Gelsenkirchen. Was lief im Jahr 2023 in Gelsenkirchen so richtig schief? In der Politik spricht man von verpassten Chancen und fehlgeleiteten Geldern.

Kritik an Stadt und Bund, Kritik an den anderen Fraktionen – oder Kritik an der Presse: Die Fraktionen und Gruppen im Gelsenkirchener Stadtrat haben bei der Frage nach den „größten Fehlleistungen 2023“ ganz unterschiedliche Adressaten gefunden, diese allerdings (trotz ausdrücklicher Einladung dazu) mit wenig Selbstkritik beantwortet. Was ging 2023 so richtig schief? So sieht es die Gelsenkirchener Lokalpolitik im zweiten Teil des politischen Jahresrückblicks:

SPD Gelsenkirchen: Förderprogramme des Landes reichen nicht aus

Axel Barton (Fraktionsvorsitzender): „2023 war leider auch ein Jahr, in dem große Kaufhäuser in der Innenstadt geschlossen wurden. Hier müssen sich alle Beteiligten fragen, welche Verantwortung sie daran tragen. Eigene, städtische Initiativen zur Innenstadtbelebung – wie zuletzt das Programm „Gelsenkirchen startet durch“ – müssen wieder eine größere Rolle spielen. Auf Förderprogramme des Landes zu setzen, reicht nicht aus.“

CDU: Weniger Investitionszuschüsse tun besonders weh

Sascha Kurth (Fraktionsvorsitzender): „Die klassische Fehlleistung ist sicherlich keinem Akteur anzukreiden. Die für uns schlechte Entscheidung zur Zukunft der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung abseits unserer Stadt und das Zurückfahren der Investitionszuschüsse durch den Bund tun uns in diesem Jahr aber sicherlich ganz besonders weh.

Grüne: Verkehrswende für Gelsenkirchen rückt in weite Ferne

Adrianna Gorczyk (Co-Fraktionsvorsitzende): „Der ursprüngliche Masterplan Mobilität war ein vielversprechendes und umfangreiches Werk für eine gelingende Verkehrswende in Gelsenkirchen. Trotz starker Argumentation und deutlicher Kritik an ihren Änderungsanträgen ist es uns nicht gelungen, CDU und SPD davon zu überzeugen, auf ihre einseitigen Änderungen für den Autoverkehr und gegen ÖPNV, Radfahrende und Fußgänger*innen zu verzichten. Der Masterplan ist damit so ausgehöhlt worden, dass die bitter notwendige Verkehrswende für Gelsenkirchen in weite Ferne rückt. Eine verpasste Chance, durch die noch dazu einiges an Zeit, Geld und Verwaltungsressourcen verschwendet wurde.“

Keine neue Polizeihochschule für Gelsenkirchen: 2023 wurde endgültig klar, dass die HSPV nicht mit einem Neubau an die Stelle des alten Zentralbads ziehen wird.
Keine neue Polizeihochschule für Gelsenkirchen: 2023 wurde endgültig klar, dass die HSPV nicht mit einem Neubau an die Stelle des alten Zentralbads ziehen wird. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

AfD Gelsenkirchen ärgert sich über ehemaliges Mitglied

Jan Preuß (Fraktionsvorsitzender): „Die einzige Fehlleistung ist einem ehemaligen Mitglied von uns zuzuschreiben, nämlich dem Stadtverordneten Thorsten Pfeil, der die Ratsfraktion ohne vorausgegangene erkennbare inhaltliche Differenzen verließ und haltlose, unbewiesene, aus der Luft gegriffene Vorwürfe der Radikalisierung erhob. Hier ist auch eine Fehlleistung der Presse zu nennen, nämlich die ungeprüfte Übernahme in Druck durch den Redakteur Wüllner-Adomako.“ (Anm. d. Rdk.: Über Thorsten Pfeils Parteiaustritt wurde nach journalistischen Grundsätzen berichtet. Die AfD hatte selbstverständlich die Möglichkeit, sich zu Pfeils Vorwürfen zu äußern. Den Äußerungen wurde im Artikel ausreichend Raum gegeben.)

FDP bedauert Entwicklungen beim Tierfriedhof Gelsenkirchen

Susanne Cichos (Fraktionsvorsitzende): „Fehlleistung? Ich würde es eher falsche Einschätzung nennen. Die FDP hat sich sehr gefreut, dass ihr langgehegter Wunsch, einen Tierfriedhof in Gelsenkirchen auszuweisen, 2023 endlich umgesetzt werden sollte. Nun findet sich für das Grundstück im Stadtsüden kein Betreiber. Das ist sehr schade. Wir werden aber nicht aufgeben und weiter für das Projekt werben. Ein Ärgernis sind für die FDP die aktuellen Pläne zum Förderprogramm Innenstadt. Die FDP war es, die die Verwaltung dazu gedrängt hat, Fördergelder aus dem Innenstadtprogramm zu beantragen. Doch jetzt müssen wir beobachten, dass der Norden mal wieder gegen den Süden ausgespielt wird, dass vor allem Fördergelder für den Süden beantragt werden.“

Linke Gelsenkirchen vermissen „Zeichen der Völkerverständigung“

Bettina Peipe: „Wir konnten den Rat nicht von unserer Idee überzeugen, die Friedensfahne auf den Rathausplätzen im Hans-Sachs-Haus und Buer aufzuhängen. Damit ist ein wichtiges Signal für einen gerechten Frieden in Nahost nicht gesetzt worden. ,Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts‘: Dies wäre nicht nur als Zeichen der Völkerverständigung zu verstehen, sondern auch als ein starkes Signal für ein gelungenes Miteinander und der Anstoß zu einem friedlichen Dialog innerhalb der verschiedenen Kulturen, Religionen und Nationalitäten unserer Stadtgesellschaft.“ (Anm. d. Rdk.: Die Linke wollte neben der Friedensfahne auch die palästinensische Flagge in Ergänzung zur israelischen Flagge hissen.)

PARTEI: Anträge werden von der Tagesordnung gestrichen

Gregor Stein: „Als wir unsere Satireausbildung vor drei Jahren begannen, war uns nicht bewusst, wie schwer es werden würde, Anträge so zu stellen, dass sie wenigstens besprochen werden. Zusammen mit den Anträgen der rechtsradikalen AfD-Fraktion werden unsere Anträge stets von der Tagesordnung gefegt (was wir bei denen der AfD begrüßen. Hier ist Doppelmoral angebracht, es handelt sich schließlich um Menschen mit faschistischen Absichten). Jedenfalls wollten wir eine Resolution gegen GE-Wortspiele. Sie wissen schon: einGEstellt, GEspania, GEputzt… kurz: wir bleiben dran.“

Die WIN-Fraktion, die Ratsgruppe „Tierschutz Hier!“ und die AUF haben dieses Jahr nicht an der Umfrage teilgenommen. Die Antworten zum ersten Teil des politischen Jahresrückblicks finden Sie hier: Gelsenkirchen: „Sind an vielen Stellen einen Schritt weiter“