Gelsenkirchen. Die Fleischerei Pütz feiert in diesem Jahr 100-jähriges Bestehen in der Gelsenkirchener Feldmark. Der Gründer des Unternehmens, das heute die Urenkel führen, hatte ganz klein angefangen. Und die ersten Kunden waren fast ausschließlich Katholiken. Und das war nicht die einzige Besonderheit in jenen Jahren.
Ferdinand Gersmeier hat 1914 mit seiner Metzgerei an der Essener Straße 113 – heute Feldmarkstraße – ganz klein angefangen. Das linke Fenster an dem schmalen Haus gehörte zum Laden, das rechte Fenster zum Schlafzimmer des Metzgers. Was er und seine Frau hier aufbauten, hat bis heute Bestand. Man ist zwar auf die andere Straßenseite gezogen, in viel großzügigere Räumlichkeiten. Aber die Fleischerei Pütz, wie sie heute heißt, ist bis heute ein echter Familienbetrieb.
Damals, bei der Gründung, gab es noch keine Massentierhaltung wie heute. Bio war da quasi selbstverständlich. Allerdings kamen als Kunden fast nur Katholiken. Die Protestanten kauften bei der Konkurrenz, so war das damals, haben die Eltern erzählt. Heute leiten die Urenkel die Metzgerei und bieten fast ausschließlich Neuland-Biofleisch und -wurst an. Von Neuland-West übrigens; die waren noch von keinem der Bio-Skandale betroffen.
Doch zurück zu den Anfängen. Die Metzgerei blühte schnell auf, selbst die Wirtschaftskrise überstand man gut. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Geschäft ausgebombt. Ferdinand Senior, heute 75 Jahre alt, buddelte damals mit den Eltern Messer, Hackklotz und einen Volksempfänger aus den Trümmern aus: das war das Startkapital.Dann hieß es für alle: Steine klopfen für den Wiederaufbau des Geschäfts, und zwar schräg gegenüber, im Haus Nummer 104.
Montags früh ging es zum Viehmarkt
1948 starb der Firmengründer, die Töchter Franziska (Mutter des heutigen Seniors Ferdinand, die einen Pütz heiratete) und Gertrud übernahmen den Laden. Ab 1953 war Sohn Ferdinand mit im Geschäft.
Der heutige Senior lernte sein Handwerk von der Pike auf, ging selbst montags zum Viehmarkt, um die Tiere auszusuchen. „Morgens um halb sieben war am Schlachthof an der Grothusstraße Kälbermarkt, um sieben Schweinemarkt und um neun waren Rinder und Kühe an der Reihe. Da konnte ich am lebenden Tier sehen, welches gutes Fleisch hatte.“ Allerdings musste er auch kalkulieren können, sonst fehlte am Ende der Woche die Ware. Nachkaufen in der Woche ging nicht. „Früher wurde alles von den Tieren verwertet. Die Menschen aßen auch Innereien, in die Leberwurst kam viel mehr rein. Die Bergarbeiterfrauen haben die Knochen noch richtig ausgekocht: Da kam der Topf Samstagabend auf den Herd und wurde Sonntagmittag erst runtergenommen. Das war dann eine anständige Brühe,“ erinnert er sich an die 50er und frühen 60er Jahre. Anschreiben war da die Regel. „Aber an den Tagen, an denen die Zeche Abschlag zahlte, haben auch wir unser Geld bekommen. Da hat nie was gefehlt.“
1966 eröffneten er und seine Frau das nagelneue Geschäft an der Feldmarkstraße 112. Die Theke war so modern, dass die Bilder vom Pütz’schen Laden auf allen Fachmessen und in Magazinen als leuchtendes Beispiel herumgezeigt wurde. Ferdinand Pütz war 28 Jahre lang Prüfungsleiter und Lehrlingswart der Innungen Gelsenkirchen und Buer, führte den Sohn des Obermeisters – Jürgen Hahn, von Ridderskamp und Hahn – bei der Ausbildung in seinem Geschäft zur Europameisterschaft. Darauf ist der Senior heute noch stolz.
Das Einzige, was er in der Fleischerei ausgesprochen ungern tat, war hinter der Theke stehen und verkaufen. Das machten seine Schwester Christine und seine Frau Rita umso lieber.
Bis heute ein waschechter Familienbetrieb
Heute führen die Geschwisterkinder den Laden: Susanne Zimmermann (51) und Christian Pütz (52). In der Wurstküche führt Ingo Zimmermann (53) das Regiment, Ehefrau Susanne war schon als junge Frau mit ins Geschäft gegangen, hat Fleischereifachverkäuferin gelernt. Bruder Christian ist ein Quereinsteiger. Er hatte eigentlich Elektrotechnik studiert, wechselte dann aber in den Familienbetrieb, weil so schwer Personal zu finden war.
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Heute beschäftigt die Familie einen Auszubildenden und drei Angestellte im Verkauf. Zum Sortiment im 100 qm großen Verkaufsraum zählen Bio-Obst, edle Weine und Bio-Honig. Aber es gibt auch deftigen Mittagstisch – Frikadelle und Schnitzel gehören einfach dazu. Und das ist ebenso wie die Partyküche nur auf Wunsch Bio – sonst könnte es sich viele nicht leisten, weiß der Chef. Als Bio-Metzgerei ist man im Gelsenkirchener Süden konkurrenzlos. Aber ohnehin gibt es heute nur noch einen Bruchteil der Metzgereien von früher.
Konstanten im Sortiment der Fleischerei Pütz
Das immer noch beliebte, frische Mett („dafür sind die Leute früher aus anderen Städten angereist“) und die hausgemachte Landcervelatwurst sind die Konstanten im Sortiment der Fleischerei Pütz, beide werden nach Familienrezept gefertigt. Wobei es natürlich auch eine moderne, noch feinere Sorte Cervelatwurst gibt, denn die Geschmäcker sind deutlich feiner geworden.
Ob auch die nächste Generation bei Pütz ins Fleischereigeschäft einsteigt, ist übrigens noch völlig offen. Der Sohn der Zimmermanns ist gerade erst auf dem Weg zum Abitur, hat also noch Zeit. Die Tochter ist zwar schon 22, wird aber mit Sicherheit nicht übernehmen können: Sie hat eine Allergie gegen rohes Fleisch.