Gelsenkirchen. „Wir müssen schauen, wie wir über die Runden kommen“, sagt OB Welge zum Haushalt 2023. Denn die Krisen häufen sich – und Sozialausgaben steigen.

Die Energiekrise und der Flüchtlingszuzug, die steigenden Zinsen und die Inflation, insbesondere die Verteuerung von Baustoffen: Auf die Finanzen der Stadt Gelsenkirchen wirken in diesen Krisenzeiten zig Faktoren, die es für die ohnehin arme Stadt noch viel schwieriger machen wird, wichtige Investitionen anzugehen. Dennoch haben Oberbürgermeisterin Karin Welge und Kämmerer Luidger Wolterhoff der Politik jetzt einen ausgeglichenen Haushaltsentwurf für 2023 vorgelegt. Allerdings ist die Harmonie zwischen Aufwendungen und Erträgen etwas konstruiert. Und es gibt noch sehr viele Fragezeichen.

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge: „So viele Unbekannte wie noch nie“

„In diesem Jahr haben wir es mit so vielen Unbekannten zu tun wie noch nie“, sagt Welge. Gerade auf der Ertragsseite habe die Verwaltung mit zahlreichen Schätzwerten arbeiten müssen, insbesondere der Umfang der Gewerbesteuereinnahmen sei angesichts der konjunkturellen Unwägbarkeiten nur ungefähr zu beziffern. Schließlich sind unter den großen Gewerbesteuerzahlern in Gelsenkirchen viele energieintensive Betriebe. Insgesamt rechnet die Stadt mit Steuereinnahmen von 321,3 Millionen Euro, das ist etwa ein Viertel der prognostizierten Gesamterträge von 1,222 Milliarden Euro.

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge: „„Wir konzentrieren uns auf unser Kerngeschäft.“
Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge: „„Wir konzentrieren uns auf unser Kerngeschäft.“ © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Neben den vielen weltpolitischen Krisenfaktoren ist für die Stadt zudem überhaupt noch gar nicht klar, wie viel Schlüsselzuweisungen sie vom Land bekommt. Dabei sind diese Gelder für die Stadt nicht weniger als überlebenswichtig, Gelsenkirchen hängt am Tropf des Landes: Der Posten „Zuwendungen und allgemeine Umlagen“, der sich zu einem großen Teil aus den Zuweisungen des Landes ergibt, wird im Haushaltsentwurf 2023 mit 485,92 Millionen Euro beziffert, das sind fast 40 Prozent der Gesamterträge. Und wie viel es dieses Mal sein werden, steht noch nicht genau fest.

Stadt Gelsenkirchen wird Corona-Kosten womöglich nicht mehr ausgliedern können

Auch noch keine Entscheidung gibt es seitens der neuen Landesregierung bei der Frage, wie mit etwaigen finanziellen Löchern durch die andauernde Corona-Pandemie umgegangen werden kann. Bislang konnte die Stadt die Corona-Schäden isoliert aufführen und zuletzt nur deshalb einen positiven Jahresabschluss erzielen. Ein buchhalterischer Trick, der den Haushaltsplan 2022 noch um 32,37 Millionen Euro entlastete. Sollte es bei wieder stark steigenden Infektionszahlen und möglichen Einschränkungen beispielsweise wieder zu schwachen Gewerbesteuereinnahmen kommen, so hätte die Stadt nach aktuellem Stand aber keine gesetzliche Grundlage mehr, diese auszugliedern.

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Berücksichtigt man all das so weit es geht, dann weist der Haushalt für 2023 eigentlich einen Fehlbedarf von etwa 11,17 Millionen Euro auf. Als ausgeglichen gilt der Haushalt nur deshalb, weil die Stadt in ihre Spardose greift: „Da wir in den vergangenen Jahren gut gehaushaltet haben und Geld zurücklegen konnten, können wir dieses Geld aus unserer Ausgleichsrücklage entnehmen und den Fehlbetrag deckeln“, erläutert Stadtkämmerer Luidger Wolterhoff. „Rechtlich gilt der Haushalt damit als fiktiv ausgeglichen.“

Der größte Kostenfaktor: Sozialausgaben steigen in Gelsenkirchen weiter und weiter

Zudem nutzt die Stadt erstmals das finanzpolitische Instrument des sogenannten „globalen Minderaufwands“. Vereinfacht erklären lässt sich dieses anhand einer Familie, die bei der Prüfung ihrer Finanzen merkt, dass sie ihre Fixkosten im nächsten Monat mit dem Haushaltseinkommen nicht mehr stemmen kann. Damit das Familienkonto aber nicht in die roten Zahlen rutscht, plant die Familie, die Fixkosten im nächsten Monat leicht zu senken. Die Finanzplanung wäre dann ausgeglichen. Aber natürlich werden die Einsparungen in der angepeilten Höhe dann auch irgendwie erbracht werden müssen – indem das Netflix-Konto gekündigt oder sich ein günstigerer Handy-Vertrag gesucht werden muss.

Die Nutzung dieses Instruments für die Stadt bedeutet laut Karin Welge: „Wir werden den Haushalt sparsam bewirtschaften müssen, um unsere Ziele zu erreichen.“ Sparsam sein zu müssen, ist für Gelsenkirchen nichts Neues – allerdings muss die Stadt auf der anderen Seite für ihre Pflichtaufgaben immer mehr Geld ausgeben. Und hier stehen an vorderster Stelle unverrückbar die sogenannten Sozialtransferaufwendungen, bei denen die Stadt 2023 mit 550,225 Millionen Euro plant. Das sind 45 Prozent der Gesamtaufwendungen, die insgesamt rund 1,239 Milliarden Euro ergeben.

Darunter fallen zum Beispiel Kosten für Unterkunft und Heizung bei Hartz-IV-Empfängern, Hilfen zur Erziehung, Leistungen für Flüchtlinge oder die Umlage für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), der Aufgaben wie die Behindertenhilfe übernimmt.

Innerhalb der vergangenen drei Jahre (2019 bis 2021) war ein Anstieg um etwa 11,8 Prozent bei den Sozialaufwendungen zu verzeichnen. Und bis 2026 rechnet die Stadt gar mit einer Steigerung um weitere rund 18,2 Prozent. Besonders deutlich wird diese Entwicklung mit Blick auf die Hilfen zur Erziehung: Um Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien zu schützen und zu unterstützen, plant die Stadt im neuen Haushalt mit 58,8 Millionen Euro. Das sind fast 20 Millionen Euro mehr als noch im Jahr 2019. (In der Grafik oben sind das weniger, weil nicht alle Gelder für die Erziehungshilfen als „Sozialtransferleistungen“ aufgeführt werden.)

Oberbürgermeisterin Karin Welge: „Wir müssen schauen, wie wir über die Runden kommen“

Die Gründe für den Anstieg der Sozialleistungsempfänger sind mannigfaltig: hohe Geburtenraten bei bildungsfernen Familien, die Armutsmigration aus Südosteuropa, die wachsende Armut in Deutschland, vereinfachter Zugang zu Hilfen durch gesetzliche Neuregelungen. Und während die Transferaufwendungen deshalb weiter steigen, sind es die eingangs erwähnten Krisen mit ihren unerwartbaren Kostendimensionen – Energie, Corona, Inflation - welche den kleinen finanziellen Spielraum noch enger werden lassen.

„Wir müssen schauen, wie wir über die Runden kommen“, formuliert es Welge – betont aber zugleich, dass dies nicht bedeuten kann, bedeutende Zukunftsprojekte wie beispielsweise die Schulneubauten in Gelsenkirchen kleiner zu denken oder gar auf sie zu verzichten. „Wir konzentrieren uns auf unser Kerngeschäft und wichtige Investitionen in die Zukunft.“

Mit dem jetzt präsentierten Entwurf beginnt das Haushaltsaufstellungsverfahren. Der finale Haushaltsplan für 2023 soll dann Ende des Jahres von der Politik verabschiedet werden.