Essen. In Essen haben Islamisten 3000 Demonstranten mobilisiert. Viele Menschen fragen sich, warum die Demo nicht aufgelöst wurde. Was die Polizei sagt.
Es sind verstörende Bilder, die sich am Freitagabend auf Essener Straßen abgespielt haben: Fahnen, die der IS-Flagge ähneln, wehen im Wind, zum Teil voll verschleierte Frauen marschieren separiert von den Männern am Ende des Demonstrationszuges, Ordner in gelben Westen achten darauf, dass auch ja niemand ausschert. „Allah-u Akbar“-Rufe schallen durch die Häuserschluchten, die Menge beschwört die „Umma“ – also den Islam als Nation –, deutlich sichtbar ist auf einem Schild „Das Kalifat ist die Lösung“ zu lesen. Ein in der Szene bekannter Islamist ist Hauptredner der Abschlusskundgebung.
Viele Menschen fragen sich: Warum wurde die Veranstaltung – die wohl nur als Vorwand als „Pro-Palästina“-Demo angemeldet worden war und sich dann als islamistische Anti-Israel-Versammlung entpuppte – nicht von der Staatsmacht aufgelöst? Teilte die Essener Polizei am Tag danach doch selbst mit: „Als Mensch finden wir den Aufmarsch von Demokratie- und Menschenfeinden unerträglich und lehnen ihn ab.“ Die Frage beschäftigt nicht nur die Esserinnen und Essener, vor deren Haustür sich das Ganze abspielte. Landauf landab ist die Demonstration ein Thema.
Polizei Essen erklärt, warum die Veranstaltung nicht aufgelöst wurde
Was sagt also die Polizei Essen? „Uns ist bewusst, dass die Bilder von gestern Abend für unsere freie und demokratische Gesellschaft schwer zu ertragen sind“, heißt es in der oben angerissenen Mitteilung von Polizeisprecher Thomas Weise weiter. Trotz allem sei die Polizei neutral und müsse auch solche Demonstrationen begleiten und den Versammlungsteilnehmern ermöglichen, ihr Versammlungsrecht auszuüben. Weise ergänzt in seiner Mitteilung vom Samstag: „Das gilt übrigens für friedliche Versammlungen aller Art.“
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Also ließ sich die islamistische Versammlung tatsächlich nicht verbieten oder auflösen? Polizeisprecher René Bäuml sagt am Sonntag im Gespräch mit unserer Redaktion: „Artikel 8 des Grundgesetzes ist ein hohes Gut. Eine Versammlung zu unterbrechen ist ein hoher Grundrechtseingriff.“ Unter den zahlreichen Einsatzkräften, die am Freitagabend bei der Demo waren, sei der Staatsschutz gewesen, Juristen und Übersetzer hätten ein wachsames Auge auf Flaggen, Fahnen, Transparente gehabt. „Die ersten Überprüfungen vor Ort zeigten keine verbotenen Schriftzüge und Fahnen.“
Banner und Transparente erinnern in Essen an IS-Fahnen
Vor allem schwarze und weiße Banner, die zahlreiche Demonstranten während der Kundgebung präsentierten, erinnern viele Menschen an die Flaggen der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Bereits während der Veranstaltung erklärte ein Polizeisprecher unserem Reporter, dass die Einschätzung der Experten sei, dass es sich bei dem gezeigten Symbol allerdings um das islamische Glaubensbekenntnis handle. Und dieses sei nicht verboten. „Es gab keine ausreichenden Gründe, die Versammlung zu beenden“, sagt am Sonntag Polizeisprecher René Bäuml. Ganz offensichtlich wussten die Organisatoren der Veranstaltung ganz genau, was erlaubt ist, und was nicht. Ein Beispiel.
Zu Beginn der Versammlung verlas ein Demo-Sprecher über Lautsprecher die Regeln, die bei Nichtbeachtung zur Auflösung der Veranstaltung führen könnten, darunter: „Das Existenzrecht Israels darf nicht in Frage gestellt werden.“ Ein Satz, den die versammelte Menge nach dem Vorlesen lautstark mit Buh-Rufen quittierte. Platziert war die eigentlich verbotene Äußerung indirekt also doch.
Zufrieden geben will sich die Polizei mit der Situation noch nicht. Nun sei es an den Ermittlern zu prüfen, ob unter den getätigten Äußerungen, gerufenen Parolen und präsentierten Bannern nicht doch strafrechtlich relevantes dabei ist. Bild- und Audioaufnahmen würden jetzt ausgewertet. Ob mutmaßliche Täter aber tatsächlich ermittelt werden können, bleibt abzuwarten.
Warum durfte islamistischer Redner bei Demo in Essen auftreten?
Abzuwarten bleibt trotz Nachfrage bei Polizeisprecher Bäuml am Sonntag noch die Antwort auf die Frage, ob es tatsächlich erlaubt ist, dass ein in der Szene bekannter Islamist wie Ahmad Tamin in Essen eine Rede halten darf. Eine Antwort auf die Frage ist für Montag in Aussicht gestellt worden.
Bäuml sagte über die Worte von Ahmad Tamin: „Die Rede hat sich im Verlauf entwickelt und ist immer religiöser geworden.“ Der Islamwissenschaftler Ahmad Omeirate hatte vor der Demonstration über den Redner gesagt: „Er gehört zum Umfeld der panislamistischen Bewegung ‘Hizb ut-Tahrir’. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums unterliegt diese in Deutschland einem Betätigungsverbot. Eines der Ziele der „Hizb ut-Tahrir“ (HuT) sei die Errichtung eines islamischen Staats auf Grundlage der Scharia. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah es unter anderem als erwiesen an, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abspreche, so das NRW-Innenministerium.
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