Gelsenkirchen-Bismarck. Kriminalität, Drogen, Müll: Bürger in Gelsenkirchen-Bismarck haben genug davon. Frustriert drohen einige offen mit der Wahl von Rechtspopulisten.
Die Situation scheint festgefahren, effektive Lösungen, die nachhaltig wirken, nicht in Sicht. Die Stimmung bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ist gekippt. Diese Erkenntnis ist so neu nicht, doch sie wirft ein Schlaglicht auf künftige Wahlen. Denn sie bereitet den Nährboden für gärenden Fremdenhass und Extremismus – noch mehr als beispielsweise der Israel-Konflikt bereits auf so erschreckende Weise zutage gefördert hat.
Anwohner in Gelsenkirchen: „Keiner darf sich wundern, wenn Bismarck braun wird“
Bei der Sitzung des Präventionsrates Bismarck am Mittwoch drohen und reden einige Teilnehmende offen darüber, künftig rechts zu wählen. O-Ton eines Anwohners: „Keiner darf sich wundern, wenn Bismarck braun wird.“ Anhaltende Probleme wie Jugendkriminalität, Drogenhandel, gewalttätige Übergriffe, Müllberge und Lärm verbinden sie nahtlos mit der „gefühlten Überfremdung“ ihres Stadtteils durch den Zuzug von Menschen aus Südosteuropa und aus anderen Ländern nach Gelsenkirchen.
Gebetsmühlenartig weisen Polizei, KOD (Kommunaler Ordnungsdienst) sowie der Bezirksverordnete Gerd Podschadly (SPD) oder Julian Siempelkamp (CDU), Vorsitzender des Gremiums, daraufhin, dass sich auch Menschen ohne Migrationshintergrund jenseits aller Regeln des täglichen Miteinanders benehmen, also schlichtweg von ungebührend bis kriminell, die Sprachwahl beeinflusst der richtige Hinweis aber nur kaum. Wut und Verzweiflung nehmen bei manchen Besuchern so viel Raum ein, dass die genannten Probleme verallgemeinernd „den Ausländern“ zugeschrieben werden.
Vor gut zehn Jahren war es die Trinker- und Drogenszene rund um den Grünweg, die die Gemüter im Kiez erhitzte, heute, so berichten Anwohner, ist das, wenn überhaupt, das allerkleinste Problem: „Die sind friedlich, die machen nichts, von denen geht keine Gefahr aus.“ Auch die Behördenvertreter teilen diese Ansicht.
Klage: Drogenhändler flitzen mit Umhängetasche und E-Roller von Deal zu Deal
Gewaltbereite Jugendliche und junge Männer mit Migrationshintergrund, die rund um Grünweg, Bramkampstraße, Trinkhalle Bürgerplatz und vor allem in der Nähe der Falken im Fritz-Steinhoff-Haus am Greitenstieg ihr Unwesen treiben, sind den Schilderungen der Anwohnerschaft nach das größere Problem. Dazu Drogenhändler, die „mittlerweile ganz ungeniert mit Umhängetasche und E-Roller“ entlang der Bismarckstraße von einem Deal zum nächsten flitzten.
Ein Vater erzählt, wie er und sein Sohn von einer Gruppe Jugendlicher im Alter von zehn bis 16 Jahren „beleidigt und erniedrigt“ worden sein. Mit Steinen habe man sie beschmissen, geradezu wie Vieh in eine Ecke treiben wollen. Eine Mutter berichtet von einem Überfall vier Jugendlicher auf ihren Sohn, drei der Täter seien wegen Minderjährigkeit nicht belangt worden, ein 14-Jähriger müsse sich einem Strafverfahren stellen.
Auch die kleine Erfolgsmeldung von Andrea Kramer, künstlerische Leiterin des Consol Theaters, verblasst angesichts neuerlicher Vorfälle. Sie und viele Anwohner hatten bei einem Ortstermin im Consol-Park im Mai dieses Jahres noch einen Hilferuf wegen Drogendealern, gewalttätigen Übergriffen und steig nachwachsenden Müllbergen auf der Freizeitanlage gesendet. Die Folge verstärkter Kontrollen durch die Behörden: Jetzt „ist der Drogenhandel nicht mehr so ausgeprägt“, die Geschäfte haben sich demnach zur Verkehrsachse Bismarckstraße hin verlagert. Aber: Die Probleme sind damit nicht weg: „Jugendliche haben bei uns drei Müllbehälter abgefackelt, eine Internetleitung wurde dadurch zerstört, das Consol-Theater und auch das Forum 2000 hatten darauf über Wochen kein Telefon und kein Internet.“
Bürger in Problemviertel Gelsenkirchen-Bismarck: „Es muss endlich was passieren“
Solche und andere ähnliche Schilderungen sind in diesem Gremium als auch in anderen Präventionsräten eher die Regel als die Ausnahme. Polizei und KOD bekommen an diesem Mittwoch in den Räumen der Awo an der Paulstraße erneut die Berichte frustrierter Anwohnerinnen und Anwohnern zu hören, die von den Behörden fordern, „dass endlich etwas passiert“. Und Beschwerden, dass auf zig Meldungen per App (GEmeldet) oder per Telefon (Notruf Polizei: 110, Leitstelle KOD: 0209 169 3000) nicht schnell genug reagiert werde.
Spätestens hier zeigen sich Grenzen des behördlichen Handelns auf. Das hat unter anderem mit Einsatzzeiten, Zuständigkeiten und Prioritäten zu tun.
Die „Falken-Problematik war dem KOD nicht bekannt, wir nehmen uns der Sache an“, teilt Jennifer Holthaus, KOD-Bezirksdienststellenleiterin für den Gelsenkirchener Süden mit. Eine 24/7-Einsatzbereitschaft sei aber schlichtweg unmöglich. „Im Sommer endet sie um 23 Uhr, im Winter um 22 Uhr.“ Holthaus ermunterte – wie schon oft – die Bürger, die Leitstelle telefonisch oder per Mail immer wieder zu kontaktieren bei Vorfällen. Nur so ließen sich für den Ordnungsdienst schwerere und andauernde Probleme von geringeren und selteneren unterscheiden.
Nicht dem Verfall preisgeben: Helfer räumen in Bismarck auf
In Bismarck gibt es auch aktive Menschen, die sich gegen die Verwahrlosung ihres Stadtteils stemmen. Zum Beispiel schwärmen regelmäßig freiwillige Helfer aus, um ihr Kiez zu säubern.
Treffpunkt ist jeden letzten Samstag im Monat der Ziegelbau der Arbeiterwohlfahrt an der Paulstraße 4. Mit Müllsäcken und Greifern ziehen dann die Freiwilligen von dort aus durch die Straßen und befreien sie von Müll. Wer sich anschließen will, ist herzlich willkommen. Nächster Aktionstag ist Samstag, 25. November, um zehn Uhr.
Rund um die Uhr im Einsatz ist die Polizei, klar, aber sie ist natürlich nicht zuständig für Müll, selbst wenn er teils bergeweise Gehwege blockiert. Straftaten wie Raub oder Drogenhandel bekommen eine höhere Priorität eingeräumt als Beleidigungen, Bedrohungen oder Ruhestörungen herumpöbelnder Jugendlicher. Dementsprechend länger dauert es, bis Beamte vor Ort eintreffen. Jugendliche sind vor Vollendung des 14. Lebensjahres zudem schuldunfähig. Und die Vergehen Jüngerer haben meist nur Sozialisierungsmaßnahmen zu Folge, hinter Gittern wandern 14-Jährige und Ältere erst, wenn die Zahl der Taten überhandnimmt oder die Schwere der Tat nichts anderes zulässt.
Beide, KOD und Polizei, eint: Die Personaldecke ist nicht gerade dick gewebt. Umstände, die das Frustrationspotenzial der Menschen im Viertel erhöhen und die Stimmung weiter aufladen können.