Gelsenkirchen. Das Personal der Stadt Gelsenkirchen wächst und wächst – auf nun 3350 Stellen. Muss das so sein? Die Stadt zeigt sich selbstkritisch.
Da ist der allgegenwärtige Fachkräftemangel. Und da ist die ohnehin angespannte finanzielle Situation des armen Gelsenkirchens, die durch die Energiekrise oder die steigenden Zinsen nur noch verschärft wird. Trotzdem plant die Stadt Gelsenkirchen für das Jahr 2023 mit einem ordentlichen Plus an neuen Stellen: Rund 136 neue Positionen sollen im kommenden Jahr in der Kernverwaltung besetzt werden. Ist das noch zeitgemäß, in einer Zeit, wo fast überall qualifizierte Arbeitskräfte fehlen?
Neue Stellen für das Ausländeramt oder EU-Ost-Interventionsteam Gelsenkirchen
Erst in den vergangenen Tagen berichtete die WAZ Gelsenkirchen über zwei Bereiche, für die neue Mitarbeitende gesucht werden: 16,5 neue Stellen werden alleine für den Klimaschutz und die Klimaanpassung eingeplant. Und auch die Wohngeld-Stelle muss aufgrund der erwarteten Antragsflut das Personal aufstocken.
Dann sind da aber auch noch der weitere Ausbau des Ordnungsdienstes (22 neue Stellen), die weitere Stärkung des Interventionsteams EU-Ost (fünf Stellen), Entlastung für das chronisch unterbesetzte Ausländeramt (sechs Stellen) oder Aufgaben, die „zur Errichtung einer zeitgemäßen digitalen Bildungsinfrastruktur“ (sieben Stellen) benötigt werden, also etwa für die Wartung der mittlerweile an alle Schüler verteilten Tablets.
238 Millionen Euro Personalkosten in Gelsenkirchen
Mit dem erneuten Stellenzuwachs setzt sich ein Trend fort: Berücksichtigt man auch die sogenannten eingenbetriebsähnlichen Einrichtungen (also z. B. Gelsenkanal, Gelsendienste, Gekita), ist das Unternehmen Stadt in den vergangenen zwei Jahrzehnten um satte 1785 Posten gewachsen – von 4439 Stellen im Jahr 2004 auf 6224 Stellen im Jahr 2023. Betrachtet man nur die Kernverwaltung, dann ist das Team der Stadt seit 2014 um etwa 300 Stellen gewachsen (auf nun 3351). Die Personalkosten dafür: 238 Millionen Euro, also noch mal neun Millionen Euro mehr als 2022.
Personaldezernent Luidger Wolterhoff erklärt diese ungebrochene Entwicklung so: Die Kommune habe nicht nur immer mehr Aufgaben erledigen müssen, die Aufgaben seien auch komplexer geworden. Gleichzeitig räumt er aber auch ein, dass man bei der Personalplanung künftig anders denken müsse.
Doch zunächst zur Komplexität der Aufgaben, die laut Wolterhoff gerade in Gelsenkirchen zu beobachten sei. „Wenn wir fünf Prozent mehr Menschen hätten, die Hilfe zur Erziehung empfangen, dann würde das für Gelsenkirchen einen höheren Personalbedarf bedeuten als etwa in einer Kommune des Münsterlandes“, nennt der Stadtdirektor ein fiktives Beispiel. Denn: „Die Fälle, die bei uns auflaufen, brauchen in der Regel mehr Beratung und Betreuung. Da ist mehr Energie notwendig, um die Menschen zu stärken." In Gelsenkirchen kämen bei vielen Hilfeempfängern eben mehrere Probleme zusammen: schlechte Deutschkenntnisse, geringe Bildung, schwierige Familiensituation.
Wenn es um die gewachsene Zahl an Aufgaben geht, die die Kommune übernehmen muss, dann will Wolterhoff nicht „darüber lamentieren“, dass der Bund oder die Länder Aufgaben an die Kommune abdrücken. „Aber die Kommune ist in vielen Fällen nun einmal der Ort der Umsetzung.“ Ein gutes aktuelles Beispiel sei das reformierte Wohngeld, das vom Bund entschieden wurde, aber nun einmal in der Kommune bearbeitet werden müsse.
Stellenreduzierung in Gelsenkirchen? Stadtspitze zeigt sich selbstkritisch
Aber gibt es nicht trotzdem die Möglichkeit, auch mal Arbeitskraft zu reduzieren? Schließlich wird der demografische Wandel mit dem Renteneinstieg der Babyboomer-Generation auch die Stadt erreichen, die laut Wolterhoff „alles andere als jung“ ist, also auch viele Mitarbeiter hat, die sehr bald in den Ruhestand gehen. Im neuen Stellenplan allerdings fallen nur weniger als zehn Stellen weg.
Hier zeigt sich Wolterhoff selbstkritisch – und nennt vier Verbesserungsvorschläge. Erstens müsse man Stellen intern mehr umschichten, wenn der Bedarf an einer Stelle größer wird – da hat die Kommune zweifellos in der Corona-Zeit Erfahrungen gesammelt, wo viele Mitarbeiter anderer Abteilungen plötzlich im Gesundheitsamt aushelfen mussten.
„Ein bunter Haufen“
Mit ihrer Kampagne „Ein bunter Haufen“ versucht die Stadt Gelsenkirchen derzeit, sich als ein vielfältiger Arbeitgeber zu positionieren. Auf www.einbunterhaufen.de präsentieren sich mehrere Mitarbeitende der Stadt per Video und berichten, warum sie gerne bei der Stadt arbeiten.
Laut Personaldezernent Luidger Wolterhoff wird die Kampagne oft in Bewerbungsgesprächen angesprochen. „Viele werden dadurch auf uns aufmerksam.“
Aber wichtig sei es auch, Prozesse zu vereinfachen („Wir verbinden Gerechtigkeit viel zu oft mit Detailverliebtheit“) und zu digitalisieren („Dass wir da noch viel Nachholbedarf haben, ist unumstritten“). Zuletzt muss man nach Ansicht des Stadtdirektors aber künftig auch insgesamt „kritischer prüfen“, ob man irgendwo auf eine Stelle verzichten kann. „Nur weil es eine Stelle aktuell gibt, muss es sie nicht auch zwingend im nächsten Jahr geben. Wir müssen noch viel stärker anschauen, ob es auch Angebote gibt, die nicht so nachgefragt werden.“
Keine Sonderzahlungen in Gelsenkirchen, um Personal zu besetzen: „Darauf lasse ich mich nicht ein.“
Dass alle 134 neuen Stellen auch besetzt werden, ist im Übrigen alles andere als realistisch. „Wir haben ein Stellenbesetzungsniveau von gut 90 Prozent in der Kernverwaltung“, sagt Wolterhoff. Zu erwarten ist, dass sich diese Quote mit dem demografischen Wandel weiter verringert. Erwartet wird deshalb auch ein immer schärferer Wettkampf unter den Kommunen bei der Personalfindung.
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Mit außertariflichen Sonderboni will der Personaldezernent allerdings keine Arbeitskräfte anlocken. „Die Versuchung ist groß. Aber darauf lasse ich mich nicht ein.“ Vielmehr müsse die Stadt mehr herausstellen, dass sie „ein sehr familienfreundliches Unternehmen mit guten Aufstiegschancen und Fortbildungsmöglichkeiten“ sei und bei der Stellenausschreibung mehr Kanäle bedienen. „Es ist nicht nur die Jobbörse oder der Vorschlag der Arbeitsagentur, sondern vor allem auch die Darstellung in den sozialen Medien. Da müssen wir mehr tun.“