Gelsenkirchen. Mindestens eine Lehrerstelle an jeder Gelsenkirchener Grundschule ist nicht besetzt. Die Gewerkschaft sieht eine deutlich dramatischere Lage.
Schon zum Schuljahresbeginn war klar: Mehr als die Pflichtstunden sind an Gelsenkirchener Grundschulen in diesem Jahr nicht machbar. Bei Kunst, Musik und Sport muss „gespart“ werden. 70 unbesetzte Grundschullehrer-Stellen gab es, verbunden mit der Hoffnung, dass von außen Nachschub kommen könnte. 52 unbesetzte Stellen waren es laut Schulaufsicht in Münster zum 1. November an den 40 Gelsenkirchener Grundschulen, fünf (bereits eingerechnet) habe man besetzten können, davon laut Schulamt zwei durch Abordnungen aus Münster. Dennoch sei durch verschiedenste Abordnungen überall der Mindestunterricht mit Ausnahme einer Stunde gewährleistet.
Gewerkschafter: „Ergänzungsbedarf nicht berücksichtigt“
Eine ganz andere Rechnung stellt Lothar Jacksteit, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Gelsenkirchen, auf. Seiner Einschätzung nach fehlen aktuell je Grundschule de facto rund vier Lehrkräfte, wobei er vom Fehlbedarf des letzten Schuljahres inklusive Ergänzungsstellen ausgeht. „Die Situation ist ja nicht besser geworden“, ist er sicher. „Bei der Berechnung der Bezirksregierung wird die Grundversorgung genannt, ohne die für die Integration notwendigen Ergänzungskräfte. Dabei wären selbst die zu knapp kalkuliert“, erklärt Jacksteit die unterschiedlichen Zahlen.
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Jacksteit warnt seit Jahren vor Überlastung und Burn-out engagierter Kollegen. Der Arbeitskreis Gesundheit, den er als Gegenmaßnahme an Schulen etablieren wollte, wurde nicht genehmigt, „weil das Gesundheitsamt dafür zuständig sei“. Er sieht aktuell eine Lehrkräfteversorgung an Grundschulen von durchschnittlich 85 Prozent, teilweise erheblich weniger.
Forderung: Auf Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen konzentrieren
Für den Unterricht – sofern er gehalten werden kann – wünscht er sich eine Konzentration auf die Grundfähigkeiten im Bereich Lesen, Schreiben und Rechnen statt zahlreicher Projektaufgaben und bürokratischer Aufgaben. Diese Konzentration sieht auch das Modell der Hamburger Schulen vor, denen es als einzige gelang, bei der letzten bundesweiten Leistungsüberprüfung für Grundschüler gut abzuschneiden.
Zum Teil läuft schon wieder Distanzunterricht
Aktuell läuft an vielen Grundschulen Distanzunterricht. An einigen Schulen sind es nur einzelne Stunden, die ausfallen, in manchen aber sind es gleich mehrere Tage, mit täglichem Jahrgangswechsel in Distanz. Wobei Distanzunterricht nicht wirklich Unterricht meint, wie Elternsprecherin Daniela Isopp klarstellt „Die Kinder bekommen Aufgaben mit, die daheim zu erledigen sind. Es fehlen dafür einfach die Lehrer. Wenn die Lehrer krank sind, und das sind aktuell sehr viele, unterrichten sie ja nicht.“
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Was von ihr keineswegs als Vorwurf gemeint ist, im Gegenteil. „Es gibt mehrere Langzeiterkrankte, zudem wechseln sich Corona und RS-Virus ab: Viele Lehrerinnen und Lehrer gehen mittlerweile auf dem Zahnfleisch, langfristig geht die Dauerbelastung sicher auch auf die Psyche. Und auf der Strecke bleiben wieder die Kinder, deren Eltern die Defizite in der Schule nicht auffangen können, vielleicht manchmal auch nicht wollen“, klagt Isopp, die für Gelsenkirchen auch in der Landeselternschaft der Grundschulen aktiv ist. In Gelsenkirchen ist sie direkt mit 22 der insgesamt 40 Grundschulen vernetzt.
Dass es für Gelsenkirchen immer noch keine direkten Zuweisungen aus besser ausgestatteten Regionen gibt, kann Isopp überhaupt nicht nachvollziehen. Die Düsseldorfer Schulaufsicht sei doch auch in der Lage, abzuordnen, um den Mangel in Duisburg zu lindern: „Warum geht das im Bezirk Münster nicht?“, fragt sie. Allerdings ist auch in Duisburg die Situation alles andere als rosig, muss manche Schule mit einer Lehrerausstattung von 60 Prozent umgehen. Und wirklich gegen den Willen der Betroffenen scheinen auch dort die wenigsten abgeordnet worden zu sein.
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Wer bei Grundschulleitungen in Gelsenkirchen nachfragt, sieht Isopps Befürchtungen zur Überlastung der engagierten Lehrkräfte vor Ort bestätigt. Viele werden nur noch von der Aussicht auf die Weihnachtsferien aufrecht gehalten, heißt es, bis dahin gelte es nur noch durchzuhalten so gut es geht. Reserven gibt es schon lange kaum noch. „Für den 14. Dezember hat die Ministerin ja einen Masterplan angekündigt. Wir sind sehr gespannt, aber nicht wirklich hoffnungsvoll“, beschreibt Isopp die Erwartungshaltung.