Gelsenkirchen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands fordert Migrationsquoten für Schulen. In Gelsenkirchen ist die Quote besonders hoch. Ein Faktencheck.
Heinz-Peter Meidinger trägt den Titel „Präsident des Deutschen Lehrerverbands“. Als solcher fordert er Migrationsquoten an Schulen, am liebsten bis zu 35 Prozent, da bei zu hohem Anteil von Schülerinnen und Schülern Integration nicht gelingen könne.
Grundsätzlich dürfte ein Großteil der Pädagogen – Meidingers Verband vertritt 165.000 (vor allem von Gymnasien) der knapp 800.000 Lehrkräfte bundesweit – so eine Lernsituation durchaus erstrebenswert finden. Allein: In Gelsenkirchen liegt der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungs-geschichte über alle Schulformen gesehen bei 60,9 Prozent. Unter 50 Prozent – nämlich bei 48,2 Prozent – liegt der Anteil hier nur an Förderschulen.
Gegliedertes Schulsystem behindert die Verteilung
„Im Ansatz hat Herr Meidinger durchaus recht. Aber eine gleichmäßige Verteilung der Schülerschaft setzt ein Schulsystem voraus, in dem auch verteilt werden kann. Diverse Schulformen, der vorrangige Elternwille und die Möglichkeiten der Abschulung führen zu einer Segregation an den Schulen, die extremer ist als in der sonstigen Stadtgesellschaft“, kommentiert Achim Elvert, Leiter der Gesamtschule Ückendorf, wo der Zuwanderungsanteil bei über 90 Prozent liegt.
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Wenn die gleichmäßige Verteilung entsprechend der Mischung der Stadtgesellschaft oder des Stadtteils nicht gelinge, müsse – wie schon oft gefordert – Ungleiches ungleich behandelt, müssten also Standorte mit besonderen Herausforderungen besser ausgestattet werden, fordert Elvert. „Aber davon sind wir weit entfernt. Man müsste eine Statistik führen bezüglich Sozialindex und der realen Stellenbesetzungsquote. Der meiste Unterricht fällt da aus, wo der meiste Unterricht benötigt wird“. Durch die – durch das gegliederte Schulsystem geförderte – Aufspaltung der Schülerschaft nach Sozialstatus und Herkunft werde auch die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben. „Wenn der Kontakt der gesellschaftlichen Gruppen sogar im Stadtteil fehlt, wird auch die generelle Spaltung befördert. Die Schere geht bei uns immer weiter auf“, mahnt Elvert.
Trennung an Schulen fördert Spaltung der Gesellschaft
Die Kriterien für den aktuellen, von der vorigen CDU/FDP-Landesregierung eingeführten Sozialindex seien mindestens fragwürdig. Schulministerin Dorothé Feller hat bereits angekündigt, die Berechnungsbasis zu verbessern. In Gelsenkirchen, der Stadt mit dem höchsten Prozentsatz an Kinderarmut im Land und dem neben Duisburg höchsten Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte, wurde lediglich eine einzige weiterführende Schule – die Hauptschule Grillostraße – in die höchste Stufe neun eingereiht.
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Nur drei von 39 Grundschulen – Martinschule, Wiehagen und Schalker Regenbogenschule – landeten in Stufe acht mit erhöhtem Unterstützungsbedarf. Die Gesamtschule Ückendorf bekam Stufe sechs. Maßgeblich dafür ist der SGBII-Bezug im Stadtteil, nicht der der Schülerschaft. Und in Ückendorf gibt es Bereiche mit ausgesprochen wohlhabender Bewohnerschaft. Deren Kinder zwar in der Regel nicht die GSÜ besuchen, aber dennoch für den Index maßgeblich sind.
„Aber der jeweilige Unterstützungsbedarf von Schülern hängt ja nicht in erster Linie vom Zuwanderungshintergrund ab, sondern von sozialen Faktoren. Das beweist unter anderem die hohe Zahl von Abiturienten bei uns, trotz unseres hohen Zuwanderungsanteils. Und wenn es um das Thema fehlender Respekt vor dem Staat und der Schule bei Zuwanderern geht: Auch im Osten Deutschlands gibt es sehr viele gewaltsame Übergriffe, fehlenden Respekt vor dem Staat, obwohl der Anteil von Zuwanderern in der Bevölkerung dort niedrig ist“, wehrt sich Elvert gegen die simple Analogie Zuwanderungsgeschichte gleich problematisch.
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Ungleiches ungleich behandeln: Wie wenig dieser von der Politik immer wieder bemühte Leitspruch tatsächlich umgesetzt wird, zeigt ein Vergleich der Lehrerbesetzung zwischen Münster und Gelsenkirchen. In Münster liegt der Anteil von Schülern mit Zuwanderungsgeschichte bei 28,9 Prozent über alle allgemeinbildenden Schulformen, in Gelsenkirchen sind es 60,2 Prozent. Die Schüler-/Lehrer-Relation aber lag zum Schuljahresbeginn 2022/23 in Münster bei 11,7 Schülern je Lehrkraft, in Gelsenkirchen bei 11,83. Basis der Berechnung ist die wirkliche Stellenbesetzung. Theoretisch standen Gelsenkirchen nämlich immerhin 110 weitere Stellen zu, die aber nicht besetzt werden konnten. In Münster waren lediglich 21 nicht besetzt. Wären alle Stellen in beiden Städten besetzt, wäre die Relation 11,45 Schüler je Lehrkraft (GE) zu 11,71 (MS). Das wäre die behauptete ungleiche Behandlung von Ungleichem.