Gelsenkirchen. Fleischereien in Gelsenkirchen haben es schwer. Die Zahl der Betriebe ist in den Vorjahren dramatisch geschrumpft. Das sind die Gründe.
Das Gehackte halb und halb vom Metzger und die „Diätwurst“ gab es noch vor 50 Jahren in ganz Gelsenkirchen quasi um die Ecke in der Fleischerei des Vertrauens. Wer heute Fleisch vom Fachbetrieb und hausgemachte Fleischwurst kaufen möchte, der muss zum Teil weit laufen.
270 Fleischereifachgeschäfte gehörten in Gelsenkirchen in den 70er Jahren der Fleischerinnung an. Heute sind es gerade einmal noch sieben. Zwar gibt es noch mehr niedergelassene Metzgereien im Stadtgebiet – je nach Definition von „Fleischerbetrieb“ zwischen neun und 15 – aber es werden weiterhin weniger.
Von 270 auf auf sieben Innungsbetriebe
Zwei Landmetzgereien mit eigenem Hofverkauf, einige türkische Fleischereien, meist in Verbindung mit anderen Lebensmitteln, die Neuland-Bio-Metzgerei Ferdi Pütz und mit Ridderskamp & Hahn einen Filialisten mit vier Außenstellen in Gelsenkirchen neben dem Produktionsbetrieb in Erle – das ist geblieben von der einst üppigen Gilde.
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Wir haben den Fleischerei-Innungsobermeister Andreas Schroer befragt, was seiner Einschätzung nach zum Ende so vieler Traditionsbetriebe in Gelsenkirchen, aber auch in der gesamten Region geführt hat. Der Fleischermeister hat seinen in Dorsten beheimateten Betrieb von den Eltern übernommen und fungiert selbst seit 2015 auch für den Bereich Gelsenkirchen und Buer als Obermeister. 14 Mitglieder zählt die bei der Kreishandwerkerschaft Recklinghausen angesiedelte Innung mittlerweile nur noch, sieben davon wie gesagt aus Gelsenkirchen.
Der Nachwuchs fehlt in allen Bereichen, auch in den Familienbetrieben
Die für den Bereich zuständige Berufsschule steht in Recklinghausen, ganze drei Auszubildende lernten dort in diesem Jahr noch. Und das ist auch einer der Hauptgründe für das Aus vieler Betriebe. „Uns fehlt einfach der Nachwuchs, wenn die Inhaber in den Ruhestand wechseln“ erklärt Schroer, der auch selbst noch schlachtet.
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Aber es gibt seiner Einschätzung nach freilich noch mehr Gründe, warum Fleischereien aufgeben. „Nach der Corona-Zeit, in der es vielen von uns Fleischereien finanziell besser ging, weil die Menschen wieder selbst gekocht haben, geht der Absatz in jüngster Zeit wieder stark zurück. Ich schätze, der Verkauf ist um etwa zehn Prozent weniger geworden. Die Leute essen wieder in der Kantine, die Kinder in der Schule.“ Auch die stark gestiegenen Preise bereiten den inhabergeführten Geschäften große Sorgen.
Schweinefleischpreis hat sich fast verdoppelt
„Das Kilogramm Schweinefleisch ist im Einkauf für uns zwischendurch von 1,50 Euro je Kilo auf 2,50 Euro gestiegen. Aktuell sind es immer noch mehr als zwei Euro. Und dann noch die hohen Energiekosten für die Kühlung und bei der Wurstherstellung, das teurere Öl: Das merken wir, aber das bekommen eben auch die Kunden zu spüren“, weiß der Geschäftsmann. Da sei das oft günstigere Supermarkt-Fleisch eben eine willkommene Alternative, auch wenn Herkunft und Qualität eine andere seien.
Vier Filialen plus Werksverkauf bietet weiterhin Ridderskamp & Hahn in Gelsenkirchen.
Der vierfache Gaspreis, „das war bei uns ein sechsstelliger Mehrbetrag“, erklärt Jürgen Hahn. Um den Abstand der (mehrheitlich) gelernten Kräfte zu angelernten Mindestlöhnern zu wahren, habe man die Löhne um einen zweistelligen Prozentsatz angehoben. Zudem seien die Schweine doppelt so teuer wie 2021. Die Bauern zögerten, auf die von Discountern ab 2024 geforderte Umstellung auf Haltungsform zwei und drei zu investieren. Der Grund: Die Politik habe die gesetzlichen Voraussetzungen für sichere Investitionen in die Umstellung der Betriebe noch immer nicht geliefert.
Hohe Preise wegen Fleischknappheit treiben Verbraucher zu den Discountern
Hahn rechnet deshalb mit 20 bis 30 Prozent weniger geschlachteten Schweinen, sieht die Selbstversorgung Deutschlands in Teilstücken vom Schwein gar gefährdet. Das verringerte Angebot wirke sich preissteigernd aus, was gerade den „kleinen Mann“ als Verbraucher treffe. Er rechnet also nur bedingt mit einer absehbaren Verbesserung der Situation, im Gegenteil: „Das führt dazu, dass hochwertige Fleischerzeugnisse deutlich sparsamer gekauft werden und viele Verbraucher wieder auf Discounter ausweichen“.
Erfolg mit dem zweiten Standbein „Partyservice“
„Der Partyservice fängt einiges auf – dafür hatte ich im Vorjahr mit einem alten Weggefährten das Cateringunternehmen 'Der Koch und der Metzger Catering GmbH’ gegründet. Eine sehr erfolgreiche und spannende Entwicklung. Mein Partner Marcel Drees und ich hatten aufgrund der Tatsache, dass die Leute nach Corona wieder feiern durften und einige Mitbewerber den Totalausfall durch Corona nicht überlebt haben, alle Hände voll zu tun“, ist Hahn froh, dass das zweite Standbein, das auch über die Fleischerei-Filialen beworben wird, so gut trägt.
Mit der Ergänzung durch Partyservice steht Ridderskamp&Hahn nicht allein da. Viele – wie „Ebben“ in Erle – bieten neben der Fleischerei Catering für verschiedenste Anlässe an, inklusive Vegetarischem. Einige Betriebe haben vollständig auf Partyservice umgestellt, andere Metzger beliefern fast nur noch Märkte.
Ein Alleinstellungsmerkmal in Gelsenkirchen hat die Fleischerei Pütz mit ihrem Neuland-Fleisch, das zwar kein Zertifikat hat, aber ebenso Bio-Standards erfüllt. Allerdings spüren die Geschwister und Urenkel des Firmengründers Ferdinand Gersmeier ebenfalls, dass das Geld bei den Kunden knapper geworden ist. „In Corona-Zeiten war hier Schlangestehen angesagt. Das ist nicht mehr so und das Einkaufsverhalten hat sich über die Jahre ohnehin sehr verändert“, berichtet Susanne Zimmermann, die 1979 als Fleischereifachverkäuferin im eigenen Laden begann.
Ihr Ehemann hatte dereinst eigens auf Metzgermeister umgesattelt, um im Betrieb helfen zu können. Gesundheitsbedingt musste er mittlerweile jedoch zurückstecken. Ehefrau Susanne und ihr Bruder Christian Pütz führen den Laden nun. In der Fleischtheke liegt weiterhin fast ausschließlich Neuland-Fleisch und -wurst. Allerdings setzt das Geschwisterpaar nicht mehr allein auf den (abnehmenden) Fleischkonsum der Kunden.
Feinkost in allen Spielarten ist längst ihr zweites Standbein. Von selbst gemachten Marmeladen über hochwertige Weine bis hin zu edlem Kaffee gibt es ein breites Angebot, in der Regel saisonal geprägt. Auch die Gläser mit (von Susanne Zimmermann) hausgemachten Rouladen, Rotkohl oder Eintöpfen bis hin zum Wildgulasch im Herbst zählen zu den Rennern.
In der Weihnachtszeit macht die Chefin wieder Trüffel selbst. „2000 Stück habe ich im vergangenen Jahr verkauft davon. Ich bin kaum nachgekommen mit der Produktion“, berichtet sie. Die Nachfolge ist bei Familie Pütz dank eigener Fitness noch kein Thema. Aus der Familie allerdings wird wohl niemand den Betrieb dereinst übernehmen: Da ist es wieder, das Nachwuchs-Problem.