Leiter der WAZ-Redaktion Gelsenkirchen.
Ein Kommentar von Sinan Sat, Leiter der WAZ-Redaktion Gelsenkirchen. © funkegrafik nrw | Selina Sielaff

Nach dem beispiellosen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem darauffolgenden Einmarsch der israelischen Armee in Gaza, kam es auch in Gelsenkirchen zu teils antisemitischen Demonstrationen. In dieser Gemengelage wurde der gemeinsame „Friedensweg“ der Religionen in Gelsenkirchen zunächst abgesagt. Weil die jüdische Gemeinde aus Angst vor Übergriffen die Türen ihrer Synagoge lieber nicht für jeden öffnen wollte, aber auch, weil Vertreter der muslimischen Gemeinden in Gelsenkirchen fürchteten, „einzelne schwarze Schafe“ könnten die Veranstaltung missbrauchen und gegen Jüdinnen und Juden hetzen oder gar Schlimmeres passieren könne.

Schon damals stellte diese Redaktion die Frage: Was soll das eigentlich bedeuten? In guten Zeiten können wir uns besuchen, doch wenn es darauf ankommt, geht besser jeder seine Wege? Sind wir hierzulande so weit, dass Extremisten ungeniert über unsere Straßen laufen können, während Zusammenkünfte für Frieden und Miteinander aus Angst vor Übergriffen abgesagt werden?

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Der Gelsenkirchener „Friedensweg“ wurde Monate später nachgeholt, doch scheint dieser letztlich nur symbolischen Charakter zu haben, wenn nun in Schulen dieser Stadt entscheiden wird, dass der alljährliche Besuch der Neuen Synagoge in diesem Jahr ausfällt, weil Lehrer um Ausschreitungen ihrer Schüler fürchten.

Dabei soll der Besuch der Synagoge – und bei anderen Exkursen der Besuch einer Moschee – doch gerade das Miteinander, zumindest aber das aufeinander Zugehen fördern. Doch statt Toleranz und Dialog zu leben und zu lehren, wird dem Hass gegenüber klein beigegeben. In Deutschland besuchen Schulkassen eine Synagoge nicht, weil zu befürchten steht, dass Jüdinnen und Juden durch die Schüler etwas angetan werden könnte. Das ist zutiefst beschämend und schmerzend!

„Wieder einmal fragen wir uns: Hört das denn niemals auf?“, seufzt eine Vertreterin der jüdischen Gemeinde, während die Synagoge gerade kugelsichere Scheiben eingebaut bekommt.

Zum Gazakrieg kann man unterschiedlicher Meinung sein und Kritik an der militärischen Vorgehensweise Israels ist auch nicht automatisch gleichzusetzen mit Judenhass. Aber wenn der Dialog, wenn ein Besuch in der Synagoge nicht mehr möglich ist, dann ist in unserer Gesellschaft, ist in unseren Schulen in den vergangenen Jahren etwas gehörig in Schieflage geraten. Davor die Augen zu verschließen, wäre das Schlimmste, was man jetzt machen kann.